Tote US-Diplomaten in Bengasi:Attacke soll geplant gewesen sein

Das Weiße Haus vermutet US-Medienberichten zufolge, dass der Angriff auf das US-Konsulat in der libyschen Stadt Bengasi geplant war. In der Nacht zum Mittwoch war der US-Botschafter Chris Stevens und drei weitere Konsulatsmitarbeiter ums Leben gekommen. Präsident Barack Obama schickt nun Marines, um die verbliebenen Diplomaten zu schützen. Seinem Herausforderer Mitt Romney ist das nicht genug.

Antonie Rietzschel

Der Prophet Mohammed wird vom Teufel verfolgt. Verzweifelt rutscht er vor einer verschleierten Wüstenschönheit herum. Sie fordert ihn auf, seinen Kopf zwischen ihre Schenkel zu drücken. Mohammed gehorcht und ist plötzlich von seinen Ängsten befreit. Erlöst hüpft der Prophet vor einem Beduinenzelt herum. Als er einen Esel sieht, ruft er aufgekratzt: "Du sollst das erste muslimische Tier sein."

Mohammed als Lüstling und Verrückter - so stellt der amerikanische Film "Die Unschuld des Islam" den Propheten dar. Das angeblich zweistündige Machwerk ist noch nicht veröffentlicht, doch ein 14-minütiger Zusammenschnitt ist bei Youtube zu sehen. Afghanistan wird den Zugriff auf das Videoportal offenbar aufgrund des Videos vorerst blockieren: "Wir wurden angewiesen, Youtube für die afghanische Öffentlichkeit zu sperren, bis das Video vom Netz genommen ist", zitiert Reuters einen Vertreter des Kommunikationsministeriums. Allerdings ist unklar, ob die Sperre wirklich durchgeführt und länger gelten wird.

Das ägyptische Fernsehen zeigte einzelne Ausschnitte des Films - mit dramatischen Folgen. Die Verunglimpfung des Propheten gilt im Islam als schwere Sünde. In Ägypten und Libyen griffen wütende Demonstranten am Dienstagabend diplomatische Vertretungen der USA an. In der libyschen Stadt Bengasi eskalierte die Lage: Das dortige US-Konsulat wurde mit automatischen Waffen und Granaten angegriffen. Dabei kamen vier Diplomaten ums Leben, darunter auch der Botschafter der USA in Libyen, John Christopher Stevens. Das Weiße Haus bestätigte entsprechende Angaben des libyschen Innenministeriums.

Reaktion von Obama

US-Präsident Barack Obama verurteilte "die empörenden Attacken auf unsere diplomatische Einrichtung auf das Schärfste". Zugleich ordnete er an, weltweit die Sicherheitsvorkehrungen diplomatischer US-Einrichtungen zu erhöhen. Den getöteten Botschafter Stevens nannte er einen "mutigen und vorbildlichen Vertreter der USA", der sich während der Revolution und des Sturzes des libyschen Machthabers Gaddafi "selbstlos" für sein Land und das libysche Volk eingesetzt habe.

Das Pentagon hat mittlerweile Marineinfanteristen nach Bengasi geschickt. Sie sollen den Schutz der Diplomaten gewährleisten, wie der Sender CNN unter Berufung auf Ministeriumsbeamte berichtete.

Die Verantwortlichen des Terroranschlags will Obama zur Verantwortung ziehen. "Der Gerechtigkeit wird Genüge getan", versprach der Präsident. Von Vergeltungsmaßnahmen war allerdings zunächst nicht die Rede.

US-Medien berichten unter Berufung auf Regierungsquellen, dass das Weiße Haus vermutet, der Angriff auf das US-Konsulat sei geplant gewesen. Wegen der schweren Bewaffnung der Angreifer sei das wahrscheinlicher als eine außer Kontrolle geratene spontane Demonstration. Der Sender CNN berichtet, Obama wolle Drohnen nach Libyen schicken, um mögliche Islamisten-Camps aufzuspüren.

Präsidentschaftskandidat Mitt Romney kritisierte Barack Obama scharf für seinen Umgang mit den Angriffen. "Die erste Reaktion der Regierung sollte Empörung sein, keine Entschuldigung für unsere Grundwerte", sagte der Republikaner in einem offiziellen Statement während seiner Wahlkampftour. Dabei bezog sich Mitt Romney auf eine Erklärung der US-Botschaft in Kairo, die kurz nach dem Angriff veröffentlicht wurde.

Darin werden weniger die Demonstranten, als der Macher des Films kritisiert: "Der Respekt des Glaubens ist ein Grundstein der amerikanischen Demokratie. Wir lehnen die Aktionen derjenigen ab, die die das Recht auf freie Meinungsäußerung missbrauchen, um den religiösen Glauben anderer zu verletzen", heißt es. Informationen des amerikanischen Fernsehsenders ABC News zufolge, distanzierte sich das Weiße Haus von dieser Erklärung. Niemand hätte das Statement in Washington freigegeben und es drücke auch nicht die Meinung der US-Regierung aus, wird ein Mitarbeiter zitiert.

