Urteil zur Vorratsdatenspeicherung:Grundrechte in Gefahr!

Das Bundesverfassungsgericht hat die Gefahren der Vorratsdatenspeicherung benannt - aber nur halbherzig Konsequenzen gezogen. Die Richter ordnen an, bisher gespeicherte Daten zu löschen, lassen aber zu, dass in Zukunft umfassend Daten gespeichert werden können.

Heribert Prantl

Das Urteil klagt, das Urteil warnt, das Urteil droht. Es sagt: Bis hierher und nicht weiter. Das Urteil verwirft die bisherigen deutschen Regeln für die Vorratsdatenspeicherung. Es befiehlt, die auf der Basis des bisherigen Gesetzes gespeicherten Daten sofort wegzuwerfen.

Die Verfassungsrichter formulieren neue, strenge Regeln. Überhaupt: Das Verfassungsgericht hält die ganze Sammelei von Telekommunikationsdaten auf Vorrat für suspekt. Es sei dies, so die Richter, ein "schwerer Eingriff" in die Bürgerrechte, "mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt".

Das Urteil weiß und beschreibt sehr gut, was passieren kann, wenn alle Telefon- und Internet-Daten von allen Bürgerinnen und Bürgern sechs Monate lang gespeichert und zum staatlichen Abruf bereitgehalten werden.

Das Urteil weiß, was drohen kann, wenn ausgewertet wird, wer wann mit wem, wie oft und von wo aus E-Mails und SMS-Botschaften geschickt oder telefoniert hat. Die Speicherung all dieser Daten ermöglicht, so steht es im Urteil, "die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers".

Bei der Auswertung der umfassend gespeicherten Kommunikationsbeziehungen kann auch schnell festgestellt werden, wer in einer Gruppe von Atom-, Windkraft- oder Kriegsgegnern, von protestierenden Milchbauern, von demonstrierenden Neonazis oder Antifaschisten welche Rolle spielt, wer Vordenker, Logistiker, Organisator oder Mitläufer ist. Vor allem die Experten des Chaos Computer Clubs haben dies dem Gericht sachverständig geschildert.

Durch die Auswertung der Daten können auch die hierarchischen Strukturen in einer politischen Partei schnell analysiert werden. Es kann ganz quick herausgefunden werden, wer welchem Journalisten wann und wo welche Informationen gegeben hat. Eine Totalerfassung aller Daten ist daher für die Meinungs-, für die Kommunikations- und für die Pressefreiheit höchst gefährlich. Sie bedroht sämtliche Berufsgeheimnisse.

Das alles weiß und fürchtet das Bundesverfassungsgericht: Die Gefahren der Vorratsdatenspeicherung sind in seinem langen Urteil anschaulich zusammengefasst - aber die Konsequenzen sind nur halbherzig gezogen worden.

Das Urteil ist hart, aber nicht hart genug.

Es ordnet zwar an, die bisher gespeicherten Daten zu löschen, lässt aber die Speicherung und Weitergabe der Daten für die Zukunft umfassend zu. Auf der Basis der im Urteil geschilderten Gefahren hätte die Speicherung aber generell verboten werden müssen.

Das haben sich die Richter jedoch nicht getraut, weil es sonst einen Rechtskrieg mit der Europäischen Union gegeben hätte. Den versucht Karlsruhe zu vermeiden. In Brüssel hängen die Grundrechte noch nicht so hoch wie in Karlsruhe, und wie es der Europäische Gerichtshof damit hält, weiß man noch nicht so genau. Die Zeit, in der man dem Konflikt nicht mehr ausweichen kann, rückt aber näher.

Das Schicksal der Grundrechte

Das Bundesverfassungsgericht hätte die generelle Vorratsdatenspeicherung gern ganz generell für grundgesetzwidrig erklärt. Die Richter hätten zu diesem Zweck erklären müssen, dass die EU-Richtlinie, die die Vorratsdatenspeicherung vorschreibt, vom EU-Recht nicht gedeckt sei.

Doch das Verfassungsgericht hat die Richtlinie nicht angetastet, sondern - ähnlich wie beim Lissabon-Vertrag - nur deren Umsetzung in deutsches Recht moniert und hierfür bessere Regeln aufgestellt.

Das ist in Ordnung, aber nicht ausreichend.

Auf diese Weise werden die fundamentalen Gefahren der Datenspeicherung auf Vorrat nur ein wenig verkleinert, aber nicht beseitigt. Das Gericht weiß um das Potential zur Freiheitsgefährdung, die in der Vorratsdatenspeicherung steckt. Die ganze Sache ist ihm nicht geheuer. Deshalb klagt und warnt und droht es in seinem Urteil. Deshalb versucht das Gericht, die Ampeln für weitere Eingriffe in die Privatheit der Bürger auf Rot zu stellen - auch auf europäischer Ebene.

Man muss leider befürchten, dass solches Warnen und Drohen nichts hilft. Den Grundrechten der Bürger und ihrer Privatsphäre könnte es so ergehen wie dem Paulinchen im Struwwelpeter. In dieser Geschichte sind es zwei Katzen namens Minz und Maunz, die vor den Zündeleien warnen: "Und Minz und Maunz die Katzen, erheben ihrer Tatzen. Sie drohen mit den Pfoten: Der Vater hat's verboten! Miau! Mio! Miau! Mio! Lass stehn, sonst brennst Du lichterloh!"

So ähnlich liest sich das Karlsruher Urteil. Sechs Richter des Ersten Senats sind Minz und Maunz und drohen mit den Pfoten (zwei andere Richter schnurren brav, sie haben ein abweichendes Votum abgegeben). Paulinchen hört bekanntlich die Katzen nicht, "das Hölzchen brennt gar hell und licht". Und so bleibt am Schluss vom Paulinchen nur ein Häufchen Asche übrig. Das darf den Grundrechten in Europa nicht passieren.

Wenn die Totalspeicherung der Telekommunikationsdaten auf Vorrat so gefährlich ist, wie es die Verfassungsrichter beschrieben haben - und sie haben recht mit dieser Beschreibung - dann dürfen sie es bei bloßen Warnungen nicht mehr belassen. Der Jubel über das wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichts bleibt einem daher im Halse stecken.

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