ADAC-Stauberater im Einsatz:"Ein Gespräch beruhigt die Leute"

Ausweich-Strecken empfehlen, Unfälle durchgeben, Getränke verteilen: Horst Kistner ist Stauberater. Wenn die Rückreisewelle rollt, haben er und seine Kollegen viel Arbeit. "Süddeutsche.de" hat ihm einen Tag lang über die Schulter geschaut.

Steve Przybilla

Wenn andere Pause machen, beginnt für Horst Kistner die Arbeit. Weil mittags auf der Autobahn das meiste los ist, hat der ADAC-Stauberater zu dieser Zeit besonders viel zu tun: Ausweich-Strecken empfehlen, Unfälle durchgeben, Getränke verteilen. Normalerweise jedenfalls. An diesem Samstag steht der 62-jährige Karlsruher etwas verloren auf der Raststätte Breisgau an der A 5. Der große Verkehrsinfarkt ist bisher ausgeblieben. Die hilfesuchenden Reisenden: kaum vorhanden. So wirkt Kistner in seiner Motorradkluft eher wie ein Mann im besten Alter, der seine Maschine am Wochenende ausführt. Als schließlich doch eine Frau mit fragendem Gesicht über den Parkplatz irrt, ist er sofort zur Stelle: "Kann ich Ihnen etwas Gutes tun?", fragt er, die Straßenkarte in der Hand. Die Frau nimmt das Angebot dankend an: "Können Sie mir sagen, wo hier der Burger King ist?"

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Jedes Wochenende bringen in der Sommersaison bundesweit 120 ADAC-Stauberater staugeplagten Urlaubern auf Deutschlands Autobahnen Hilfe. Die Gelben Engel auf ihren Motorrädern bringen Informationen über Ursachen und voraussichtliche Dauer des Staus, übernehmen kleinere Reparaturen oder rufen per Handy die Kollegen von der Straßenwacht.

(Foto: OBS)

Die Wenigsten scheinen zu wissen, was Kistner und seine Kollegin Eva-Sabine Roßwaag eigentlich machen. Klar, die "Gelben Engel" des Automobilclubs sind den meisten ein Begriff. Sie bringen havarierte Karosserien wieder auf Vordermann. Aber ein Stauberater? Der fällt eher durch sein Motorrad, eine BMW R1200, auf. "Schicke Maschine", ruft ein Mann im Vorbeigehen. Der Vater einer indischen Familie will wissen, was Kistner denn hier verkauft: "Nichts", antwortet dieser, "unsere Infos sind kostenlos."

Informieren - dafür sind Stauberater da. Aber eben nicht nur. Der lockere Plausch gehört ebenso zu den Aufgaben der 120 Helfer, die zur Hauptreisezeit von April bis September auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Jedes Wochenende positionieren sie sich in Zweier-Teams an Raststätten, an denen besonders viel Andrang erwartet wird. "Manchmal fragt mich jemand in Süddeutschland, ob er bis Berlin mit Behinderungen rechnen muss", erzählt Kistner. Routiniert schaut er dann auf sein Smartphone, das direkt mit den Polizei-Servern der Länder verbunden ist. "Natürlich kann sich das Geschehen auf der Straße bis dahin zehn Mal ändern. Aber allein schon das Gespräch lässt die Leute beruhigter weiterfahren."

Seine Aufgabe: praktische Tipp geben und das Image des ADAC pflegen

Der persönliche Kontakt also. Obwohl Autofahrer dank Radio, Navi und Handy heute so gut wie nie zuvor über die Verkehrslage Bescheid wissen, führt sie die Technik manchmal in die Irre. "Das Navi schlägt zum Beispiel sehr oft vor, von der Autobahn abzufahren", sagt Kistner. "Aber bei einem Stau von 15 bis 30 Minuten lohnt sich das meist nicht. Dann sind die Bundesstraßen schnell verstopft." Solche praktischen Tipps sind es, mit denen die Stauberater punkten - und gleichzeitig das Image des Autoclubs pflegen. Allein im Stammland Südbayern haben die Stauberater laut ADAC in dieser Saison 55.000 Kilometer in 1800 Arbeitsstunden zurückgelegt.

Von den üblichen politischen Parolen ("Mehr Geld für den Straßenbau") bleiben die staugeplagten Autofahrer bei Begegnungen mit den Beratern verschont. Immerhin: "Weil viele Autobahnen inzwischen dreispurig sind, gibt es nicht mehr ganz so schlimme Staus wie noch vor 30 Jahren", sagt der südbayerische Stauberater-Koordinator Josef Maurus. Damals, als er und seine Kollegen erstmals zum Einsatz kamen, seien Staus von 30 bis 40 Kilometer normal gewesen: "Da haben die Leute die Campingstühle auf der Autobahn ausgeklappt."

Ganz so lange ist Horst Kistner noch nicht dabei. Seit 20 Jahren geht der hauptberufliche Feuerwehrmann in seiner Freizeit auf Stau-Tour. Ehrenamtlich. "Weil man mit so vielen verschiedenen Nationalitäten zu tun hat", sagt er, "ist das immer wieder eine ganz spannende Sache." Ganz so entspannt geht es freilich nicht immer zu. In Kistners Einzugsgebiet wird die A 5 zwischen Baden-Baden und Offenburg auf einer Länge von 41,5 Kilometern dreispurig ausgebaut. Fast jeden Tag kommt es in der engen Baustelle zu Blechschäden; kilometerlange Staus sind keine Seltenheit. "Wenn sich die Leute dann noch falsch verhalten, ist das Chaos programmiert", sagt Kistner. Zu den Todsünden gehörten häufiger Spurwechsel im zäh fließenden Verkehr und eine fehlende Rettungsgasse. "Manche Leute blockieren uns sogar ganz bewusst, wenn wir zu einem Unfall eilen. Dabei haben wir Sonderrechte."

Seine Ausrüstung: Getränke, Kartenspiele, Kinderbücher

Während er tags zuvor noch einer dehydrierten Seniorin auf der A 8 helfen musste, verteilt der Stauberater nun Sonnencreme. Seine Ausrüstung - Getränke, Kartenspiele, Kinderbücher - wurden von Firmen gesponsert. Nur die Straßenkarten stammen vom ADAC, werden aber auch an Nicht-Mitglieder verteilt. "Wir dürfen hier niemanden werben", sagt Kistner, der trotzdem nicht von dummen Sprüchen verschont bleibt: "Ist das hier versteckte Kamera?", fragt eine junge Frau spöttisch. Kistner ignoriert die Häme und schaut stattdessen noch mal aufs Handy: 72 Behinderungen in Berlin, 45 in Hessen, 16 in Nordrhein-Westfalen. In Baden-Württemberg sieht es gut aus. Ungewöhnlich für einen Tag mitten in der Rückreisewelle.

Schließlich hat doch noch jemand ein echtes Anliegen. Ein Niederländer fragt, ob der Weg in die Heimat frei ist: "Oder soll ich lieber über Frankreich fahren?" Kistner schüttelt den Kopf. "Nein, alles gut. In der Baustelle haben Sie heute Glück." Dann bekommt Sohn Robin vom Stauberater noch ein Kinderbuch in die Hand gedrückt - und weiter geht's.

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