In seiner offiziellen Erklärung betonte Mitt Romney weiter, dass amerikanische Führung in Regionen wie Libyen immernoch nötig sei. "Der arabische Frühlung darf kein arabischer Winter werden" sagte er.

Präsident Obama wehrt sich jedoch gegen diesen Angriff seines republikanischen Kontrahenten: "Man kann hier eine Sache sehen: Gouverneur Romney scheint die Tendenz zu haben, erst zu schießen und dann zu zielen," sagte er in einem Interview mit dem Sender CBS. "Als Präsident habe ich jedoch gelernt, dass man das nicht tun kann. Es ist wichtig, dass jede Äußerung auf Fakten basiert und die Auswirkungen bedacht werden, bevor man etwas sagt."

Außenministerin Hillary Clinton stellte die Frage, die womöglich derzeit viele Amerikaner beschäftigt: "Wie konnte das in einem Land passieren, das wir unterstützt haben?" Clinton wies darauf hin, dass lediglich eine kleine Gruppe für den Angriff verantwortlich sei und nicht das libysche Volk. Mehrere einheimische Sicherheitsbeamte hätten versucht, das Konsulat zu schützen, sagte die Außenministerin in einer offiziellen Erklärung. Nach Angaben des stellvertretenden libyschen UN-Botschafters sind dabei einige von ihnen ums Leben gekommen.

Libyen entschuldigt sich

Auch die Bundesregierung hat sich bestürzt über den Angriff gezeigt. "Gewalt gegen diplomatische Einrichtungen kann und darf nie Mittel der politischen Auseinandersetzung sein", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Ein religiöser Fundamentalismus, der Menschenleben nicht schone, sei schwer zu ertragen.

Libyen hat sich inzwischen für den tödlichen Angriff auf den US-Botschafter und drei seiner Mitarbeiter entschuldigt. Der Präsident der Nationalversammlung Mohammed el-Megarif sagte in einer von Al-Dschasira übertragenen Erklärung: "Wir entschuldigen uns bei den USA, dem Volk und bei der ganzen Welt für das, was geschehen ist."

Der arabische TV-Sender al-Dschasira berichtet unter Berufung auf libysche Behörden, Stevens sei in dem Konsulat zu Gast gewesen, als ein wütender Mob das Gebäude attackiert habe. Der Botschafter sei an einer Rauchvergiftung gestorben, seine Leiche sei via Tripolis nach Deutschland ausgeflogen worden.

Macher des Schmäh-Films taucht unter

Als Macher des Films, der für die Unruhen verantwortlich sein soll, gilt der Amerikaner Sam Bacile. Er soll angesichts der Gewalteskalation untergetaucht sein. Es tue ihm leid um die Botschaft des Films, zitiert ihn die Nachrichtenagentur dpa. Dem Wall Street Journal sagte Bacile hingegen, er habe den Islam als die vom Hass getriebene Religion darstellen wollen.

Der Film stellt den Koran, das heilige Buch der Muslime, als falsche Auslegung der Thora und des Neuen Testaments dar. Der Prophet wird als Schlächter und Vergewaltiger dargestellt. In den bei Youtube gezeigten Szenen posieren bärtige Männer mit Plastiksäbeln, die in Kunstblut getränkt sind. Die Wüstenlandschaft dahinter sieht aus wie eine Fototapete. Die Produktion hat angeblich fünf Millionen Dollar gekostet. Informationen des Wall Street Journals zufolge habe Sam Bacile das Geld für den Film in jüdischen Gemeinden gesammelt.

Wachsendes Misstrauen

Außenministerin Clinton äußerte die Sorge, die Proteste gegen den Film könnten sich auf andere Länder ausweiten. Am Mittwochabend kam es in der tunesischen Hauptstadt Tunis bereits zu einer antiamerikanischen Kundgebung. Einige Dutzend Demonstranten zogen vor die amerikanische Botschaft, einige von ihnen verbrannten US-Flaggen oder traten sie mit Füßen. Die Polizei löste die Versammlung jedoch rasch auf.

Ohnehin ist der Ruf der Amerikaner im arabischen Raum anhaltend schlecht, wie eine Umfrage zeigt. Die Londoner Zeitung The Guardian zitiert aus einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Yougov, wonach mehr als zwei Drittel der Befragten im Nahen Osten und Nordafrika den USA nicht vertrauen. Weder der militärische Rückzug aus dem Irak, noch die Unterstützung der Amerikaner für den Arabischen Frühling habe daran etwas ändern können. Das Engagement der USA bei den Konflikten in Libyen - wo sie sich militärisch beteiligten - und aktuell in Syrien schätzte die Mehrheit der Befragten als zu gering ein.

Und auch die Menschen in Europa scheinen an den USA zu zweifeln. Mehr als die Hälfte der befragten Deutschen sollen tiefes Misstrauen geäußert haben, schreibt der Guardian. Als die britischen Teilnehmer der Umfrage gebeten wurden, ein Wort auszuwählen, dass sie mit Amerika verbinden, wählten 40 Prozent: "Schikane".

Mit Material von dpa, AFP und Reuters

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