Posse um Meldegesetz:So schauen Sie dem Gesetzgeber auf die Finger

Leere Ränge im Plenarsaal, Gesetzgebung in 57 Sekunden. Die Posse um das Meldegesetz hat die Arbeit des Bundestages in ein schlechtes Licht gerückt. Irrtümer und Vorurteile prägen seitdem die Debatte. Dabei ist es ganz leicht, die Politiker bei der Arbeit zu kontrollieren. Oft reichen dafür wenige Klicks.

Thorsten Denkler, Berlin

Wenn die Kanzlerin über die Euro-Rettung spricht, ist der Plenarsaal voll. Das Fernsehen berichtet live, Online-Medien tickern jedes Zitat und jede Gefühlsregung mit. Aber wenn Angela Merkel nicht da ist, wenn es um weniger große Themen geht? Dann sind die Ränge im Bundestag mitunter leer. Dann gibt es zu Protokoll gegebene Reden und Entscheidungen im Sekundentakt.

Besuchergruppe in der Fraktionsebene des Bundestages

Man muss nicht auf der Fraktionsebene des Bundestages stehen, um die Arbeit der Abgeordneten nachvollziehen zu können. Oft reichen dafür einige Klicks im Internet.

(Foto: dpa)

So geschehen beim umstrittenen Meldegesetz, das in nur 57 Sekunden durchgewinkt wurde. Ein Skandal? Nein, aber für viele Bürger durchaus irritierend. Dabei entsprach der Vorgang üblichen Gepflogenheiten, die gut dokumentiert sind. Kaum ein Parlament arbeitet so transparent wie der Bundestag. So lassen sich die Vorurteile über den Parlamentsbetrieb oft mit wenigen Klicks widerlegen.

"Da sind ja kaum Abgeordnete im Parlament. Die sind alle faul."

Zugegeben, das sieht nicht gut aus, wenn Abgeordnete am Pult stehen und nur ein paar Kollegen hören ihnen zu. Anders aber ließe sich der Parlamentsbetrieb nicht aufrechterhalten. Im Bundestag gilt Arbeitsteilung. Die Abgeordneten haben sich in 27 Fach-Ausschüssen organisiert. Jeder bearbeitet nur ein eng abgegrenztes Politikfeld. Diese Ausschüsse tagen oft parallel zu den Debatten im Bundestag. Das gilt nur nicht für die Kernzeiten von neun bis 13 Uhr. Darum sind da die Reihen dichter besetzt.

Einen Überblick über die Ausschüsse, ihre Aufgaben und Mitglieder gibt es hier. Für Smartphone-Benutzer gibt es die Bundestag-App, die diese und andere Informationen über den Parlamentsbetrieb ansehnlich aufbereitet.

"Jetzt haben nur zwei Dutzend Abgeordnete über das Gesetz abgestimmt. Das ist rechtwidrig. Das Parlament war ja gar nicht beschlussfähig!"

Das stimmt nur auf den ersten Blick. In Paragraf 45 der Geschäftsordnung des Bundestags steht im ersten Absatz: "Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist." Nur ist das fast nie der Fall. Was aber kein Problem ist. Die Beschlussfähigkeit spielt nur dann eine Rolle, wenn sie auf Antrag festgestellt wird oder es in einer Abstimmung zum Patt kommt. Ansonsten wird die Beschlussfähigkeit einfach angenommen.

Das hat einen schlichten Grund: Müssten ständig die Hälfte aller Mitglieder des Bundestages anwesend sein, wäre der Bundestag nicht arbeitsfähig. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis übrigens schon 1977 in einem Urteil höchstrichterlich gebilligt.

"Das durchschauen die doch selbst alles gar nicht. Wie können die was entscheiden, wovon sie keine Ahnung haben?"

Auch das hat mit Arbeitsteilung zu tun. Die derzeit 622 Abgeordneten haben pro Legislaturperiode etwa 1000 Gesetzes zu bearbeiten. Wenn da jeder jedes Gesetz genau kennen soll, wäre das nicht zu schaffen. Deshalb spezialisieren sich die Politiker auf Fachgebiete und nehmen an den zuständigen Ausschüssen teil (siehe oben). Die Bundestagsfraktionen haben außerdem Sprecher, etwa für Außenpolitik, Verkehrspolitik oder für die Belange behinderter Menschen. Sie werden häufig in Medien zitiert, wenn die Partei zu einem Thema Stellung beziehen soll.

Ausnahmen gibt es nur bei Gesetzen von großem öffentlichen Interesse. Kaum ein Abgeordneter wird sich leisten können, nicht grob zu wissen, warum er für oder gegen die Euro-Rettungspakete stimmt.

"Und dann hauen die alle schon Freitagmittag ab und fahren nach Hause. Was ist denn das für eine Arbeitsmoral?"

Nun ja, wenn wir mal vom durchschnittlich motivierten Abgeordneten ausgehen, dann fährt der vom Bundestag direkt zum nächsten Termin in seinem Heimatwahlkreis. 50 bis 60 Stunden die Woche arbeitet so ein Abgeordneter. Zumindest dann, wenn er wiedergewählt werden will.

