US-Wahl:Romneys Businessplan für die "Amerika AG"

Mitt Romney ist ein schwacher Kandidat. Was er anbietet, sind hohle Appelle an Amerikas vergangene Größe und kalter Sozial-Darwinismus für eine Gesellschaft, die schon jetzt zerrissener denn je ist. Wer sein Programm liest, muss vermuten, er wolle nicht Präsident, sondern Vorstandsvorsitzender eines Landes werden.

Christian Wernicke, Tampa

Er steht nicht zur Wahl. Aber sein Geist wird täglich herbeigerufen, sein Vermächtnis von allen reklamiert: Ronald Reagan, der Gewinner des Kalten Krieges und seit Ende des Zweiten Weltkriegs wohl Amerikas prägendster Präsident, dient Barack Obama wie Mitt Romney als Leitbild, als Ikone. Der Demokrat hat sich mehrfach vor Reagans historischer Leistung verneigt. Und der republikanische Aspirant von 2012 will glauben machen, er könne in die Fußstapfen des 40. Staatsoberhauptes treten.

Nein, Romney kann es nicht. Wie sehr dem Mann dazu das Zeug fehlt, das hat er soeben in Tampa bewiesen. Vier Tage lang hat sich die Republikanische Partei in Florida daran abgemüht, diesem spröden Ex-Manager und wendehalsigen Ex-Gouverneur eine Seele einzuhauchen. Romney weiß um sein steifes Image. Deshalb diente er sich den Amerikanern in seiner Rede mehr als Mitmensch denn als Macher an.

Aber er ist und bleibt der Kandidat, der hofft, dass sein blendender Lebenslauf seine blasse Persönlichkeit überstrahlt. Romney verspricht einen "Umschwung", eine Wende, so ähnlich, wie er sie einst als Effizienzexperte mit maroden Unternehmen angestellt habe. Und er warb mit Sätzen wie diesem: "Die Zukunft ist unsere Bestimmung." Nein, dieser Kandidat wird nie zu einer Autorität heranreifen, die - wie einst Reagan - der kriselnden Nation den Glauben an einen "neuen Morgen in Amerika" geben kann.

Selbst wenn Romney wollte: Er dürfte auch gar nicht den Spuren des Idols folgen. Mal unterstellt, Ronald Reagan wäre auferstanden und aufgetreten in Tampa - die Delegierten hätten ihren Heiligen vermutlich als "Sozialisten" und "Verräter" aus dem Saal gejagt. Amerikas Republikaner sind im vergangenen Vierteljahrhundert radikal nach rechts gerückt. Sie mögen sich auf Reagan berufen. Aber dessen Politik würden sie verfluchen.

Denn Reagan war erfolgreich. So erfolgreich, dass seither viele Demokraten (inklusive Bill Clinton und Barack Obama) seinem prinzipiell marktwirtschaftlichen Kurs folgen. Reagans Diktum von 1981, dass die Regierung nicht die Lösung, sondern das Problem sei, ist längst Allgemeingut: Vier von fünf Amerikanern haben kein Vertrauen in Washington. Aber Reagan war zugleich Pragmatiker: Am Ende seiner Amtszeit 1989 standen 300.000 mehr US-Bürger im Dienst des Staates als beim Amtsantritt 1981, er stimmte einem Dutzend Steuererhöhungen zu, und er schmiedete Kompromisse mit den Demokraten, wo immer er konnte. All das gilt heute unter Republikanern als Häresie.

Romneys Plattitüden

Was Romney anbietet, sind nostalgische, aber hohle Appelle an Amerikas vergangene Größe - und kalter Sozial-Darwinismus für eine Gesellschaft, die schon jetzt zerrissener denn je ist. Wieder und wieder beschwört Romney, der Sohn aus bestem Hause, den klassenlosen amerikanischen Traum, also die Verheißung, dass jeder, der nur wolle, es in den USA vom Tellerwäscher zum Millionär bringen könne. Studien widerlegen dies jedoch längst als Mär: In den USA gelingt solch ein Aufstieg mittlerweile weit seltener als früher - seltener sogar als in Europa.

