Apple-Hype:Das iPhone 5! Kommt! Jetzt! Garantiert!

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Apple profitiert bei der Einführung neuer iDinger von der Macht der Massenerregung - und muss den Hype perfekt moderieren. Das stellt Sie und uns beim erwarteten iPhone 5 vor größere Herausforderungen. Eine Warnung in Sachen Lese- und Kundengesundheit.

Stefan Plöchinger

Nummer 5 lebt! Am 12. September! - Die Einladung zur mutmaßlichen iPhone-Show (Foto: Apple)

Falls Sie in den vergangenen Wochen dem iWort entkommen sind: In den kommenden Stunden dürften Sie das nur noch schaffen, wenn Sie sich Ihren Mitmenschen entziehen. Ansonsten werden Sie einen Hype erleben, den Sie aus früheren Zeiten schon kennen, und entweder zählen Sie zu jenem Teil der Menschheit, der diesen Tag nicht mehr erwarten konnte - oder zu jenem, der auf Tage wie diesen verzichten könnte.

Das neue iPhone! Kommt! Jetzt, an diesem Mittwoch! Garantiert! Ganz sicher! Haben wir im Netz gelesen, überall! Abermillionen sehnen es herbei, ganze Spezialseiten im Internet widmen sich dem erhofften Wunder, und seit Wochen, ach: Jahren geistern angeblich/vermutlich authentische Aufnahmen von LTE-Metalcase-16:9-iOS6-Superapparaten oder -Superattrappen durchs Netz. Niemand versteht, warum Apple für das Wahnsinnstelefon, das es sicher werden wird, eigentlich noch Werbung macht. Die beste Propaganda besorgen sowieso die Jünger des Konzerns und wir in den Medien.

Sie müssen sich in diesen Tagen die Arbeit in einer Online-Redaktion so vorstellen: Wir schreiben einen Text zum erwarteten neuen iPhone; irgendein Gerüchte-Update aus panasiatischen Industrieblogs oder den Analysen amerikanischer Smartphone-Zerpflücker. Die Klickkurven schnellen augenblicklich nach oben. Viele Leser kommen von Google, denn nach dem Gerät, das es noch nicht gibt, wird schon gesucht, als könnte man es jetzt geschenkt kriegen. Das Suchvolumen hat sich binnen eines Monats verdoppelt und ist seit anderthalb Wochen auf Höchstständen. Die Konkurrenz ist so groß wie der Andrang: Nachrichtenseiten irgendwo auf der Welt machen seit Wochen Quasi-Liveticker zu einem Ereignis, das erst an diesem Mittwoch in einigen Stunden beginnt. Es kommen auch noch jede Menge Technik-Mikroblogs dazu, die jede antizipierbare Neuheit antizipieren, als wäre sie eine Eilmeldung.

Man kann das niemandem vorwerfen. Der Informationsmarkt für Kleinklein aus dem gefühlt reichsten Konzern der Welt ist unersättlich, und es geht ja auch um was: Aktienkurse, Steve Jobs' Erbe und die Zukunft der Kommunikation. Sagt der eine Teil der Redaktion. Der andere sagt: Was für ein Hype, hört auf, wir machen doch kein Reklameportal! Die einen konnten diesen Tag nicht erwarten, die anderen könnten darauf verzichten, siehe oben, und bei manchen (wie mir) ist Schizophrenie ausgebrochen, weil sie beides denken respektive vom Hype fasziniert sind.

Die Macht der Masse im Netz ist etwas Faszinierendes, über das man noch viel zu selten nachdenkt. Wenn eine Bettina Wulff Google verklagt, weil sie sich an dessen Suchvorschlag-Algorithmus stört, dann wirft sie die komische Frage auf, ob sich ein Algorithmus schuldig machen kann. Denn sie klagt eigentlich jene vielen tausend Menschen an, die Abseitiges über die ehemals Erste Frau im Staate googeln wollten und deren Suchverhalten die Maschine dann als Vorschlag für weitere Millionen Menschen einfach weitergenutzt hat. Womit nun nicht gesagt sein soll, dass die Maschine zwingend unschuldig ist; das sollen die Gerichte klären - interessant ist bloß, wie aus einem kleinen Suchtrend ein Mega-Thema werden kann. Was wird dann erst aus einem Mega-Suchtrend wie dem iPhone? Ein Giga-Geschäft.

Früher wurde Apple gepriesen, weil Steve Jobs so schöne Gottesdienste für jedes neue Gadget gehalten hat. Seine Inszenierung des "One more thing" - unvergessen. Seine Verkündungen verblüfften. Heute ist die Produkteinführung dagegen der Endpunkt eines noch perfekteren Schauspiels, weil die Verkündung zu ihrem eigentlichen Zeitpunkt schon weitgehend stattgefunden hat. Die Gerüchte in den Monaten zuvor machen die Vorstellung zum erwartbaren oder zumindest erwarteten Vollzug, und wehe, das "One more thing" ist anders als vorhergesagt. Vor einem Jahr, bei der Siri-Show, klagten die ersten Enttäuschten über Stagnation bei Apple. Inzwischen muss der Konzern also aufpassen, dass der Hype ordentlich moderiert wird, um so auch die Erwartungen von Kunden und Aktienanalysten zu moderieren.

Die Dauerinszenierung um neue iDinger wird vielleicht nicht rundweg vom Konzern selbst veranstaltet, aber in jedem Fall von Geräteverrückten befeuert, die sich schon in circa anderthalb Tagen mit der Frage beschäftigen werden: Was wird eigentlich das iPhone 6 können? Was hören wir dazu aus California oder China? Sie werden sofort wieder spekulieren, und wieder werden wir in der Redaktion gespaltener Meinung sein.

Für die Inszenierung an diesem Mittwochabend haben wir befunden, dass wir die oben erwähnte journalistische Schizophrenie leider nicht heilen können. Es interessiert viele von Ihnen zu Recht, was Steve Jobs' nur halbgöttlicher Nachfolger Tim Cook wirklich zeigen wird. Wir wollen live und umfassend berichten, um abseits der Fan-Seiten unsere Sicht auf die Neuheiten, die Evolution des Informationsgeschäfts und den irgendwie wichtigsten Geräteproduzenten der Welt zu vermitteln. Es geht nicht ums Ob, sondern ums Wie der Berichte, was herausfordernd ist - weil wir so oder so Teil des Hypes werden, aber vor allem weil Apple anfangs meist nur wenigen Reportern Geräte für Intensivtests gibt. Auch Verknappung gehört zur Moderation des Hypes.

Es darf gern auch Sie als Leser befremden oder faszinieren, wenn Produktschauen wie jetzt bei Apple oder kürzlich beim VW Golf VII auf Nachrichtenseiten mehr Klicks produzieren als die Euro-Rettung. Am Ende geht es wohl einfach darum, Ihnen diese Tatsache weiterzusagen. Nehmen Sie diesen Text als Warnung in Sachen Lese- und Kundengesundheit: Betrachten Sie den Hype als solchen. Und verzeihen Sie es der anderen Hälfte der Menschheit, wenn Sie zu jenen gehören, die auf diese Geschichten verzichten könnten.

Der Autor debattiert unter @ploechinger oder gplus.to/ploechinger.

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