US-Notenbankchef Bernanke:"Definition eines moralischen Risikos"

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US-Notenbankchef Ben Bernanke kämpft im Senat um seine zweite Amtszeit - und um die Rolle der Federal Reserve.

Nikolaus Piper

Volkes Stimme kommt an diesem Morgen aus Kentucky. Jim Bunning, Senator aus dem konservativen Bundesstaat, geht Ben Bernanke direkt an. Er habe schon vor vier Jahren gegen ihn gestimmt, sagt Bunning, weil er glaubte, dass dieser die verfehlte Politik seines Vorgängers Alan Greenspan fortsetzen werde. "Ich hätte aber nicht gedacht, wie sehr ich recht bekommen sollte." Der Chef der Notenbank drucke Geld und rette die Banken ohne Rücksicht auf Verluste. "Sie verschaffen Ihren Herren an der Wall Street billiges Geld, während normale Geschäftsleute um ihren Kredit ringen müssen." Bunnings Philippika gipfelt in dem Satz: "Sie sind die Definition eine moralischen Risikos." Er werde alles tun, um Bernankes Ernennung zu verhindern.

Kämpft um seine zweite Amtszeit: Ben Bernanke (Foto: Foto: AFP)

Die Anhörung am Donnerstagmorgen ist Teil eines Verfahrens, das Bernanke seine zweite Amtszeit sichern soll. Der "Vorsitzende des Gouverneursrats des Federal Reserve Systems", so der genaue Titel des US-Notenbankchefs, wird vom Präsidenten nominiert und muss anschließend vom Senat bestätigt werden. Ehe dies geschieht, wird der Kandidat im Bankenausschuss des Senats gegrillt. Die erste Amtszeit Bernankes endet am 31. Januar 2010. Präsident Barack Obama hat ihn für eine zweite vorgeschlagen, deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Senatoren ihn durchfallen lassen werden. Trotzdem war die Anhörung, wenige Tage vor Bernankes 56. Geburtstag, eine der schwierigsten öffentlichen Sitzungen, die der Fed-Chef bisher durchstehen musste.

Umstritten wie lange nicht mehr

Es ging eben nicht nur um ihn selbst, sondern um die Institution der Fed insgesamt. Die Fed ist in der amerikanischen Öffentlichkeit heute so umstritten wie schon lange nicht mehr. Der wachsende Einfluss des Staates in die Wirtschaft und die Massenarbeitslosigkeit nähren Angst und Wut in der Öffentlichkeit. Wahrscheinlich würde eine Mehrheit der Amerikaner die zornigen Worte des Senators aus Kentucky unterschreiben.

Das war auch hinter den Freundlichkeiten zu erkennen, mit denen der Vorsitzende des Ausschusses, der Demokrat Christopher Dodd aus Connecticut, die Anhörung eröffnete: "Sie verdienen Lob, für das was Sie getan haben und Sie verdienen eine zweite Amtszeit," sagte er, nur um gleich hinzuzufügen, dass die Fed als Organisation sich radikal ändern müsse. Dodd hatte im November einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er die Fed bei der Bankenaufsicht komplett entmachten würde. Bernanke wehrt sich seither mit allen Kräften gegen Dodds Gesetz.

Der ranghöchste Republikaner im Ausschuss, der Konservative Richard Shelby aus Alabama, ging den Fed-Chef gleich direkt an. Er habe immer "hohen Respekt" vor der Notenbank gehabt, nach Bernankes erster Amtszeit sei er sich dessen aber nicht mehr so sicher.

"Äußerst enttäuscht"

Schon vor der Anhörung hatte Shelby erklärt, er sei "äußerst enttäuscht" und wisse noch nicht, ob er für ihn stimmen werde. Das ist insofern bemerkenswert, als Bernanke Republikaner ist und 2006 vom damaligen Präsident George Bush erstmals nominiert wurde. Fast alle namhaften Ökonomen glauben, dass die US-Notenbank vor einem Jahr mit ihrer aggressiven Politik eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise verhindert hat.

Nicht so gut sieht Bernankes Bilanz aus der Zeit vor Ausbruch der Krise aus. Einige hässliche Fragen gibt es auch zu seiner Rolle im September 2008. Zur Vergangenheit: Wie die inzwischen veröffentlichten Protokolle der Fed aus dem Jahr 2003 zeigen, hat Bernanke die Politik seines Vorgängers Alan Greenspan in dieser Zeit uneingeschränkt gestützt. Obwohl die amerikanische Wirtschaft damals kräftig wuchs, senkte die Fed den Leitzins auf 1,0 Prozent, weil sie eine Deflation fürchtete. Heute weiß man, dass dies wesentlich zur Spekulationsblase auf den Immobilienmärkten beitrug.

