"The Rum Diary" im Kino:Wege zum Rum

Die Verwandlung des amerikanischen Traums in einen Albtraum - das war das große Thema der Reporter-Ikone Hunter S. Thompson. Schon bei der Verfilmung seines Buchs "Fear and Loathing in Las Vegas" war Johnny Depp die treibende Kraft. Nun spielt er in dessen "Rum Diary", einer tropisch-karnevalesken Achterbahnfahrt.

Rainer Gansera

Ein kleiner Schnipp von Daumen und Zeigefinger, kein Verhaken, kein Gefummel. So macht man das, wenn man den Büstenhalter einer bildschönen Frau öffnen muss, in fließender Bewegung - zwischen Küssen, Entkleiden und Hinüberrollen aufs federnde Doppelbett.

Themendienst Kino: The Rum Diary

Paul Kemp (Johnny Depp) mit Chenault (Amber Heard) in "The Rum Diary": Ihr flatterhaftes Herz, das doch gerade schon gewonnen war - es wird erst einmal zu anderen Gestaden davonfliegen.

(Foto: dapd)

Ja, er ist schon ein toller Hund, dieser Paul Kemp - Möchtegernromancier und Profitrinker, Textsöldner und Teilzeitidealist, im tropischen Exil in Puerto Rico. Hunter S. Thompson steckt in ihm, in sehr jungen Jahren - und natürlich auch Johnny Depp, der ihm nun seine alterslosen Züge und seine blauschimmernde Haarpracht leiht.

Aber wie das so ist mit den tollen Hunden, wenn sie zum Universum des Hunter S. Thompson gehören - die Welt funktioniert halt nicht so. Wenn die Bösen, die Imperialistenbonzen mit ihren aalglatten Gehilfen in den perfekten Leinenanzügen, zwischendrin Pause machen wenn das allumfassende Schweinesystem für einen Moment mal Ruhe gibt - dann kommt halt das Schicksal dazwischen. Dann stört irgendein schwitzender, zugedröhnter Kumpel das Liebesspiel, bevor es richtig losgehen kann. Und das flatterhafte Herz des strahlenden Frühhippie-Chicks Chenault (Amber Heard), das doch gerade schon gewonnen war - es wird erst einmal zu anderen Gestaden davonfliegen.

"Er war ein Genie, das die Literatur so veränderte wie Marlon Brando die Schauspielerei, so wichtig für uns wie Bob Dylan und die 'Rolling Stones'." Das schrieb Johnny Depp im Nachruf auf seinen Freund Hunter S. Thompson, den legendären Reporter und Schriftsteller, der 2005 eine seiner zahlreichen Waffen von der Wand nahm, an die eigene Schläfe setzte - und abdrückte.

Johnny Depp war die treibende Kraft bei der Verfilmung von Thompsons Roman "Fear and Loathing in Las Vegas" (Terry Gilliam, 1998) und auch jetzt, bei Bruce Robinsons posthumer Adaption des "Rum Diary". In beiden Filmen spielt Depp auch Thompsons Alter Ego, und man darf davon ausgehen, dass sie ein Weltbild teilen - das Weltbild vom tollen Hund, der trotz allem nur verlieren kann.

Trunkenheit als Zustand höchster Luzidität

Selbst Jack Sparrow, seinem Blockbuster-Pirat in den "Fluch der Karibik"-Filmen, hat Johnny Depp ja diese Mischung aus Erleuchtung und Trotteligkeit verpasst, diese Grandezza, die ein Mensch nur mit der richtigen Menge Rum erreicht: Trunkenheit als Zustand höchster Luzidität.

All das steckt dann auch in "Rum Diary", diesem halbautobiografischen Erlebnisbericht eines angehenden Journalisten, der nur im Trinken schon Veteran ist, in Puerto Rico Anfang der Sixties. Ein Romanversuch, den der 22-jährige Thompson 1960 verfasste, erst 1998 veröffentlicht - und jetzt eine späte Filmhommage, die am Ende auch sein ganzes weiteres Werk in den Blick nimmt.

War "Fear and Loathing in Las Vegas" die Drogen-Overkill-Groteske, so zeigt sich "Rum Diary" munterer gestimmt als tropisch-karnevaleske Achterbahnfahrt, zwischen Slapstick, Romanze und politischem Lehrstück zu Hunter S. Thompsons Lieblingsthema: der Verwandlung des amerikanischen Traums in einen Albtraum.

Kemp nennt es "die Invasion der Fettärsche". Er arbeitet beim San Juan Star, einem Provinzblatt, das nur Problemfälle wie ihn beschäftigt, und lernt eine bizarre Gruppe von ultrareaktionären Kuba-Hassern und smarten Investoren kennen, die im Paradies - bisher abgesperrt und von der US-Navy für Zielübungen benutzt - ein vulgäres Freizeitsuperresort errichten wollen: die Vorhut jenes "militärisch-industriellen Komplexes", vor dem Dwight D. Eisenhower 1961 warnte.

Während sich also ferne Detonationen mit Karneval-Feuerwerk und dem Tumult bei Hahnenkämpfen und Partys mischen, versuchen die Immobilienhaie, Kemp als PR-Schreiber für das Projekt zu gewinnen, ihn mit Luxus zu beeindrucken: Villa am schneeweißen Postkartenstrand, knallrote Corvette - und eben jene Vorzeigeschönheit, die sich in ihrem jungen Herzen dann doch als Freigeist entpuppt und der Kemp unbedingt an den BH will. Als schließlich sein antikapitalistisches Gewissen erwacht, kann er den Bonzen auch fast einen Strich durch die Rechnung machen - aber eben nur fast.

Wir sehen also einen rumgetränkten Don Quijote, der natürlich auch einen Sancho Pansa hat - das ist der Fotograf Sala (Michael Rispoli). Johnny Depp konturiert diese Figur zurückhaltend, macht sie zum Protagonisten einer Selbstfindungslegende, die den innersten Kern der Story bildet. "Ich schaffe es nicht, so zu schreiben, wie ich bin", murmelt Kemp. Am Ende des Films aber ist er auf dem Weg dorthin.

The Rum Diary, USA 2011 - Regie und Buch: Bruce Robinson. Kamera: Dariusz Wolski. Musik: Christopher Young. Mit: Johnny Depp, Amber Heard, Michael Rispoli. Wild Bunch, 120 Minuten.

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