Transplantations-Skandal:Kontrolleure außer Kontrolle

Warum wurden die Organ-Tricksereien nicht schon viel eher aufgeklärt? Nirgends sind die Regeln so verworren wie in Deutschland. Gleich mehrere Institutionen und Kommissionen haben die Aufsicht über die Transplantationsmedizin. Doch die Verantwortung für den Organspende-Skandal scheint niemand zu übernehmen.

Charlotte Frank und Guido Bohsem

Am Ende, als der Skandal endlich restlos aufgeklärt werden sollte, flogen die Beschuldigungen und Abkürzungen nur so hin und her. Da fielen die Namen so vieler Organisationen und Kommissionen und Verantwortlicher, dass von Aufklärung keine Rede sein konnte. Wer hatte denn nun geschlampt, wer weggeschaut? Wer hätte wen kontrollieren müssen, wer den Skandal verhindern können? Wer hat die Macht im Organspendesystem? Wer ist wer?

Grafik Eurotransplant

Eurotransplant ist für die Zuteilung der Spenden zuständig. Die Grafik zeigt den Anteil der Spender pro Land.

(Foto: SZ-Grafik)

Es gibt wohl kaum ein Land auf der Welt, in dem die Strukturen der Organspende so komplex sind wie in Deutschland", sagt Günter Kirste. Der Chirurg ist medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die einer der Schlüsselakteure in dem System ist. Die DSO steht seit Jahren in der Kritik, immer wieder wird ihr Intransparenz nachgesagt - naheliegend also, dass sie vielen auch in den Fällen von Göttingen und Regensburg als irgendwie mitschuldig galt. Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn etwa warf ihr vor, Aufsichtspflichten verletzt zu haben. Die DSO weist das zurück.

Tatsächlich hat die DSO gar keine Aufsichtspflichten, sie hätte den Betrug kaum verhindern können. Denn das System der Organspende ist in Deutschland dreistufig aufgebaut. Die Stufen heißen Organspende, Organverteilung, Organtransplantation. Jede Stufe ist bei einer anderen Organisation angesiedelt.

So ist die DSO allein für Schritt eins, die Organspende, zuständig. Sie weiß also nur, wer Organe geben kann, nicht, wer welche braucht. Diese weiterführende Information hat die Organisation Eurotransplant, die für Schritt zwei zuständig ist, die Organverteilung. Eurotransplant kann also Geber und Empfänger abgleichen und Schritt zwei veranlassen, die Organverteilung. Für Schritt drei, die Organtransplantation, sind dann die Transplantationszentren verantwortlich. Über den drei Instanzen steht die Bundesärztekammer. Sie legt die Richtlinien fest, nach denen Organe verteilt werden, und kontrolliert Unregelmäßigkeiten. Dazu ist sie als mächtiger Teil der ärztlichen Selbstverwaltung gesetzlich befugt.

Die "Prüfungskommission", von der zuletzt immer wieder die Rede war, ist also auch bei der Bundesärztekammer angesiedelt. Sie ist eines von zwei Gremien der Kammer, die die Organspende überwachen: Die "Überwachungskommission" ist für die Kontrolle der Tätigkeit der DSO zuständig, die "Prüfungskommission" für Eurotransplant und die Kliniken. Die Trennung der beiden Kommissionen ist allerdings theoretischer Natur. Praktisch halten sie alle Sitzungen gemeinsam ab und arbeiten eng zusammen. Sie gehen Meldungen über Fehler, Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten im System auf den Grund. Ist an den Fällen etwas dran, unterrichten die Kommissionsmitglieder die zuständigen Länderministerien.

Alle hatten Kenntnis vom Regensburger Fall

Soweit funktionierte das System also im Jahr 2005, als in Regensburg der Fall einer unrechtmäßig nach Jordanien geschafften Leber bekannt wurde. Die Auffälligkeit wurde der Prüfungskommission gemeldet, die den Fall in einem 13-seitigen Bericht aufarbeitete. Dieser Bericht wurde unter anderem dem Bayerischen Sozialministerium, dem Justizministerium, dem Wissenschaftsministerium, der Klinikleitung des verdächtigten Transplantationsmediziners und der Landesärztekammer in München weitergeleitet; auch der Leitendende Oberstaatsanwalt in Regensburg wurde eingeschaltet. Alles, wie es sein muss, also. Aber dann: passierte nichts.

Wie konnte das sein?

Haben die Ministerien geschlampt? Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) reagiert gereizt: "Dieser Vorwurf geht völlig an der Realität vorbei", sagt sie, schließlich habe man doch den Staatsanwalt eingeschaltet, "zur Prüfung einer strafrechtlichen Relevanz".

Hat also der Staatsanwalt geschlampt? Nein, heißt es, die Verfahren seien eingestellt worden, da kein Verstoß gegen Straftatbestände nachweisbar gewesen sei.

Und die Mitglieder der Prüfungskommission, hätten sie daraufhin nicht nachhaken müssen? Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, schüttelt den Kopf, am Donnerstag auf der Pressekonferenz in Berlin. Das habe man getan. Auch auf die Frage, ob die Kammer keine disziplinarrechtlichen Schritte hätte einleiten können, aufgrund von Verstößen gegen das Standesrecht, winkt er ab. "Drei Behörden haben trotz eines ausführlichen und guten Berichts der Kommission kein Fehlverhalten festgestellt", sagt er. In so einem Moment falle es der Berufsorganisation schwer, mit harten Maßnahmen vorzugehen.

So wirkt der Regensburger Fall wie eine Kombination aus Wegschauen, Ungenauigkeit, Untätigkeit und Fehleinschätzungen. Ein drastisches Versagen vieler, das den Weg ebnete für weitere Betrügereien, später in Göttingen, und für den wohl größten Vertrauensverlust in der Geschichte der Organspende.

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