Protest gegen Polizeigewalt in Weißrussland:Malen nach Qualen

Mit Knetgummifiguren und Ausmalbildern kämpfen weißrussische Aktivistinnen gegen Polizeigewalt in ihrem Land. Zehntausend Familien, in denen der Vater als Polizist arbeitet, bekamen das drastische Malbuch bereits zugeschickt. Kürzlich ging das Paket auch an deutsche Beamte und Politiker - schließlich hatte das BKA geholfen, weißrussische Sicherheitskräfte auszubilden.

Tim Neshitov

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Im Frühjahr 2011 bekamen zehntausend weißrussische Familien, in denen der Vater als Polizist arbeitet, ein Malbuch zugeschickt. Es heißt "Mein Papa ist Polizist. Was macht er bei der Arbeit?" Der schmale Band enthält Illustrationen, welche die Ordnungshüter des Regimes von Alexander Lukaschenko in Aktion zeigen. Ein Polizist schlägt mit seinem Stock auf eine liegende Oma ein, ein Polizist reißt einer niedergeknüppelten Demonstrantin ihr Baby weg, ein Polizist begrapscht eine Schwangere, die er abführt. Die Bilder sind abfotografierte Knetfiguren und basieren zumeist auf Protokollen von Demonstrantinnen, die im Dezember 2010 gegen die manipulierte Wiederwahl Lukaschenkos auf die Straße gegangen waren.

Alle Bilder stammen aus dem Buch "Mein Papa ist Polizist. Was macht er bei der Arbeit?".

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Tanja T., 18 Jahre alt, notierte: "Ich bin als erste da gewesen, um Nikita zu helfen, als sie ihn gefasst haben. Und einer von denen ist plötzlich auf mich zugegangen, hat mir mehrmals auf den Kopf geschlagen, danach hat er mich auf den Asphalt gestoßen und hat begonnen, mit den Beinen auf mich zu treten. Der Kopf tut weh. Und weil mir in den Bauch getreten wurde, brennt der Magen sehr stark; mir ist übel."

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Jekaterina R., 30 Jahre alt, war schwanger, als sie es mit der Polizei zu tun bekam. Sie schrieb: "Die Miliz hat ein Mädchen geschlagen. Ich habe gefragt: Was macht ihr? Sie haben mich sofort gefasst. Und meinen Mann. Mir geht es sehr schlecht, ich will jetzt mit niemandem darüber sprechen." Jekaterina R. verlor bald nach der Festnahme ihr ungeborenes Kind. Und Alexandra Y., 46 Jahre alt, erlebte das: "Ich habe mich nach vorne gebeugt, um das Protokoll durchzulesen. Der Major der Miliz Falej I.W. hat mir mit der Faust auf den Kopf geschlagen. Das Blut kam mir aus dem Mund geflossen. Dann schlug er mir auf die Brust, fasste mich an der Kleidung und zerrte mich am Boden im Zimmer herum."

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Darüber hinaus können die Kinder weißrussischer Polizisten in dem Geheft zwei baumelnde Beine über einem Hocker ausmalen. Jana Polyakova, 36 Jahre alt, beging am 7. März 2009 Suizid, nachdem sie in einem Prozess wegen Verleumdung zu 2,5 Jahren Lagerhaft verurteilt worden war. Die Aktivistinnen der Menschenrechtsorganisation Nasch Dom (Unser Haus), die das Malbuch verschickten, wurden inzwischen selber wegen "Gewaltpropaganda" angeklagt und anonym bedroht.

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Die Gründerin von Nasch Dom, Olga Karatsch, floh nach Vilnius, die Hauptstadt des Nachbarlandes Litauen. Die Illustratorin Marina Naprushkina lebt in Berlin und leitet dort seit 2007 ein "Büro für Antipropaganda". Dieses Büro (office-antipropaganda.com) hat nun das Malbuch auch auf Deutsch herausgebracht, in einer finanziell bedingten Minimalauflage von 50 Exemplaren.

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Diese wurden an deutsche Beamte und Politiker verschickt, das Auswärtige Amt, das Innenministerium, Abgeordnete. Das Bundeskriminalamt hat von Januar 2007 bis Ende November 2010, also bis kurz vor der Präsidentschaftswahl, weißrussische Sicherheitskräfte geschult, darunter die gefürchteten Polizisten.

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"Wir haben noch keine Antworten bekommen", sagt die Illustratorin Marina Naprushkina. Mit dem Malbuch hätten sie nichts Neues aufgedeckt. "Die Protokolle der verletzten Frauen kann man in Menschenrechtsberichten nachlesen", sagt Naprushkina, "das Regime hat so rabiat auf das Kinderbuch reagiert, weil wir das Doppelleben der Polizisten thematisiert haben. Zu Hause sind sie liebe Väter, Ehemänner, Söhne - und auf der Straße eben das, was sie sind."

Am Sonntag finden in Weißrussland Parlamentswahlen statt. Die Opposition boykottiert die Wahl.

© SZ vom 21.09.2012/feko/tob
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