TV-Ereignis Olympia:"Silber ist das neue Gold"

Bei olympischen Spielen eine Silbermedaille zu gewinnen, ist nichts Verwerfliches. Einige Kommentatoren lassen aber diesen Eindruck entstehen. Wie schade.

Verena Wolff

Enttäuscht waren die Kanutinnen, unendlich enttäuscht. Dabei hatten sie eben eine Olympische Silbermedaille gewonnen, dort draußen, auf dem Dorney Lake in Eton. Kein Grund zur Trauer eigentlich. Und vor allem: Auf ungefähr 487 der 500 Streckenmetern sah es so aus, als würden die vier Damen gar keine oder bestenfalls die Bronzemedaille einfahren.

London 2012 - Kanu - Carolin Leonhardt, Franziska Weber, Katrin Wagner-Augustin und Tina Dietze

Carolin Leonhardt, Franziska Weber, Katrin Wagner-Augustin und Tina Dietze bei der Verleihung ihrer Silbermedaillen am 8. August.

(Foto: dpa)

Die anderen Boote waren lange Zeit einfach schneller als das von Carolin Leonhardt, Franziska Weber, Katrin Wagner-Augustin und Tina Dietze. Die Blätter der Paddel rotierten im Wasser wie ein Uhrwerk, die vier Frauen bissen und bissen. Doch die Ungarinnen waren schneller.

Reporter Jörg Klawitter wurde nicht müde, das immer wieder zu betonen. Das schwarze Boot der Ungarinnen. Dahinter das weiße der Deutschen. Und wiederum dahinter das andere weiße Boot der Weißrussinnen, die lange Zeit die Silbermedaille sicher zu haben schienen.

Er redete sich in Rage während der knapp eineinhalb Minuten, die ein 500-Meter-Kajakrennen dauert. Und er trug die deutschen Damen auf den Silberrang - denn so ersichtlich war das auf den ersten Blick nicht, dass die Kajakfahrerinnen die Bootsspitze haarscharf vor der der Weißrussinnen über die Ziellinie katapultieren. "Sie gewinnen Silber", rief er aus. Und dann, schon deutlich matter: "Silber für's deutsche Boot." Und: "Glückwunsch an die Ungarinnen, die die deutsche Siegesserie gebrochen haben."

Das deutsche Boot hat Silber gewonnen. Das ist nicht schlimm. Am Tag zuvor haben die Turner Marcel Nguyen und Fabian Hambüchen an Barren und Reck Silber gewonnen. Am Tag davor Kugelstoßer David Storl. Das ist alles nicht schlimm. Im Gegenteil! 15 Mal schon wurde deutschen Athleten in London eine Silbermedaille um den Hals gehängt. Platz vier im Silbermedaillenspiegel. Glückwunsch! Damit sind sie die Zweitbesten der jeweiligen Disziplin. Kein Grund zur Trauer.

Eigentlich. Doch bei den Kommentatoren hat man oft das Gefühl, die Welt gehe unter ob der Silbermedaille, des verlorenen Goldes. Denn kaum, so der Eindruck, ist ein hoffnungsvoller Sportler in einer Disziplin dabei, soll er auch bitte Gold gewinnen. Oder dann eben nichts. Aber nicht Silber.

"Da kann er sich freuen"

Auch bei der grandiosen Übung von Fabian Hambüchen am Reck war das so. Der kleine, muskelbepackte Turner ist bekannt, man zählte ihn zum Favoritenkreis. Er turnte hervorragend, eine riesige Last schien nach der Vorführung von ihm abzufallen. Danach kam der Niederländer Epke Zonderland. "Der fliegende Holländer", wie sie ihn nennen. Er turnte grandios. Es schien, er flog mehr in der Luft herum, als er die Hände am Reck hatte. Eine Wahnsinns-Übung.

Und was sagen die Kommentatoren in ihre Mikrofone? "Es sind nicht immer diese spektakulären Elemente, die die meisten Punkte bringen." Trocken, vollkommen unenthusiastisch. Wie schade. Es machte Spaß, dem Niederländer zuzuschauen, wie er da wirbelte am Reck. Kraftvoll, und doch cool und ganz befreit. Und schließlich mit Gold belohnt. Die Reporter schienen aus ihrer Kabine den deutschen Turner noch irgendwie ganz nach oben aufs Treppchen befördern zu wollen.

Beispiel drei: Das Kugelstoßen. Rang zwei, Silber, für David Storl. Neue persönliche Bestleistung für den 22-Jährigen aus Chemnitz, nur drei Zentimeter kürzer stieß er als Titelverteidiger Tomasz Majewski aus Polen. Aus dem Fernseher klang: "Da kann er sich freuen, der David Storl." Und dann noch ein Satz im Sinne von, er müsse ja auch noch Platz haben nach oben, schließlich sei er noch jung. Wie bitte? Ein deutscher Kugelstoßer gewinnt eine Silbermedaille, mit einer hervorragenden Weite, von der die meisten Konkurrenten nur träumen können. Und "der Junge hat noch Potential nach oben"?

Nicht wirklich verpasst

Begeisterung klingt anders. Das war auch bei den vier Kajak-Damen so, die die Fernsehkamera gleich einfing, nachdem sie sich aus dem Boot geschält hatten. Trauer, Unzufriedenheit, Enttäuschung - über eine verpasste Goldmedaille, die nicht wirklich verpasst war. Denn das schwarze Boot der Ungarinnen war deutlich vorn. Der Außenreporter schien dem Rennen krampfhaft etwas Positives abgewinnen zu wollen. Vergeblich.

Die Silberfrauen haben eine Serie gebrochen: Seit den Spielen 1996 in Atlanta hat der Vierer-Kajak immer die Goldmedaille geholt. Dieses Jahr eben nicht. Katrin Wagner-Augustin, die so ihren fünften Olympiasieg verpasste, freute sich hauptsächlich, dass sie Feierabend hat. Und kommentierte den Erfolg trocken: "Momentan scheint es, als würde ganz Deutschland Silber holen. Silber ist das neue Gold."

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