Präsidentschaftswahl in den USA:Auf in den blutigen Klassenkampf

Marktgläubiger Ur-Kapitalist gegen selbst erklärten Beschützer der Mittelklasse: US-Präsidentschaftskandidat Romney rückt mit seinem Vize Ryan nach rechts. Das spaltet die Nation und hilft dem amtierenden Präsidenten Obama.

Christian Wernicke, Washington

Ausgerechnet das Manöver seines Gegners hat Barack Obama einen Etappensieg beschert. In der Schlacht ums Weiße Haus ist es dem Präsidenten nun gelungen, seinem Herausforderer, dem verzagten Mitt Romney, die demokratische Waffenordnung aufzuzwingen.

Romney hat, indem er den konservativen Chefideologen Paul Ryan zu seinem Vizekandidaten kürte, endgültig akzeptiert, dass am 6. November weit mehr ansteht als nur ein Referendum über Obamas (in der Tat bescheidene) Job-Bilanz. Bei dieser Wahl wird nun tatsächlich gewählt - zwischen zwei grundverschiedenen Visionen über die innere Verfasstheit der USA.

Das Land wird ein blutiges Duell erleben: Obama, selbst erklärter Beschützer der Mittelklasse, gegen Romney, den marktgläubigen Ur-Kapitalisten. Einen solch scharfen Kontrast hatte der Republikaner bisher vermieden. Romney wollte gewinnen, indem er immer nur Obamas Schwäche - die elendig hohe Arbeitslosigkeit - anprangerte. Ein klares Programm, Kanten scheute er. Deshalb war Romney, allen voran in den Augen vieler Parteigänger, zuletzt zu einer Figur verkommen, die fade wie feige für nichts stand.

Nun leiht sich Romney ein politisches Antlitz: Paul Ryan, 42 Jahre junger Feuerkopf der Rechten, schärft das Profil und rückt den Spitzenkandidaten nach rechts. Das mag die Basis begeistern, aber birgt auch Risiken. Dieser Juniorpartner passt auf geradezu absurde Weise zu jenem Zerrbild, das die Demokraten seit Wochen malen: Romney, der vermeintlich kalte, geldgierige Multimillionär, müsste kaum mehr einen Cent Steuern nach Washington überweisen, bekäme sein Zögling Ryan tatsächlich die Chance, seine radikalen Fiskalkonzepte umzusetzen.

Nur magere 0,1 Prozentpunkte

Amerika erwartet ein brutaler Lagerwahlkampf, ein ideologisch aufgeladenes, drei Monate währendes Politgewitter. Dabei dürfte der Stern von Paul Ryan schnell etwas verblassen. Als eine der wichtigsten Aufgabe eines jeden Vizekandidaten gilt es, der Partei den Sieg im jeweiligen Heimatstaat zu schenken. Ryan stammt aus Wisconsin, einem von zehn hart umkämpften Bundesstaaten. Dort sind, Demoskopen zufolge, Romneys Chancen nun um magere 0,1 Prozentpunkte gestiegen.

Die lächerlich kleine Ziffer hilft, die Bedeutung des Vizeaspiranten zurechtzurücken. Von all den vielen Kandidaten, die in den vergangenen Jahrzehnten zur Vizepräsidentschaft antraten, hat nachweislich nur einer die Wahl entschieden. Das war anno 1960, als Lyndon B. Johnson seinem Parteifreund John F. Kennedy den Sieg in Texas und damit den Einzug ins Oval Office schenkte.

Seither galt als oberste Prämisse, der Vize möge bitte schön wenigstens keinen Schaden anrichten. Ein hehrer Wunsch, der oft genug nicht in Erfüllung ging. Die Demokratin Geraldine Ferraro, zunächst umjubelt als erste Frau auf einem präsidentiellen Ticket, wurde aufgrund der obskuren Finanzen ihres Ehemanns schnell zum Ballast für Walter Mondale, der 1984 kläglich verlor.

Vier Jahre später erwies sich der Republikaner Dan Quayle als nationale Lachnummer, dennoch gewann George H. W. Bush souverän. Die meisten Möchte-gern-VPs sind längst vergessen. So wie der wirre James Stockdale, der Vize von Steuerrebell Ross Perrot.

Ja, Paul Ryan ist ein seriöser Stellvertreter. Einer, der seinem Chef Romney mehr Gewicht und Substanz verleiht. Das ist allemal besser als Sarah Palin, die mit ihrem schrillen Krakeelen 2008 dem alten Senator John McCain eher schadete. Und doch wollen die Amerikaner, wenn sie am 6. November ihr Kreuz machen, weder einen Vize noch einen Juniorpartner küren. Sie wählen einen Präsidenten - und in diesem eigentlichen Rennen liegt Barack Obama klar vor Mitt Romney. Vorerst jedenfalls.

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