Zwei Jahre später warnte Bernanke zwar in einer weitsichtigen Rede vor den gefährlichen Kapitalströmen aus Asien in Richtung Amerika. Die Ursache dieses Phänomens, das er "Sparschwemme" nannte, sah er jedoch ausschließlich in Asien und konnte daher für die Fed keinen Grund zum Handeln erkennen. Viele kritisieren außerdem, dass die Notenbank, trotz eindeutiger Warnungen nicht gegen die oft betrügerischen Praktiken der Hypothekenbanken eingeschritten ist.

Am heikelsten sind jedoch die Fragen zur Rolle Bernankes beim Untergang von Lehman Brothers, bei der Rettung von Merrill Lynch und der Versicherung AIG: Warum wurde Lehman, anders als die kleinere Bank Bear Stearns ein halbes Jahr zuvor, nicht gestützt? Hat Bernanke unbilligen Druck auf den Chef der Bank of America (Bof A), Ken Lewis, ausgeübt, damit dieser Merrill übernahm? Die Verluste aus dem Deal lasten heute schwer auf BofA und haben dazu geführt, dass Lewis in diesem Herbst seinen Rücktritt ankündigte.

Und vor allem: Warum zwangen Bernanke und der damalige Finanzminister Henry Paulson nicht die Kunden und Gläubiger von AIG zu Opfern? Dieser Gruppe, darunter Goldman Sachs und die Deutsche Bank, wurden ihre Ansprüche an AIG mit dem Geld der Steuerzahler voll entgolten - insgesamt viele Milliarden Dollar. Er habe keine Handhabe gegen die Gläubiger gehabt, da AIG ja nicht pleite gewesen sei und eine Pleite katastrophale Folgen gehabt hätte, sagte Bernanke am Donnerstag. Die Rettung von AIG kostete bisher 180 Milliarden Dollar.

Vom Ausgang der Debatten um diese Fragen hängt viel an. Nach den Plänen von Finanzminister Geithner und den Experten im Repräsentantenhaus soll die Fed die zentrale Rolle in einem neuen und besseren System der Bankenaufsicht spielen. Die Frage ist: Wird sie dazu in der Lage sein? Senator Dodd von den Demokraten sagt: Nein. Die Notenbank solle sich auf die Geldpolitik konzentrieren und den Rest anderen Behörden überlassen. In diesem Zusammenhang ist die Struktur der US-Notenbank als staatlich-privates Mischsystem besonders problematisch: Zwar wird der Gouverneursrat der Fed vom Präsidenten nominiert und vom Senat bestätigt, in den Aufsichtsgremien der Landeszentralbanken ("Federal Reserve Banks") sitzen jedoch private Banken - also genau die Institutionen, die die Fed eigentlich überwachen soll. Der Vorwurf, die Notenbank sei mit der Wall Street verbandelt, ist also nicht so weit hergeholt.

Politischer Druck auf die Fed

Und dann gibt es direkten politischen Druck auf die Fed. Der Bankenausschuss des Repräsentantenhauses verabschiedete vorige Woche einen Gesetzentwurf, wonach das "Government Accountability Office, GAO", eine Behörde, die dem deutschen Bundesrechnungshof vergleichbar ist, künftig die Fed überprüfen soll. Das klingt harmlos - warum sollte die Notenbank auch nicht Rechenschaft darüber ablegen, wie sie mit dem Geld der Steuerzahler umgeht? Tatsächlich jedoch soll das GAO nach dem Entwurf ausdrücklich die Geldpolitik der Notenbank überwachen. Zudem arbeitet es im Auftrag des Kongresses. Nicht nur Ben Bernanke fürchtet, dass dieser sich auf dem Umweg über die Rechnungsprüfung Einfluss auf Entscheidungen über Inflation und Zinsen anmaßen wird. Die Fed wäre damit in ihrer Unabhängigkeit und ihrer Reputation beschädigt.

Wie begründet die Sorgen sind, wird klar, wenn man den Initiator des Gesetzentwurfs betrachtet: der Republikaner Ron Paul aus Texas. Paul will die Rolle des Staates auf ein absolutes Minimum reduzieren. Er kandidierte im vorigen Jahr erfolglos für das Amt des US-Präsidenten. Paul macht keinen Hehl daraus, dass er die Fed abschaffen und die Goldwährung wieder einführen möchte. Wenn jemand wie er im Kongress Mehrheiten bekommt, muss Bernanke auf Überraschungen gefasst sein.

Dieser verteidigte seinen Kurs, in aller Demut. Die Fed habe keinen "perfekten Job" gemacht, sagte er. Sie hätte sich mehr um den Hypothekenmarkt und die Bankreserven kümmern müssen. "Insgesamt aber haben die Aktionen der Fed substantiell zur Verbesserung der Bedingungen auf den Finanzmärkten beigetragen und zu dem, was wie der Anfang einer Wende in der amerikanischen und den ausländischen Volkswirtschaften aussieht."

© SZ vom 04.12.2009/kat - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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