Erste Schwimmfinals in London:"Ich bin bereit, die Olympischen Spiele zu rocken"

Ryan Lochte besiegt seinen Rivalen Michael Phelps bei der ersten Entscheidung im Schwimmen und sendet danach eine selbstbewusste Botschaft. Die deutschen Athleten nehmen sich den Abend frei - und eine 16 Jahre alte Chinesin schwimmt Weltrekord. Sie ist auf den letzten 100 Metern fast so schnell wie Lochte und Phelps.

Jürgen Schmieder, London

Ein Sportler, der an die Grenze gehen möchte, braucht jemanden, der ihn an diese Grenze treibt. Die eigene Größe definiert sich über die Größe des anderen, die eigene Schnelligkeit über die des Rivalen. Ryan Lochte hatte am Samstagabend über 400 Meter Lagen so einen Gegner, er schwamm und schwamm und schwamm, er führte, dann lag er hinten. Am Ende unterlag Ryan Lochte seinem Konkurrenten Michael Phelps.

London 2012 - Schwimmen

Den Michael Phelps von 2012 hat er besiegt, den von 2008 nicht: Ryan Lochte.

(Foto: dpa)

Das Schöne für Lochte dabei war, dass er gegen den Michael Phelps von vor vier Jahren schwamm, oder vielmehr gegen dessen Weltrekordzeit, die da virtuell immer schneller wurde und Lochte überholte. Der echte Michael Phelps, die Version London 2012, der mühte sich weiter hinten. Der wirkte wütend und verkrampft - und je länger das Rennen dauerte, desto müder und verkrampfter wurde Phelps, am Ende wurde er gar nur Vierter hinter dem Brasilianer Thiago Pereira und Kosuke Hagino aus Japan.

"Es ist schwer, damals mit heute zu vergleichen", hatte Phelps schon vor dem Rennen gesagt, "die letzten vier Jahre waren relaxter und wir versuchen nun, Spaß zu haben." Vergleichen kann man natürlich die Zeiten - und da ist klar abzulesen, dass Phelps auf dieser Strecke mittlerweile fast fünfeinhalb Sekunden langsamer ist. Deshalb sagte Phelps danach: "Ich bin frustriert und fühle mich nicht besonders."

Es war ein Rennen, dessen Ausgang sich schon am Start abzeichnete. Lochte reagierte formidabel, Phelps wirkte schon auf dem Block wütend und verkrampft. Beim Wechsel nach 100 Metern führte Lochte mit einer halben Länge, 100 Meter später war es eine ganze Länge - und spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es zwei Duelle geben würde: Lochte gegen den Weltrekord und Phelps gegen Thiago Pereira und Kosuke Hagino um die Silber- und Bronzemedaille. Das Duell Lochte gegen Phelps war da schon entschieden.

"Ich war am Ende des Rennens in Schock", sagte Lochte danach, "ich habe die Fans schreien gehört und wusste, dass meine Familie da ist. Das hat mir auf den letzten Metern geholfen, nicht nachzulassen." Er schlug an in einer Zeit von 4:05,18 Minuten. Phelps Weltrekord liegt bei 4:03,84 Minuten.

Wenn man derzeit durch London spaziert, dann sieht man auf den Plakaten von Firmen, die mit Gesichtern von Sportlern Geld verdienen möchten, sehr viele britische Athleten. Freilich kann man sich kein einziges Mal um die eigene Achse drehen, ohne von Usain Bolt angegrinst zu werden. Es ist aber auch recht schwierig, einen Ort ohne Michael Phelps zu finden. Der Schwimmer, das stand schon vor der Eröffnungsfeier fest, soll einer der prägenden Athleten dieser Olympischen Spiele sein.

Nun verlor er am Samstag deutlich gegen Lochte - und der gab danach gleich an, diese Spiele zu seinen machen zu sollen. Auf die Frage, ob das nun der Start zu einer Sammlung werden könnte, sagte Lochte nur: "Das hoffe ich doch! Ich habe vier Jahre trainiert - und das war nur das erste Event. Ich bin bereit, diese Olympischen Spiele zu rocken."

So schnell wie die schnellsten Männer

Die deutschen Athleten hatten sich ja freigenommen an diesem Abend. Die 4x100-Meter-Freistilstaffel der Frauen hatte sich morgens verzockt, Paul Biedermann war über 400 Meter Freistil einfach nur schlecht geschwommen. In beiden Wettbewerben hatten sich die Deutschen zu Kandidaten erklärt, nun mussten sie das Ausscheiden deuten.

Lutz Buschkow, der Leistungssport-Direktor des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV), sagte über die Frauen-Staffel: "Es gab die interne Ansage: Britta sollte als Startschwimmerin 90 bis 95 Prozent geben, Silke Lippok und Lisa Vitting sollten dann volle Kraft schwimmen, und Daniela Schreiber einen taktischen Endspurt hinten raus. Das ist natürlich zünftig in die Hose gegangen." Den Wettbewerb gewann am Abend dann Australien vor den Niederlanden und den USA.

Biedermanns Heimtrainer Frank Embacher erklärte die Leistung seines Schwimmers so: "Besonders ärgert mich, dass ich ihm eine andere Maßgabe gegeben habe, als er gewohnt war. Ich habe ihm empfohlen, insgesamt etwas ruhiger und mehr über die Beine zu schwimmen. Dadurch ist dann aber der gewohnte Endspurt auf der letzten Bahn ausgeblieben."

Biedermann musste also ins Olympische Dorf zurückfahren, er wollte sich ein paar Stunden zurückziehen und in ein Kopfkissen beißen. Ob er damit schon fertig war, als das Finale begann, das ist nicht überliefert. Er hätte sehen können, wie sich der Chinese Yang Sun und der Südkoreaner Taehwan Park gegenseitig an ihre Grenzen trieben. Sun gewann, verlor aber gegen den Paul Biedermann von 2009 - der war damals ein Weltrekordzeit geschwommen - um sieben Hundertstelsekunden.

Es gab an diesem Abend nur eine Schwimmerin, die das Duell gegen einen Weltrekord gewann: Shiwen Ye siegte über 400 Meter Lagen in 4:38,43 Sekunden. Skurril dabei: Die 16 Jahre alte Chinesin schwamm ja die gleiche Strecke wie zuvor Lochte und Phelps. Für die abschließenden 100 Meter benötigte sie 58,68 Sekunden. Zum Vergleich: Phelps war nur 36 Hundertstel Sekunden schneller, Lochte gar nur drei.

Ye schwamm also auf die letzten 100 Meter fast so schnell wie die schnellsten Männer. "Wir haben gutes Training in China", sagte sie danach, "in China ist Schwimmen sehr wichtig." Aha.

In London sind von ihr derzeit noch keine Plakate zu sehen - ob es in China welche von ihr gibt, ist noch nicht herausgefunden worden.

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