Der größte Teil seiner Arbeit: Lesen, lesen, lesen. Stellungnahmen, Gutachten, Protokolle, Gesetzestexte, juristische Kommentare. Und natürlich die Presse. Außerdem muss er reden, reden, reden: In Arbeitsgruppen, Ausschusssitzungen, Parteigremien, mit Lobbyisten und Journalisten. Dazu kommen Sitzungen der Fraktion, der Landesgruppe, abendliche Empfänge, Besuchergruppen aus dem Wahlkreis herumführen, Diskussionsrunden und Interviewtermine.

Im Heimatwahlkreis wird es etwas bodenständiger. Keine Schützenfest, kein 100. Geburtstag, keine Straßeneinweihung ohne ihn. Also: Über mangelnde Arbeit kann sich kaum ein Abgeordneter beklagen. Viele dokumentieren ihre Termine auf eigenen Websites, um ihre Wähler auf dem Laufenden zu halten. Immer mehr Abgeordnete nutzen auch Twitter, um von ihrer Arbeit zu berichten und mit Bürgern in Kontakt zu treten. Exemplarisch seien hier Volker Beck von den Grünen und Julia Klöckner von der CDU genannt.

"So ein Gesetz, das schreiben doch sowieso nur die Lobbyisten!"

Grundsätzlich ist Lobbyismus bei der Gesetzgebung durchaus erwünscht. Zumindest, wenn darunter die Beteiligung von Interessenverbänden verstanden wird. Diese Gruppen bündeln und selektieren Forderungen ihrer Mitglieder, artikulieren sie und bringen sie so in den politischen Prozess ein. (Mehr zum Verhältnis von Politikern und Lobbyisten gibt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung, zum Beispiel in diesem Artikel.)

Es kommt aber auch vor, dass sich Passagen in Gesetzesentwürfen wortgleich in Vorlagen von Verbänden wiederfinden. Dann wirkt es, als habe sich die Politik ungebührlich von Interessengruppen beeinflussen lassen. Aber: Die Regel ist das nicht.

Die meisten Gesetze werden in Ministerien auf Bundes- oder Länderebene vorbereitet. Im Bund sind die Ministerien die Dienstleister der Gesetzgebung. Wird eine Regelungslücke erkannt, dann wird das Fachreferat im zuständigen Ministerium beauftragt, einen Gesetzestext zu formulieren. Hat ein Abgeordneter einen Änderungswunsch und findet er dafür eine Mehrheit unter seinen Ausschusskollegen, kann er sich dafür juristisch einwandfreie sogenannte Formulierungshilfen von den Ministeriellen erarbeiten lassen.

Die Opposition hat es da schwerer. Sie hat keinen Zugriff auf die Ministerien. Will sie eigene Gesetzesvorschläge machen, muss sie die mit einem viel kleineren Apparat von Fraktionsmitarbeitern schreiben lassen. Oder sie greift auf Landesministerien zurück, die in der Hand von Parteifreunden sind. Solche Gesetze können dann über den Bundesrat in den Bundestag eingespeist werden.

"Die entscheiden da im Sekundentakt über Gesetze. Das ist nicht rechtens!"

Doch, ist es, auch wenn es nicht schön ist. Um ein Gesetz im letzten Schritt - also nach der Einbringung, den Ausschusssitzungen, möglichen Experten-Anhörungen und intensiven Beratungen in Arbeitsgruppen und mit Interessenvertretern - zum Abschluss zu bringen, muss es in zweiter und dritter Lesung im Bundestag verabschiedet werden.

Ist das zu erwartende öffentliche Interesse an dem Gesetz eher überschaubar, wird es wahrscheinlich an einem Donnerstag in den Abendstunden verabschiedet. Um Zeit zu sparen, einigen sich die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen meist schon in der Woche zuvor darauf, welche Debatten dann nur noch zu Protokoll gegeben werden. Sie würden ansonsten oft das Programm nicht schaffen. Vieles bliebe liegen oder würde erst morgens um drei debattiert werden.

Für den vorgesehenen Redner heißt das: Er muss seinen Beitrag aufschreiben und den Protokollführern zukommen lassen. So kann ein Tagesordnungspunkt statt in einer Stunde in einer Minute abgehandelt werden.

"Das ist doch alles total intransparent, welches Gesetz wann wo entschieden wird."

Nein, eigentlich nicht. Jedem Gesetzestext wird eine Drucksachennummer zugewiesen - vom Entwurf bis zu den Änderungsanträgen. Die lassen sich einfach googeln. Auf den Internetseiten des Bundestages stehen verschiedene fachbezogene RSS-Newsfeeds bereit.

Sobald ein neues Gesetz auch nur im Entwurf etwa aus dem Bereich Verkehr im Bundestag aufschlägt, wird es hier angezeigt. Das gilt auch für die Änderungsanträge, Stellungnahmen der Länder und der Bundesregierung. Bevor nämlich ein Gesetzesentwurf offiziell in den Bundestag eingebracht wird, haben ihn Bund und Länder schon begutachtet. Erst dann beginnt das parlamentarische Verfahren. Eine gute Übersicht über das Gesetzgebungsverfahren gibt es hier. Die Tagesordnungen des Bundestages sind hier einsehbar.

Besonders praktisch ist die Volltextsuche der Bundestags-Website. Da lassen sich auch Plenar- und öffentliche Ausschusssitzungen als Protokoll und als Video finden. Wer wissen will, was sein Wahlkreisabgeordneter so treibt, der kann auch dessen Namen dort eingeben und schon spuckt die Suchmaschine alle Reden und Dokumente aus, die ihn beinhalten.

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