Romney und sein Vizekandidat Paul Ryan reden vage von Opfern. Aber unterm Strich würde sie nur denen etwas abverlangen, die ohnehin nichts oder zu wenig haben. Sie wollen Obamas verhasste Gesundheitsreform zurücknehmen. Sie wollen die Steuern von Einkommensmillionären um 200 000 Dollar senken - und die Mittelschicht belasten. Ihr diffuser Plan zur (in der Tat nötigen) Haushaltssanierung würde Darlehen für Studenten ebenso kürzen wie die Nahrungsmittelhilfe für die Ärmsten, sie würde Ausgaben für neue Straßen und Brücken, für Forschung und Innovation streichen. Ihr Rotstift streicht Amerikas Zukunft zusammen - denn ohne diese Investitionen ist Amerika schlecht gerüstet für die globalisierte Welt.

Romneys politisches Programm liest sich wie der Businessplan für eine "Amerika AG"; als wolle er nicht Präsident, sondern Vorstandsvorsitzender eines Landes werden. Ein Rezept für ein Gemeinwesen, für eine Nation mit innerem Zusammenhalt hat er nicht.

Hort der Bleichgesichter

Für diesen Kurs gibt es viele Gründe. Und einen Verdacht: Die Partei von Abraham Lincoln und Ronald Reagan ist ein Hort der Weißen. Neun von zehn Wählern in den republikanischen Vorwahlen waren Bleichgesichter. Das vielfältige, das bunte Amerika - die Minderheiten von Afroamerikanern, Latinos und Asiaten - findet sich bei den Demokraten. Auch die Republikaner kennen die demografischen Trends. Sie wissen, dass die weiße Mehrheit zur Mitte des Jahrhunderts nur noch die größte Minderheit im Land sein wird.

Aber sie reagieren mit Abwehrreflexen, mit Rufen nach verschärften Gesetzen gegen illegale Einwanderer, mit Argwohn gegenüber Sozialausgaben, die vorrangig an dunklerhäutige Mitbürgern fließen. Zwar buhlt Romney um die Stimmen von Latinos, aber vielerorts haben seine Parteifreunde Wahlgesetze durchgeboxt, die Hunderttausenden schwarzen oder braunen Wählern den Gang zu Urne versperren. So wirkt der republikanische Wahlkampf 2012 bisweilen wie die letzte Schlacht des weißen Mannes.

Nein, Mitt Romney ist ein schwacher Kandidat. Als stärkstes Argument bleibt ihm nur dies: Dass Amtsinhaber Obama nach knapp vier Jahren im Weißen Haus allein verantwortlich sei für Amerikas Krise, für Massenarbeitslosigkeit und Niedergang. Umfragen bedeuten, dass Romney aufholt, es wird knapp am 6. November. Die Wahrscheinlichkeit, dass bis dahin die Wirtschaft anzieht und sich die Stimmung für Obama aufhellt, ist allemal geringer als Romneys Chance, mit millionenteurem Werbeaufwand seine mattes Image nachzupolieren.

Auch Obama schwächelt

Und auch Barack Obama schwächelt ja. Der Amtsinhaber hat längst die Aura des Helden und Erneuerers verloren. Er ist ergraut und ermattet von fast vier Jahren solider Realpolitik. Er hat Historisches geleistet wie die Gesundheitsreform. Aber viele seiner Vorhaben scheiterten jämmerlich im Parteienkrieg von Washingtons Kongress. Seinen Anspruch von 2008 jedenfalls, er wolle - wie einst Reagan - die Nation den Sternen entgegen "auf eine neue Flugbahn" heben, hat er verfehlt. Er ist kein großer Präsident, auch jetzt nicht, da er dank Romney weniger klein wirkt.

Im Wahlkampf wirbt Obama vernünftig für sozialen Ausgleich, für eine Modernisierung des Landes. Der Rest ist so wahr wie fade: dass der Wandel eben vier weitere Jahre bräuchte. Das ist zu lau, um die Anhänger zur Wahl zu locken. Obama muss beim Parteitag der Demokraten nächste Woche eine neue, mitreißende Botschaft finden. Die Formel, dass Romney schlechter wäre fürs Land, stimmt. Aber falls Obama nicht mehr einfällt, wird genau das Wirklichkeit werden.

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