Philosophin Judith Butler in Kritik:Schlammschlacht um Adorno-Preis

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Sie wird als "Israel-Hasserin" bezeichnet und erblickte in den Terror-Organisationen Hamas und Hisbollah progressive, soziale Bewegungen - im September soll die amerikanische Philosophin Judith Butler mit dem Adorno-Preis ausgezeichnet werden. Darf das sein? Eine Einladung, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Volker Breidecker

Judith Butler, die am 11. September in der Frankfurter Paulskirche mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis ausgezeichnet werden soll, ist eine amerikanische Intellektuelle, die in den Siebzigerjahren in Heidelberg studiert hat.

In einem Interview mit der Zeit sagte Judith Butler: "Ich bin mir nicht sicher, was Sie mit 'Israel' meinen, da sich dessen Grenzen ständig verschieben." (Foto: Jreberlein at en.wikipedia / CC-by-sa-3.0)

Damals, als sich die Welt noch geordnet in Gebiete links und rechts der Neckarbrücke unterteilen ließ, saugte Judith Butler die Hegel'sche Philosophie und deutsche Geisteswelt auf. Und nirgendwo sonst als auf Heidelberger Philosophenwegen - außer noch heute in den lieblich umschlossenen Parks amerikanischer Universitäten - ließ sich besser und in Absehung von der wirklichen Welt über dieselbe reflektieren und räsonieren.

Nur so konnte wohl geschehen, dass Butler vor einigen Jahren auf einem "Teach-in" ihrer kalifornischen Heimatuniversität Berkeley in den Terrororganisationen Hamas und Hisbollah "progressive" und der "globalen Linken" zugehörige "soziale Bewegungen" erblickte. Denn irgendwie - so kommentierte Butler sich selbst noch im Jahr 2010 in einem Interview mit der Tageszeitung - befänden sich doch beide Organisationen im "Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus".

Abgesehen davon, dass die politischen Begriffe "left", "right" und selbst "progressive" im öffentlichen Diskurs und im Bewusstsein der Nordamerikaner eine ganz andere, ungleich variablere und durchlässigere Bedeutung als in Europa haben, hat Butler seither in zahlreichen Interviews glaubhaft versichert, dass mit ihren damaligen Äußerungen keine Rechtfertigung der politischen Ziele und mörderischen Taten jener Organisationen verbunden gewesen sei. Die Begriffe habe sie vielmehr in rein "analytischer" und "deskriptiver" Absicht verwandt. Also geschenkt!

Schwerer wiegt allerdings Butlers nach wie vor erklärte Unterstützung für die internationale Boykottbewegung BDS ("Boycott, Divestment, and Sanctions"). In Israel wird diese vielfach als ein Versuch gewertet, den jüdischen Staat gezielt zu delegitimieren, seine Todfeinde aber zu legitimieren.

Anhaltendes Rumoren aus dem medialen Urwald

Ob ihrer öffentlichen Reden muss sich die Rhetorikprofessorin und streitbare Queer-Theoretikerin, die vor Jahren schon ein Buch "über die Risiken öffentlicher Kritik" ankündigte, also gar nicht wundern, wenn ihr neuerdings die Fetzen um die Ohren fliegen. Neuerdings, das heißt seit der Ankündigung der Stadt Frankfurt, Judith Butler als "eine der maßgeblichen Denkerinnen unserer Zeit" mit dem nur alle drei Jahre vergebenen Theodor-W.-Adorno-Preis auszuzeichnen.

Der erste Sturmlauf gegen diese Wahl fand bereits Anfang Juni statt. Jetzt aber wurde ein anhaltendes Rumoren aus dem medialen Urwald um die Berliner Zeitschrift Jungle World sogar auf die Seiten der weltweit beachteten Jerusalem Post gehievt. Dies wiederum hat - wie gestern gemeldet - den Zentralrat der Juden in Deutschland zu einer äußerst polemischen Erklärung seines Sekretärs Stephan J. Kramer provoziert: Butler, die selbst Jüdin ist, wird darin "eine bekennende Israel-Hasserin" genannt, und ein Kuratorium - ihm gehören unter anderen der Philosoph Axel Honneth und die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz an -, dem Kramer zufolge "die für seine Aufgabe erforderliche moralische Festigkeit" fehle, habe "Butlers Beitrag zur Philosophie formvollendet von ihrer moralischen Verderbtheit" getrennt.

Das ist starker Tobak, auch wenn der zuständige Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth in seiner Stellungnahme - die Kritik am Kuratorium und an der Preisvergabe zurückweisend - Kramers Bewertung als gleichwohl "einsichtig und verständlich" würdigt. Und in der Tat, wenn man nur einmal Butlers Äußerungen zum Thema Israel studiert, wird die Schärfe der Gegenkritik nur allzu nachvollziehbar: Wurde die Theoretikerin der sprachlichen Zeugung sozialer, kultureller, sexueller Praxis beispielsweise im Mai 2008 in einem Interview der Zeit gefragt, wann sie zum letzten Mal in Israel gewesen sei, so kam die Antwort: "Ich bin mir nicht sicher, was Sie mit 'Israel' meinen, da sich dessen Grenzen ständig verschieben."

Die Chance, selbst zu entscheiden

So erzeugt man just den Zorn, den man dann wieder beklagen darf, und betreibt doch nur das kokette Spiel des sich in überzogenen Sprechakten wechselseitigen Überbietens. In dieser Falle steckt Judith Butler, und der Zentralrat und sein Sekretär sind da jetzt ebenfalls hineingetapst.

Wie man da wieder herauskommt, zeigt das Jüdische Museum in Berlin, das Judith Butler für Mitte September zu einer Podiumsdiskussion mit dem Publizisten und Historiker Micha Brumlik eingeladen hat: Es geht um die Streitfrage "Gehört der Zionismus zum Judentum?", die nicht erst seit Butlers Kritik an der - wie es in der Ankündigung heißt - "Verengung des Judentums auf einen nationalstaatlich verstandenen Zionismus" gerade unter jüdischen Intellektuellen kontroverse Antworten gefunden hat.

Auf Anfrage der SZ gab Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums, zu der Schlammschlacht um die Vergabe des Adorno-Preises die weise Erklärung: "Indem das Museum zu einer öffentlichen Debatte zwischen Frau Butler und einem ihrer Kritiker einlädt, bietet sich der Öffentlichkeit die Chance, selbst zu entscheiden, ob Butler den verliehenen Preis zu Recht erhalten hat. Dazu laden wir herzlich ein." Dem schließen wir uns an.

© SZ vom 29.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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