20 Jahre Mauerfall:Die größte Demo der DDR

Am 4. November 1989 fand auf dem Alexanderplatz in Berlin die größte Demonstration der DDR-Geschichte statt. Krenz, Wolf und Schabowski wurden gnadenlos ausgepfiffen.

R. Probst

Pässe für alle, Laufpass für die SED. Das Volk sind wir, gehen solltet ihr. Beton aus unseren Köpfen. Gehen ist Silber, Bleiben ist Gold. Reformen, aber unbe-krenzt. Kein Artenschutz für Wendehälse. (Transparente auf der Demo am 4.11.89)

20 Jahre Mauerfall: Etwa eine Million Menschen nahmen an der Demonstration auf dem Alexanderplatz in Berlin teil.

Etwa eine Million Menschen nahmen an der Demonstration auf dem Alexanderplatz in Berlin teil.

(Foto: Foto: dpa)

Seit dem Nachweis der manipulierten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 treffen sich zu jedem Siebten des Monats einige Bürgerrechtler auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz zu einer Mahnwache. So auch am 7. Oktober - während ein paar hundert Meter weiter die SED-Führung und hohe Staatsgäste im Palast der Republik den 40.Jahrestag der DDR-Gründung feiern und sich von der Militärparade auf der Karl-Marx-Allee erholen.

Spontan setzt sich ein Demonstrationszug mit einigen hundert Menschen in Bewegung. "Gorbi, hilf uns" und "Wir sind das Volk", lauten die Slogans. Die Polizei wartet ab, bis Michail Gorbatschow und die anderen Staatsgäste den Empfang verlassen haben - dann schlägt sie mit brutaler Gewalt zu.

Vor allem Frauen verprügelt

Wahllos werden einzelne Menschen von Volkspolizisten und Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit aus der Menge gezerrt, viele werden massiv verprügelt, auch noch beim Abtransport. "Bevorzugt richtete sich die Brutalität gegen Frauen, um männliche Demonstranten zum gewaltsamen Handeln gegen die Sicherheitskräfte zu provozieren", heißt es später in einem Untersuchungsbericht.

Mehr als 500 Menschen werden in dieser Nacht verhaftet. Staatsratsvorsitzender Erich Honecker ordnet an, "weitere Krawalle von vornherein zu unterbinden". Er hat offenbar nichts gegen ein Blutbad einzuwenden.

Doch zwei Tage später, als am 9. Oktober in Leipzig 70.000 Menschen friedlich durch die Innenstadt ziehen, greift die Staatsmacht - trotz massiver Vorbereitungen - nicht ein. Die Parteiführung weicht vor dem Massenprotest zurück.

Rasches Ende der Ära Honecker

Diese Niederlage der Parteiführung leitet auch das rasche Ende der Ära Honecker ein. Das Politbüromitglied Egon Krenz setzt sich bei den führenden Genossen durch, Honecker tritt am 18. Oktober als Generalsekretär, Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees zurück; Krenz verspricht den Menschen eine "Wende", einen "ernstgemeinten innenpolitischen Dialog" und dass "alle Probleme in unserer Gesellschaft politisch lösbar sind".

Doch die Bürger glauben dem neuen Staatsratsvorsitzenden nicht - war Krenz doch Leiter der manipulierten Kommunalwahlen und gleichzeitig als ZK-Sekretär zuständig für Übergriffe auf Demonstranten. Die öffentlichen Forderungen nach freien Wahlen, nach Zulassung der Oppositionsgruppen, dem Rücktritt der Regierung und nach Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit werden immer lauter, der Zulauf der Massen in allen Städten der DDR nimmt unvermindert zu. Die Teilnehmerzahlen werden inzwischen in Zehntausenden gezählt.

Knapp einen Monat nach dem brutal aufgelösten Demonstrationszug in Ost-Berlin findet am 4. November erneut eine Versammlung auf dem Alexanderplatz statt - doch diesmal ist die Demo genehmigt, das DDR-Fernsehen überträgt live und alles bleibt friedlich. Nach offiziellen Schätzungen sind es bis zu einer Million Menschen, die lautstark Reformen fordern. Es ist die in der Geschichte der DDR erste bei den staatlichen Institutionen angemeldete nichtstaatliche Massendemonstration - und gleichzeitig auch die größte.

Wolf, Krenz und Schabowski ausgepfiffen

Die Initiative geht ursprünglich von Künstlern der Berliner Theater aus, doch dann schließen sich auch die Oppositionsgruppen und sogar die SED dem Aufruf an. Auf der Versammlung wenden sich erstmals auch hohe SED-Funktionäre an das Volk: Der frühere Spionagechef Markus Wolf, das Politbüromitglied Günter Schabowski und Krenz selbst - sie werden ausgepfiffen. Doch die SED hat verstanden - wenn sie an der Macht bleiben will, darf sie einen radikalen Wandel nicht behindern.

Andere Redner treffen den Geschmack der Menschen weit besser, etwa die Schauspieler Ulrich Mühe, Jan Josef Liefers und Steffie Spira, die Schriftsteller Christa Wolf, Stefan Heym und Christoph Hein oder auch der Anwalt Gregor Gysi. Heym erinnert an den 7. Oktober: "Welche Wandlung! Vor noch nicht vier Wochen: Die schön gezimmerte Tribüne, hier um die Ecke, mit dem Vorbeimarsch, dem bestellten, vor den Erhabenen. Und heute Ihr, die ihr Euch aus eigenem freien Willen versammelt habt, für Freiheit und Demokratie und für einen Sozialismus, der des Namens wert ist."

Es ist der Tag der symbolischen Machtübernahme durch das Volk. Noch denkt keiner an die Wiedervereinigung. Doch man sieht schon ein Plakat in Abwandlung eines berühmten Honecker-Worts: "Die Demokratie in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf."

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