Russland und die "Pussy Riots":Ungenierter Abschied vom Rechtsstaat

Der Prozess war ein bizarres Schauspiel, der Schuldspruch passt in Putins Kalkül: Mit der Verurteilung zu zwei Jahren Straflager für die drei Aktivistinnen von "Pussy Riot" zeigt Russland der Weltöffentlichkeit, dass es sich von seinem Weg zu Rechtsstaat und Demokratie verabschiedet hat. Und das auch noch ohne jede Scheu. Dass die Aktivistinnen nun als Gesicht der Opposition gelten, hilft dem Präsidenten sogar.

Julian Hans

Eines Tages, so hat es die Angeklagte Maria Aljochina in ihrem Schlusswort vor zehn Tagen angekündigt, wird der Staatsmacht für diesen Prozess noch die Schamesröte ins Gesicht steigen. Das Urteil, das die Richterin Marina Syrowa jetzt im Moskauer Chamowniki-Gericht verlesen hat, war nun der konsequente letzte Akt in einem bizarren Schauspiel.

Proteste gegen Pussy-Riot-Urteil

Solidaritätsaktion für Pussy Riot: Die drei Aktivistinnen sind nun das Gesicht der Opposition.

(Foto: dapd)

Mit ihrer Punk-Andacht gegen Putin in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale hätten sich Aljochina, 24, Nadjeschda Tolokonnikowa, 22, und Jekaterina Samuzewitsch, 30, des Rowdytums aus religiösem Hass schuldig gemacht, befand das Gericht. Dafür müssen die drei Frauen jetzt zwei Jahre ins Straflager.

Der Schuldspruch zeigt zwei Dinge. Erstens: Der Kreml hält eisern an seinem obersten Credo fest, sich internationalem Druck in keinem Fall zu beugen. Zweitens: Wladimir Putin hat sich von einem Weg zu Rechtsstaat und Demokratie endgültig verabschiedet und bemüht sich auch kaum noch, das zu verbergen.

Diktaturen sind der neue Vergleichsmaßstab

Mit seinem Kommentar, in anderen Ländern hätten den Täterinnen ganz andere Strafen gedroht, hat Putin unlängst klar gemacht, woran er sich bei der Entwicklung seines Landes orientiert. Nicht mit liberalen Demokratien vergleicht er Russland, in denen Menschenrechte geschützt und rechtsstaatliche Verfahren gewährleistet werden. Er schielt auf religiöse Regime wie den Iran oder Parteidiktaturen wie China und bemerkt sarkastisch: Bis wir so weit sind, ist noch Spielraum.

Von Beginn an trug das Verfahren alle Züge eines politischen Schauprozesses, der so absurd wirkte, dass sich Beobachter entgeistert fragten, ob das gerade wirklich passiert. Das Verfahren leitete eine Richterin, die bis dato wenn überhaupt allein dadurch aufgefallen war, dass sie Diebstähle und kleine Einbrüche im Akkord abhandelte.

Eine unerfahrene Erfüllungsgehilfin ohne Rückgrat, sich politischem Druck entgegenzustellen. Sie lehnte es ab, Zeugen der Verteidigung zu hören, die am Ort des Geschehens gewesen waren. Stattdessen kam als Zeuge der Anklage ein Mann zu Wort, der lediglich ein Video des Auftritts im Internet gesehen hatte und davon nach einer Aussage so verletzt war, dass er es immer wieder anklicken musste.

Solidarität im Ausland, Kopfschütteln in der Provinz

Die Anklageschrift basierte zum Teil auf einer Synodalerklärung aus dem siebten Jahrhundert, die das Tanzen in der Kirche verbietet. Von der "Herabwürdigung jahrhundertealter Grundlagen der russisch-orthodoxen Kirche" war die Rede und vom "Verlust heiliger christlicher Werte", gerade so, als hätten nicht Juristen die Anklage verfasst, sondern Kleriker. Entsprechende Straftatbestände kennt das russische Strafrecht nicht.

In den Aussageprotokollen der Nebenkläger wiederholten sich Sätze bis hin zu den Rechtschreibfehlern - weshalb die Verteidiger den Verdacht äußerten, sie seien im Copy-Paste-Verfahren entstanden. Ein Rottweiler der Justizbeamten, der mit hängender Zunge das Geschehen verfolgte, war die passende Requisite.

Das Ansehen Russlands in der Welt wird dauerhaft unter diesem Spektakel leiden. Eines allerdings ist den Strategen des Kremls bestens geglückt - und Madonna und die vielen anderen, die auf der ganzen Welt mit Videos und Solidaritäts-Happenings in guter Absicht auf den Fall aufmerksam gemacht haben, haben ohne es zu wollen dabei mitgeholfen: Pussy Riot wird von nun an als das Gesicht der russischen Opposition wahrgenommen.

Fast jeder zweite Russe hält das Verfahren für gerecht

Im liberalen Westen ist das kein Problem. Die meisten Menschen in Russland aber - selbst diejenigen, die der Machtelite gegenüber kritisch eingestellt sind - können sich nur schwer mit einer Gruppe linker Punks identifizieren, die in bunten Masken vor der Ikonenwand einer Kirche herumturnen.

In der russischen Provinz kann kaum jemand etwas mit dem postmodernen Zitatenschatz anfangen, mit dem die jungen Frauen ihre Aktionen unterfütterten. In einer Umfrage erklärte fast jeder zweite Russe, das Verfahren sei in seinen Augen "objektiv und gerecht"

Diese Entfremdung, so das Kalkül des Kreml, wird sich auch auf das Verhältnis des Volkes zur Oppositionsbewegung auswirken und die alle Lager übergreifende Solidarität untergraben, die die Menschen im Winter zu Hunderttausenden gegen die Staatsmacht auf die Straße gebracht haben.

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