TV-Kritik zu Günther Jauch:Viel geklickt, Gehirn trotzdem noch da

Das Internet nimmt uns das Denken ab, macht uns aggressiv und süchtig: Den Thesen des Psychiatrieprofessors Manfred Spitzer sollte die Runde bei "Günther Jauch" auf den Grund gehen. Ganz peinlich wurde es nicht, am Ende blieb es eine Sendung aus zweiter Hand, die auf die wichtigste Frage keine Antwort gab.

Mirjam Hauck

Manfred Spitzers Buch "Digitale Demenz" mit dem Untertitel "Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen" führt seit einiger Zeit die Spiegelbestsellerliste an. Darin führt der Ulmer Psychiatrieprofessor kurz zusammengefasst aus, dass digitale Medien dick, dumm, aggressiv, einsam und krank machen - und natürlich süchtig. Günther Jauch ließ es sich dennoch nicht nehmen, Spitzers Thesen in seiner Sendung im Eingangsstatement noch einmal zuzuspitzen: Das Internet mache süchtig - wie Heroin.

Da war die Messlatte gesetzt für den Sonntagabend-Talk. Und man muss Günther Jauch eines zugestehen - übersprungen hat sie hernach keiner der Diskutanten, selbst Spitzer nicht. Vom Medienjournalisten Stefan Niggemeier noch als Thilo Sarrazin unter den Psychiatern bezeichnet, blieb er unter seinen Möglichkeiten. Er kratzte an der Latte lediglich mit dem hübschen Bonmot "Wir klicken uns das Gehirn weg".

Von den anderen drei Mitdiskutanten erhielt er wenig bis keine Unterstützung, für Ranga Yogeshwar sind Spitzers Thesen zu pauschal, es gehe einfach darum, eine Gebrauchsanleitung für die Gesellschaft zu finden. Petra Gerster findet, dass Computer/Internet die Klugen klüger und die Dummen dümmer machen und der Kindermedienforscher Klaus-Peter Jantke hat seinem Sohn im Alter von vier Jahren gleich einen Laptop gekauft.

Bessere Noten ohne Xbox

Der saß zwar nicht im Publikum, dafür aber ein Sohn Spitzers, dem der Papa in der zweiten Klasse den Fernseher entzogen und in der achten Klasse die Xbox weggenommen hatte. Brav referierte der junge Mann nun, dass sein Notendurchschnitt sich sogleich von 2,8 auf 1,8 verbessert habe.

Ebenfalls im Publikum war Christoph Hirte platziert, dessen Sohn computerspielsüchtig wurde. Seinen Sohn hat Hirte seit fünf Jahren, wie er berichtete, zwar nicht mehr gesehen, das hält ihn aber nicht davon ab, als Experte zum Thema Computerspielsucht Vorträge zu halten und durch die Medien zu tingeln.

Überhaupt war es eine Sendung aus zweiter Hand. Die Kinder der Diskutanten wurden für jedes Pro und Contra herangezogen. Gersters Sohn hat den Absprung aus der drohenden Computerspielsucht gerade noch so geschafft, dank aufmerksamer Eltern und eines engagierten Lehrers. Die Yogeshwar-Kinder sind allesamt in die digitale Medienkompetenz hineingeboren, sie wissen mit Google und Facebook umzugehen und könnten den Rechner auch mal ausschalten. Nur der arme Spitzer-Sohn, der hatte die etwas rabiate Nachhilfe nötig und ist jetzt quasi offline.

Weit weg von der jugendlichen Lebenswelt

Wie die Lebenswelt der Jugendlichen und jungen Erwachsenen tatsächlich aussieht? Die Zuschauer der ARD werden es in diesem Leben wohl nicht mehr erfahren.

Als eher jüngerer und eher internetaffiner Gast war wohl zunächst der ehemalige Viva-Moderator Nils Bokelberg geladen. Schreibt er in seinem Blog. Er sei aber deshalb nicht hingegangen, da er den "technologiefeindlichen Blödsinn" Spitzers nicht unterstützen habe wollen, und die Sendung doch nur dazu beitrage, dass Spitzer noch mehr seiner Panik schürenden Bücher verkaufe. Er wolle einfach nicht der "kleine, junge, unwissenschaftliche Trottelnerd sein". Nun ja, er hätte keine Angst haben müssen. Mama Gerster und Papa Yogeshwar hätten ihn sicher bei der Hand genommen.

Aber daheim bleiben und den Fernseher auslassen ist sowieso keine schlechte Lösung. Wie hat Manfred Spitzer im Jahr 2005 in einem Buch bereits festgestellt: Fernsehen macht dick, dumm und gewalttätig.

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