Organspende-Skandal:Wenn Ärzte Gott spielen

Chefärzte gehören zu den letzten absolutistischen Herrschern. Der Glaube an die Halbgötter in Weiß machte den Organspende-Skandal in Regensburg und Göttingen erst möglich. Doch Chirurgen gehört stärker auf ihre begnadeten Finger geschaut. Und wenn nötig, muss ihnen auf dieselben auch gehauen werden.

Christina Berndt

Oft geht es in der Medizin um Leben und Tod. Die Transplantationsmedizin aber lebt vom Tod. Jemand muss sterben, damit ein anderes Leben nicht endet. So werden menschliche Schicksale durch Chirurgenhand auf bis heute atemberaubende Weise völlig neu verknüpft.

Nicht immer sind die glücklich, die weiterleben dürfen: Viele leiden unter der mangelnden Bewegungsfreiheit, den vielen Tabletten und unter der Vorstellung, dass jemand anderes "für sie" sterben musste. Die meisten Patienten aber sind unendlich dankbar. Ihrem Spender, dessen Familie - und dem Chirurgen, in dessen Händen ihr Leben lag.

Zwangsläufig ist gerade unter Transplanteuren der Grat zwischen Erfüllung im Beruf und Hybris schmal. So mancher Halbgott in Weiß möchte auch einmal Gott spielen. Statt das Schicksal der Patienten den Wartelisten und Computern zu überlassen, nimmt er es selbst in die Hände, wie dies Ärzte in Göttingen und Regensburg offenbar in zahlreichen Fällen getan haben. Das erschreckende Ausmaß der Organ-Betrügereien zeigt: Den Chirurgen gehört stärker auf ihre begnadeten Finger geschaut. Und wenn nötig, muss ihnen auf dieselben auch gehauen werden.

Es müssen wirksamere Sanktionen her. Denn genügend ausgeklügelte Richtlinien und ethische Handlungsnormen gibt es längst. Der Ruf nach Gerechtigkeit bei der Organvergabe hat die Transplantationsmedizin bereits behördengleich gemacht. Wer aber gegen die Regeln verstieß, blieb bisher allzu oft unbehelligt.

Es ist kaum zu begreifen, dass Ärzte wegen Ladendiebstahls ihre Approbation verlieren, weil sie sich damit ihres Standes als unwürdig erweisen, nicht aber wenn sie eine Leber klauen und diese ins Ausland verschleppen, wie dies einer der im aktuellen Skandal beschuldigten Ärzte schon vor sieben Jahren getan hat.

Absolutistische Herrscher

Er ist nicht nur damals unbescholten davongekommen; auch die Strafe für die jüngst entdeckten Datenmanipulationen dürfte viel zu milde ausfallen, sofern sich der Verdacht bestätigt. Denn dass Patienten der Organ-Schiebereien wegen verstorben sind, wird sich kaum nachweisen lassen. Und wenn der vermutete Geldfluss nicht zu belegen ist, bleibt nur noch der Vorwurf der Urkundenfälschung. Angesichts der Tragweite bis hin zur Todesfolge, die eigenmächtiges Handeln bei Transplantationen hat, ist das Transplantationsgesetz schlichtweg zu zahnlos.

Auch die Abschreckung muss stärker werden: Während in Göttingen und Regensburg munter weitertransplantiert wird, wurden in den USA Transplantationszentren schon aus erheblich geringerem Anlass geschlossen. Ähnliche Maßnahmen scheinen hierzulande nötig zu sein, um den Chirurgen klarzumachen: Sie können die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod nicht mit dem Arztkittel an sich ziehen und müssen miteinander einen offeneren Umgang pflegen. Gnadenlose Transparenz und unabhängige Kontrollen sind nötig, um dem Reiz des Schicksalspielens nicht zu erliegen.

Chefärzte gehören zu den letzten absolutistischen Herrschern in Europa. Untergebene wagen oft nicht aufzumucken, wenn sie um das Leben des vom Chef behandelten Patienten fürchten. Ähnlich wie in der Luftfahrt müssten Kliniken ihre Chirurgen trainieren, Vorgesetzten zu widersprechen und Fehler sanktionsfrei zu melden; die Manipulationen von Göttingen können den Ärzten und Schwestern kaum entgangen sein. Und doch hat sich erst nach Jahren ein Einzelner dazu durchgerungen, die Vorfälle anzuzeigen.

Die Transplantationsmedizin befindet sich am Scheideweg. Seit Langem stagnieren die Spenderzahlen. Noch vor dem Skandal gab es einen Einbruch, auch weil die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die alle Organspenden koordiniert, durch Missmanagement und eigene Skandale Vertrauen zerstört hat. Der Göttinger Organ-Betrug wird die Spendenbereitschaft weiter senken. Überzeugungsarbeit per Gesetzeskraft, wie dies die Bundesregierung versucht, ist aber der falsche Weg. Die Transplantationsmedizin muss sich selbst neu definieren.

Vor allem eines ist nötig: Die Chirurgen müssen Demut lernen. Allüren sind unangemessen, wenn man mit dem Vermächtnis Toter hantiert. Offenheit und Transparenz müssen nicht nur in den Strukturen implementiert sein, wie dies in den USA mit einem umfassenden Register über sämtliche Transplantationen erreicht worden ist. Sie müssen jedem Chirurgen ein inneres Anliegen sein, weil er schon in seiner Ausbildung erkannt hat, dass sich nur so Vertrauen - und damit Organe - gewinnen lassen.

Die Ärzte müssen lernen, was ihre Patienten längst wissen: Sie haben keinen Anspruch auf die Organe Verstorbener. Sie dürfen für deren selbstlose Spende einfach nur dankbar sein.

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