Wahlkampf in den USA:Amerikas Anti-Wahl

Barack Obama und sein Herausforderer Mitt Romney malen täglich in düsteren Farben aus, wie der jeweilige Gegner bei einem Wahlsieg Volk und Vaterland in den Untergang treiben wird. Was sie jedoch verschweigen, ist, wohin sie selbst Amerika führen würden. Und wie sie die tief verunsicherte Weltmacht lenken wollen, die sich seit fünf Jahren durch eine Dauerkrise kämpft.

Christian Wernicke, Washington

Amerika steht in Flammen. Noch 75 sehr lange Tage wird der Wahlkampf lodern, dann kürt das Volk einen neuen Präsidenten. Oder es bleibt beim Alten. Das Land glüht, wieder einmal. Aber es glüht anders als vor vier Jahren. 2008 fieberte die Nation einem Aufbruch entgegen, voll Leidenschaft entschied sie sich für Barack Obama, den Verkünder von "Hoffnung" und "Wandel".

Romney's Vice Presidential Pick Paul Ryan Campaigns In Virginia

In 75 Tagen wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten. Bleibt Barack Obama? Oder wird der Republikaner Mitt Romney Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika? Beide verschweigen bisher, wohin sie die verunsicherte Weltmacht führen wollen.

Im Bild: Protest gegen Mitt Romney bei einer Wahlkampfveranstaltung des Republikaners.

(Foto: AFP)

Nun brennt Amerika wieder, aber es brennt für - nichts. Demokraten und Republikaner fackeln mehr Geld denn je ab, beide Kampagnen lärmen seit Monaten. Aber sie produzieren nur Hitze, kein Licht. Statt heller Visionen offerieren beide Lager nur programmatische Finsternis.

Die Propagandaschlacht eskaliert

Amerikas Urnengang verkommt zur "Anti-Wahl". Barack Obama wie sein Herausforderer Mitt Romney malen täglich düster aus, wie der jeweilige Gegner Volk und Vaterland in den Untergang treiben werde. Hingegen verschweigen sie, warum - und vor allem: wohin - sie selbst die zutiefst verunsicherte Weltmacht lenken wollen.

Seit fünf Jahren quält sich die weltweit älteste Demokratie und größte Volkswirtschaft durch eine Dauerkrise. Doch keiner der beiden Gladiatoren entwirft Wegweisungen samt bitter nötigen Reformen für die Zukunft. Obama, so scheint's, will irgendwie weiterwurschteln. Und Romney erweckt den Eindruck, als strebe er zurück in die (für die USA seligen) Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Beide Männer bauen auf dasselbe tumbe Argument: dass der andere Kerl (noch) schlimmer ist als sie selbst.

Also eskaliert die Propaganda-Schlacht. Die Generalstrategen beider Lager verklären die Entscheidung am 6. November 2012 zur "wichtigsten Wahl seit 1860", also jenem Datum, auf das vier Jahre Bürgerkrieg, Verwüstung und hunderttausendfacher Brudermord folgten. Der Vergleich mit dem Civil War ist zwar dummes Zeug, aber auf Hader, Hass und Hetze verstehen sich beide Parteien am besten.

Laute Töne, lauer Inhalt

Die Republikaner haben mehr Übung, sie verunglimpfen Barack Obama seit Jahren. Mal ist der Demokrat ein Sozialist, mal ein Faschist, und immer "un-amerikanisch". Aber ebenso holzt Obama. Des Präsidenten Agitprop-Truppen zeichnen Mitt Romney als plutokratischen Steuertrickser und kapitalistischen Vampir, und Obamas Vize Joe Biden warnt gar, die Republikaner wollten, wie zu Sklavenzeiten, die Menschen wieder "in Ketten legen".

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In 75 Tagen wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten. Bleibt Barack Obama? Oder wird der Republikaner Mitt Romney Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika? Beide verschweigen bisher, wohin sie die verunsicherte Weltmacht führen wollen.

(Foto: AFP)

Laute Töne, lauer Inhalt: Daran wird sich nichts ändern, wenn nun beide Seiten auf pompösen Parteitagen die Truppen zum Kampf ums Weiße Haus mobilisieren. Weder Obama noch Romney fischen noch nach Stimmen in der Mitte, nur fünf Prozent wahrscheinlicher Wähler geben an, sie seien unentschlossen. Amerikas politische Polarisierung - von den Parteien befeuert, und ausgekocht von linientreuen Kabelsendern sowie stramm einseitigen Websites - zwingt zum Lagerwahlkampf. Die Kampfaufstellung im Innern erinnert merkwürdig an das Motto von Amerikas Anti-Terror-Krieg: "Bist du für uns oder gegen uns?"

Das führt zu absurden Verirrungen, wie das Beispiel Missouri zeigt. Da faselt ein erzkonservativer Republikaner mal von "schwerer", dann wieder von "gewaltsamer" Vergewaltigung (als gäbe es eine leichte oder gewaltfreie Variante) und wettert gegen Abtreibungen. Prompt bekundet das republikanische Establishment Abscheu.

Aber die Parteiaktivisten wollen ihren Fundi behalten, und laut Umfragen könnte der unsägliche Biedermann noch immer die Wahl zum Senator gewinnen. Das rechte Wahlvolk ist zwar nicht recht einverstanden mit den Sentenzen seines Kandidaten, aber der Hass auf dessen demokratische Gegenkandidaten ist allemal größer als die Vernunft.

Ähnliche Kräfte beherrschen inzwischen überall Amerikas Politik. Das wäre, ginge es um einen Schützenverein oder eine Theatergruppe, nicht weiter schlimm. Aber auf dem Spiel steht die Zukunft eines Landes, das Weltmacht ist (und vorgeblich auch bleiben möchte).

Niemand erwartet, dass Politiker mitten im Wahlkampf alle drängenden Probleme lösen, also etwa die Staatsverschuldung bremsen, den Zerfall von Straßen und Brücken stoppen oder das Elend miserabelster Schulen lindern. Aber ein paar Skizzen und Ideen wären schon wohlfeil. Die Uhr tickt, ein Berg unerledigter Entscheidungen wartet. Der Reformstau muss bis zum Jahresende abgetragen werden - oder es droht eine neue Budgetkrise, samt potenziellem Staatsbankrott plus Rezession.

Das ist der schlimmste Schaden dieses Kulturkampfes: Beide Lager verbrennen die Erde, die sie als Boden für überparteiliche Kompromisse brauchen. Das zerrüttet die Nation. Aber da sind sich Demokraten und Republikaner wenigstens einig: Schuld auch dafür sind die anderen.

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