Facharbeiter-Mangel in Baden-Württemberg:Als die Portugiesen kamen

Plötzlich standen einige Dutzend Portugiesen im Rathaus: In Schwäbisch Hall suchen Firmen und Bürgermeister verzweifelt Facharbeiter. Nach einer PR-Aktion meldeten sich auch Tausende Jobsuchende aus Südeuropa - doch nur 26 Stellen wurden besetzt. Der Fall zeigt, wie schwer es ist, ein Einwanderungsland zu sein.

Max Hägler, Schwäbisch Hall

Bereits der erste Teil dieser Geschichte ist bemerkenswert. Es war Winter, Februar, und plötzlich klopften immer öfter Menschen an die Tür im ersten Stock des Rathauses von Schwäbisch Hall, beim Bürgermeister und seinen Leuten. Die Menschen sprachen Portugiesisch und mit Händen und Füßen. Sie fragten: Wo sind denn nun die Jobs?

3000 freie Stellen gibt es rund um Schwäbisch Hall, das ist viel. Die Region Hohenlohe sucht angestrengt vor allem Fachkräfte - vom Altenpfleger bis zum Ingenieur. Es geht ihr so wie vielen wirtschaftsstarken Gegenden in ganz Deutschland. Der Republik gehen die einheimischen Arbeitskräfte aus: Es gibt immer weniger Deutsche, und die werden im Schnitt immer älter.

Um das auszugleichen, braucht es Zuwanderer. 300.000 müssen es sein, mahnte erst am Wochenende das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), pro Jahr wohlgemerkt. Doch wenn man sich den Fall Schwäbisch Hall ansieht, stellt sich die Frage: Wie soll das - ganz praktisch - funktionieren? Offensichtlich muss die Republik ihre neue Rolle als Einwanderungsland noch üben.

Im Februar lud die Stadt Journalisten ein aus den Ländern, in denen die Finanzkrise tobt: Portugal, Italien, Griechenland, Spanien. Die Medienleute sollten Werbung machen für die Gegend, sollten Menschen aus dem Süden zu einer neuen Zukunft in Baden-Württemberg anstiften.

Es passierte, was nie geplant war. Tausende Portugiesen interessierten sich, 15.000 schrieben allein die örtliche Arbeitsagentur an, dazu kamen Hunderte Bewerbungen direkt an Firmen. Einige Dutzend Portugiesen hatten sich sogar ins Flugzeug gesetzt und standen plötzlich im Rathaus. Die Reportage der Zeitschriften-Journalistin aus Portugal hatte voll eingeschlagen. Auf fünf Seiten beschrieb sie den Wirtschaftswunderort Schwäbisch Hall. Er ähnelte dem Paradies. Die Steuerlast war zu rosig geschildert, der Bruttolohn eines Angestellten wurde als Nettoverdienst ausgegeben. Ein Fernsehsender zog nach. Und im Internet war alles nachzulesen.

Jetzt, ein halbes Jahr später, sind viele ernüchtert. Die Haller und die Portugiesen. Nur 26 der 15.000 haben bisher eine Anstellung gefunden. Eine Vermittlungsquote von 0,17 Prozent. Und immer noch sind beinahe 2700 Jobs in der Region Schwäbisch Hall unbesetzt. Das ist der zweite Teil dieser Angelegenheit.

Lahmgelegte Personalabteilung

Das Hauptproblem seien die mangelnden Deutschkenntnisse gewesen, sagt Emilio Petricca, Teamleiter bei der Arbeitsagentur. Viele schrieben auf Portugiesisch oder auf Google-Übersetzer-Deutsch. Und Leute, die sich aus einer laufenden Anstellung heraus bewarben, fielen ebenfalls durch das Raster. Blieben noch 2072 Bewerber übrig - von denen eben 26 einen Job gefunden hätten. So gerechnet sei die Werbeaktion durchaus ein Erfolg, sagt Petricca.

Einige Hotels im Ort sehen das ähnlich: Sie haben Kellner und Köche gewonnen. Auch bei Ziehl-Abegg ist man erfreut über den "Push". Mit 1500 Bewerbungen wurde der Weltmarktführer bei Ventilatoren "vollgeballert", auch weil in der portugiesischen Reportage stand: Deutschkenntnisse werden bei Ziehl-Abegg nicht benötigt. Zumindest in den akademisch orientierten Entwicklungsabteilungen stimmt das - ein halbes Dutzend Portugiesen hat Anstellung gefunden. Wobei es zu viele in einer Arbeitsgruppe dann doch nicht werden sollen. Das würde Ungleichgewichte schaffen, sagt Personalreferentin Ramona Blankenstein.

Überhaupt nicht zufrieden ist dagegen Jochen Becker. Beim Personalchef des Sondermaschinenbauers Optima klingt die Anwerbeaktion nach Unglücksfall und nicht nach Chance. Seine Firma sei "mitbetroffen". 900 Bewerbungen bekam das Unternehmen, das Verpackungsgeräte herstellt, binnen weniger Tage. Die Personalabteilung sei "überfallartig" lahmgelegt worden - ohne dass eine einzige Anstellung zustande kam.

Stewardessen, Kellner, Maurer und Mechaniker hatten sich beworben. Becker: "Das passt aber nicht zu uns. Und selbst ein Mechaniker nutzt uns nichts, wenn er bislang an Dieselmotoren geschraubt hat." Einige Dutzend kamen auf eine "Shortlist", ein Vertrag ist noch nicht unterschrieben. "Wir haben hier als Region insgesamt viele Menschen enttäuschen müssen, die auf uns hofften." Auch das wurmt Personalchef Becker. Seine Forderung deshalb: Koordiniert muss solch eine Aktion künftig ablaufen.

"Make it in Germany"

Manche Regionen machen das bereits: Das Emsland sucht direkt in Kastilien junge Leute, 15 kamen bei der letzten Fahrt mit. Der niederbayerische Landkreis Deggendorf wiederum wirbt in seiner bulgarischen Partnerstadt Burgas gezielt um Azubis. Der Landrat fliegt alle paar Monate ans Schwarze Meer, die Personalchefs führen gleich vor Ort Bewerbungsgespräche und erklären, was es mit "brutto" und "netto" auf sich hat und wie deutsche Berufsschulen funktionieren.

"Solche Werbemaßnahmen sind zielsicherer", bestätigt Emilio Petricca. Aber letztlich sei auch das zu kleinteilig, zu aufwendig, habe man bei der Arbeitsagentur gelernt. Wenn es um die Zukunft des deutschen Jobmarkts gehe, könne man nicht in Landkreisen denken.

"Make it in Germany" heißt sein Rezept: Die Zentrale Auslandsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit und die Bundesregierung suchen seit kurzem über ein Internetportal mit diesem Namen sowie über Auslandsmessen gezielt Fachkräfte - für die ganze Republik. 1000 Bewerber hat Petricca inzwischen an diese Kollegen weitergeleitet. 300 Portugiesen könnten so kurzfristig einen Job finden, sagt er. Zwar nicht im schönen Schwäbisch Hall, aber irgendwo anders in Deutschland.

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