"Copacabana" von Marc Fitoussis:Späthippie sucht Bürgerlichkeit

Sie ist nervig, lebenslustig, verantwortungslos und bezaubert mit ihrer flirrenden Energie - Isabelle Huppert spielt den Paradiesvogel Babou in Marc Fitoussis neuem Film "Copacabana". In 107 Minuten verwandelt sie sich in eine gute, bürgerliche Mutter - zumindest fast.

Martina Knoben

Schmetterling, Paradiesvogel, Weltenbummlerin, aber auch: Nervensäge, Chaotin, Langzeitarbeitslose . . . Alles das und sehr viel Widersprüchliches mehr ist Babou, die mit hinreißendem Charme und flirrender Energie von Isabelle Huppert gespielt wird. Der neurotische Frauentypus, den sie immer wieder verkörperte, ist hier ins Leichte, Komödiantische gekehrt; für Regie-Newcomer Marc Fitoussi ist die Besetzung ein echter Glücksfall. Babou bildet den schillernden Mittelpunkt eines Films, den man für britisch halten könnte, seiner Sozialkritik, der grauen Farbpalette (die Nordsee im Winter!) und der tragikomischen Grundierung wegen - wenn diese dann doch sehr verführerische Frauenfigur im Zentrum nicht wäre.

62. Internationales Filmfestival in Cannes - Jurypräsidentin Huppert

Die französische Schauspielerin Isabelle Huppert spielt in Marc Fitoussis neuem Film die hinreißende Babou.

(Foto: dpa)

Babou ist jenseits der Fünfzig, sie ist viel gereist in ihrem Leben, weltoffen und lebenslustig, aber offenbar unfähig, feste Bindungen einzugehen (die einzige Ausnahme ist ihre Tochter). Sie ist flippig, keineswegs stilsicher und ziemlich verantwortungslos, ihren Lebensunterhalt verdient ihre Tochter Esméralda als Serviererin. Babou wird uns als ein so verrücktes Huhn vorgestellt, dass wir Esméralda sogar verstehen, als diese ihre Mutter zu ihrer Hochzeit ausdrücklich auslädt. Esméralda, die gegen Babous sorgloses Späthippietum mit Spießigkeit opponiert, will bei ihrer Hochzeit alles richtig machen, gilt es doch, sich auf die vermeintlich sichere Seite des Bürgerlichen und Etablierten zu retten.

Fitoussi ist mit der Besetzung Esméraldas ein weiterer Coup gelungen, wird diese doch von Isabelle Hupperts "echter" Tochter Lolita Chammah gespielt. Die Wärme zwischen den beiden ist deutlich zu spüren - umso herber wirkt Esméraldas Zurückweisung. Babou ist tief verletzt und beschließt, sich ein respektables Leben zuzulegen. Sie heuert bei einer Immobilienfirma an, für die sie im belgischen Ostende Ferienapartments vermieten soll, was keine leichte Aufgabe ist im Winter und in jedem Fall ein mieser Job. Babou und ihre Kolleginnen stehen auf der Straße in der Kälte wie Nutten. Nur ein bisschen komisch, eher zum Schaudern ist auch das Marketing-Sprech der Profiwerber, ein honigsüßer Leim, der einstudiert wirkt wie von Automaten.

Da erinnert "Copacabana" an die Komödien von Ken Loach. Und Babou gewinnt zunehmend Sympathien - ihre Lebenslust und Offenheit sind erst jetzt richtig zu erkennen. Sie kommen ihr im neuen Job sogar zugute, zunächst jedenfalls. Wirklich kapitalismuskompatibel aber kann eine wie sie natürlich nicht sein. Was hier vorgeführt wird, ist keineswegs ein Kapitalismus ohne menschliches Antlitz; es ist nur so, dass die Menschen, die daran beteiligt sind, gelegentlich unmenschliche Entscheidungen treffen. Weil Marc Fitoussi seine Heldin sehr liebt, wird kein Drama daraus, und jede Frau bekommt, was sie verdient: einen stockbürgerlichen Ehemann, einen 16-Stunden-Tag oder eben die Copacabana.

COPACABANA, F 2010 - Regie, Buch: Marc Fitoussi. Kamera: Hélène Louvart. Schnitt: Martine Giordano. Mit: Isabelle Huppert, Lolita Chammah, Aure Attika, Jurgen Delnet. Kairos, 107 Minuten.

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