Erste Frau aus Saudi-Arabien bei Olympia:Freiheit unterm Schleier

Die Judoka Wojdan Shaherkani tritt als erste Frau aus Saudi-Arabien bei Olympia an. Auch wenn sie wenig Chancen auf sportlichen Erfolg hat: Mit der Debatte, die es um ihren Hidschab gab, hat sich die olympische Sportwelt ein Stückchen mehr geöffnet.

Kathrin Steinbichler

In ihrem Lebensalltag kennt es Wojdan Ali Seraj Abdulrahi Shaherkani nicht anders, als in der Öffentlichkeit einen Hidschab zu tragen. In ihrer Geburtsstadt Mekka, der Stadt der heiligsten Stätte des Islam, gibt es darüber kaum einen Zweifel. Hidschab, so heißt auf arabisch die Körperbedeckung, die der Islam bei Frauen einfordert.

Saudi Arabia's Wojdan Ali Seraj Abdulrahim Shaherkani gestures as she walks with the contingent in the atheletes parade during the opening ceremony of the London 2012 Olympic Games at the Olympic Stadium

Wojdan Shaherkani ist die erste von zwei Frauen, die für Saudi-Arabien an den Olympischen Spielen teilnimmt. Frauen bei den Spielen - das ist eine Premiere für das Land.

(Foto: Reuters)

Je nach Auslegung und Kulturkreis muss der Hidschab den ganzen Körper oder auch nur den Kopf bedecken. Hintergrund ist das Gebot, alles Verwerfliche zu verbieten, und der unverhüllte Anblick einer Frau gilt in der strengen Auslegung des Islam bereits als verwerflich. Ob das richtig ist oder nicht, lässt sich so ausgiebig diskutieren wie alle Glaubensfragen. Dass sie über den Hidschab einmal vor aller Welt würde diskutieren müssen, hatte Wojdan Shaherkani nicht gedacht.

Saudi-Arabien schickt erstmals Frauen

Shaherkani ist 16 Jahre alt und an diesem Freitag die erste Athletin, die je für Saudi-Arabien bei Olympischen Spielen an den Start gehen wird. Im Judo, was recht normal klingt. Mit einem Hidschab, womit das Problem beginnt.

Am 18. Juli noch hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) stolz eine Mitteilung verschickt: Auch Saudi-Arabien werde zwei Athletinnen nach London entsenden, hieß es da. Es war das letzte Puzzlestück im Bemühen des IOC, jedes Teilnehmerland dazu zu bewegen, bei Olympia auch mit Frauen vertreten zu sein.

"Das IOC hat sehr eng mit Saudi-Arabiens Olympischem Komitee zusammengearbeitet", sagte IOC-Präsident Jacques Rogge, "und ich freue mich zu sehen, dass unser Dialog gefruchtet hat." Sport von Frauen gilt in vielen islamisch geprägten Ländern noch immer als nicht statthaft. Die Bewegungen, die dabei zu sehen sind, und auch das Selbstbewusstsein, das dabei entsteht, gelten für Frauen als - man ahnt es - verwerflich.

Dass in diesem Jahr erstmals auch nicht säkularisierte islamische Staaten wie Saudi-Arabien, Qatar oder Iran mit Athletinnen bei Olympia vertreten sind, bedeutet viel für die öffentliche Wahrnehmung der Frauen in diesen Ländern.

Die Sache mit dem Hidschab vergessen

Auch der Internationale Judo-Verband (IJF) war in einem offiziellen Statement entsprechend stolz, dass diese historische Lücke mit dem Start von Shaherkani nun geschlossen werden würde. Der IJF habe in den vergangenen Jahren demonstriert, "dass die Gleichheit der Geschlechter nicht nur aus Worten besteht" und dass es im Judo keinen Unterschied gebe zwischen dem Wettbewerb der Frauen und dem der Männer.

Erste Frau aus Saudi-Arabien bei Olympia: Sarah Attar (li.) und Wojdan Shaherkani sind die ersten Frauen, die für Saudi-Arabien an den Olympischen Spielen teilnehmen.

Sarah Attar (li.) und Wojdan Shaherkani sind die ersten Frauen, die für Saudi-Arabien an den Olympischen Spielen teilnehmen.

(Foto: AP)

Da hatte sich offenbar weder das IOC noch der IJF Gedanken gemacht, wie die Angelegenheit mit dem Hidschab gelöst werden könnte.

Es gibt andere muslimische Sportlerinnen, die in London mit einem Hidschab antreten, die Schützin Bahya Mansour Al-Hamad aus Qatar etwa oder die Tischtennisspielerin Neda Shahsavari und die Einer-Ruderin Soulmaz Abbasiazad, die beide für Iran starten. Auch Saudi-Arabiens zweite Athletin bei Olympia, die 800-Meter-Läuferin Sarah Attar, wird ihren Wettkampf im Leichtathletik-Stadion mit einem Kopftuch und in langen Hosen bestreiten, um die Gesetze ihres Landes und die Gebote ihrer Religion nicht zu verletzen.

Bei einer Kampfsportart wie Judo aber ist eine fixierte Kopfbedeckung nicht länger nur eine Frage von Religiosität, sondern des Verletzungsrisikos. Und plötzlich stand Shaherkanis Start in Frage.

Kopftuch ab? Auf keinen Fall!

Noch einen Tag vor der Eröffnungsfeier in London bekräftigte der IJF-Präsident, der Österreicher Marius Vizer, dass Shaherkani wie alle anderen Athletinnen ohne Kopftuch antreten werde: "Sie kämpft gemäß den Prinzipien und des Geistes des Judosports, also ohne den Hidschab." Schließlich sei das Ganze "zuallererst eine Frage der Sicherheit", sagte IOC-Sprecher Mark Adams, bevor sich die Verbände übers Wochenende zur Beratung zurückzogen.

Weder die Athletin noch ihre Familie geschweige denn ihr Land wollten auf den Schleier verzichten. Man kann diese rigorose Haltung diskutieren, Fakt aber ist: In Saudi-Arabien werden Frauen, die ohne Hidschab anzutreffen sind, bestraft. Und so sagte Shaherkanis Vater in alle Mikrofone, dass seine Tochter niemals ohne Hidschab antreten werde. Wojdan Shaherkani kann kein Englisch, bei Fragen an sie antwortet bislang immer ihr Vater.

Auf der arabischen Halbinsel selbst wurden Shaherkani und Attar derweil mit wüsten Beschimpfungen überzogen. Schon die Tatsache, dass die beiden Sportlerinnen bei der Eröffnungsfeier gemeinsam mit den Männern der saudischen Mannschaft ins Stadion einzogen, wo sie jeder sehen kann, wurde von öffentlichen Kommentatoren und in Internetforen als Schande bezeichnet.

Zum Nachdenken angestoßen

2012 Olympic Games - Opening Ceremony

Gesehen zu werden, darum geht es den Athletinnen der streng islamischen Länder bei Olympia.

(Foto: Getty Images)

Gesehen zu werden, darum geht es den Athletinnen der streng islamischen Länder bei Olympia. Als Frau, als Sportlerin, als gläubige Muslima. In den Augen der betroffenen Frauen muss sich das nicht widersprechen.

Wir möchten, dass sich Menschen aus muslimischen Ländern an den Spielen beteiligen, aber gleichzeitig drücken wir ihnen unsere Kleidungsvorschriften auf", sagte der Sporthistoriker Jörg Krieger der dpa. "Es ist keine Überraschung, dass Athletinnen aus muslimischen Ländern eher in Sportarten wie Springreiten oder Schießen teilnehmen, weil in diesen Sportarten Kleidung nahezu keine Rolle spielt."

Wojdan Shaherkani wird in der Schwergewichtsklasse ab 78 Kilogramm wohl keine Medaille gewinnen, aber diese Debatte hat sie - wenn auch unfreiwillig - erfolgreich angestoßen.

Der einzige Sportverband, der diese Frage zuvor erörtert hatte, ist der Fußball-Weltverband Fifa. Im Juni 2011 noch hatte die Fifa die iranische Frauen-Nationalelf wegen des Hidschabs von der Olympia-Qualifikation ausgeschlossen. Seit März 2012 erlaubt sie nun das Tragen eines speziell entworfenen Sport-Hidschabs. Er ist mit einem Klettverschluss versehen und kann sich so ohne ernsthafte Verletzungsgefahr lösen, falls an ihm gezogen wird.

Am Dienstag schließlich verkündete der Internationale Judo-Verband, dass im Kopftuch-Streit eine Lösung gefunden worden sei, "die eine gute Balance garantiert zwischen der Sicherheit und den kulturellen Erwägungen". Zu weiteren Details der diskutierten Balance oder des zu erwartenden Designs wollte sich der Verband nicht äußern, "wir werden keine weiteren Erklärungen abgeben", teilte IJF-Generalsekretär Nicolas Messner mit.

Die Welt wird umso gespannter auf Wojdan Shaherkani blicken - auf eine 16-Jährige aus Mekka, die die olympische Sportwelt wieder ein Stückchen mehr geöffnet hat.

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