Autobiografie von Edmund Stoiber:Die schwärzeste Rothaut der Welt

Wie aus dem "arroganten Jungschnösel" ein Kanzlerkandidat wurde: Edmund Stoiber hat seine Autobiografie geschrieben und die ist durchaus eine Lesefreude. Auch weil sie - ganz untypisch für Stoiber - alles andere als sperrig ist. Nur wenn es um kritische Zeiten geht, werden die Schilderungen knapp und dürr.

Heribert Prantl

Edmund Stoiber hat ein Talent, von dem man bisher nichts gewusst hat: Er kann schreiben. Seine Autobiografie liest sich weg wie nichts - wenn man von den Passagen absieht, in denen er seine Ruhmestaten als Ministerpräsident aufzählt; da ähnelt der Text einer verspäteten Regierungserklärung. Ansonsten liest man ein schnörkelloses und unprätentiöses Buch, das da und dort hölzern ("Ein weiterer Höhepunkt war . . . ."), aber nicht sperrig ist. Man erlebt Stoiber, wie er denkt, fühlt, leibt und lebt.

Edmund Stoiber, 2011

Gelegentlich kann er sogar über sich selber schmunzeln: Edmund Stoiber hat seine Autobiographie geschrieben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wer immer Stoiber, dessen verknäuelte Sprache in Reden und Interviews berüchtigt ist, beim Schreiben geholfen hat - herzlichen Glückwunsch! Gelegentlich, wenn er etwa auf seine legendäre Transrapid-Rede kommt, kann er sogar über sich selber schmunzeln. Seine Autobiografie ist eine kleine Lesefreude, nicht nur für die Parteifreunde.

Die schönsten Seiten Stoibers sind die ersten 90 Seiten. Man liest angerührt von einer Kindheit in bescheidenen Verhältnissen, von Jung-Edmunds Indianerspielen ("Im Gegensatz zu meinem politischen Leben war ich als Kind oft eine Rothaut"),von seiner Zeit als Dorf-Fußballer im ASV Kiefersfelden, vom juristischen Studium in München ("es fing erst einmal recht lässig an") und der Heirat in der Referendarzeit ("nach zweijähriger Verlobungszeit fand mein Vater, ein Mann der Tat, dass geheiratet werden sollte").

Man erlebt auf diesen Seiten die politische Sozialisation des Edmund Stoiber in den Zeiten der Studentenunruhen, mit denen er überhaupt gar nichts anfangen konnte. All diese "Umtriebe" waren dem oberbayerischen Parzival ganz herzlich fremd; und den Agitatoren Rudi Dutschke und Rolf Pohle hörte er, bevor man ihn als politischen Feind erkannte und aus dem Hörsaal warf, eher mit ungläubigem Staunen als mit Zorn zu.

So wurde er ein "umgedrehter Achtundsechziger" - und schrieb, weil ihm die Hörsaalbesetzungen und die "aggressive Unduldsamkeit" der Linken so auf den Geist gingen, seine juristische Doktorarbeit über den "Hausfriedensbruch im Lichte aktueller Probleme" bei Friedrich Christian Schroeder in Regensburg.

Als dessen Assistent machte er Erfahrungen damit, wie es ist, vor Leuten zu reden. Den Hörsaal vertauschte er, nachdem Umweltminister Max Streibl ihn zu seinem Referenten gemacht hatte, mit Wirtshaus und Bierzelt.

Stoiber schildert, warum die Alten ihn bei seiner ersten Landtagskandidatur für einen "arroganten Jungschnösel" hielten - und was er dagegen unternahm. Diese Stelle mag man ihm partout nicht abnehmen. Zu Straußens Zeiten wurde bei Umtrünken gefeixt, der Stoiber trinke nur Wasser, aber vom besten Jahrgang. Im Buch behauptet er nun, er habe durch gemeinsames Trinken von "zwei Flaschen Schladerer" den CSU-Ortsvorsitzenden von Irschenberg für sich eingenommen. Da glaubt man ihm eher noch den Satz auf Seite 164: "Es gab keine Spendenaffäre der CSU."

Der Anfang vom Ende

Das Buch ist kein Enthüllungsbuch. Er schreibt über Franz Josef Strauß mit Zurückhaltung und, natürlich, Bewunderung; von den Affären und Geldgeschäften des Meisters liest man kein Wort - und Kritik nur an sehr versteckter Stelle, dort wo Stoiber seine Verhandlungen mit dem genialischen Wüterich Lothar-Günther Buchheim über dessen Expressionisten-Sammlung beschreibt. Der titulierte in der Bürgerversammlung, im Beisein Stoibers, seine Kritiker als "Schilf- und Gullyratten". An dieser Stelle nun findet sich der schöne Satz Stoibers: "Vielleicht kam mir in dieser Situation zugute, dass ich zehn Jahre lang Mitarbeiter von Strauß war, der als hochemotionaler Mensch Buchheim ähnelte."

Die Anekdoten aus der Strauß-Zeit sind mindestens so gut wie "Dinner for One": Zum Beispiel die vom legendären Blindflug nach Moskau mit Waigel, Tandler und Scharnagl in der von Strauß gesteuerten Cessna; Außenminister Schewardnadse soll gerühmt haben, es sei dies die einzige Maschine gewesen, die an diesem eisigen Tag in Moskau landete; als KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow Strauß beim Empfang fragte, ob er zum ersten Mal in Russland sei, soll Strauß erwidert haben: "Nein. Aber beim ersten Mal bin ich nur bis Stalingrad gekommen."

Stoiber ist seinem Mentor später als Parteichef, Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union nachgefolgt, aber nicht als ungestümer Groß- und Weltpolitiker.

Ungestüm war Stoiber freilich als bayerischer Reformer. Nachdem er 2002 als Kanzlerkandidat der Union gegen Schröder erfolgreich gescheitert war und daraufhin in Bayern mit der CSU eine Zweidrittelmehrheit errungen hatte, wollte er "es" ganz Deutschland und allen Deutschen zeigen, welcher Kanzler ihnen da entgangen war. Er überrumpelte Land und Leute mit einer Reformkaskade, die dazu führte, dass ihm schließlich selber Hören und Sehen verging.

Es war der Anfang vom Ende als Ministerpräsident und CSU-Chef. Aber nur an einem einzigen Punkt kritisiert er sich heute selbst: Das traditionsreiche Bayerische Oberste Landesgericht hätte er in seinem Reformfuror nicht auflösen sollen.

Um die Ecke formulierte Kritik

Das Buch ist kein Abrechnungsbuch: Dort, wo es um seinen Sturz 2006/2007 geht, werden die Schilderungen knapp, karg und dürr. Im Übrigen: Nicht das Ende einer politischen Laufbahn sei entscheidend, sondern deren Inhalt. An einer Stelle gibt es eine um die Ecke formulierte Kritik an seinen Nachfolgern Günther Beckstein (als Ministerpräsident) und Erwin Huber (als CSU-Chef): "Beide haben eine beachtliche politische Lebensleistung. Trotzdem war ich überrascht, als sie sich die höchste Verantwortung so sehr zutrauten."

Und was ist mit der höchsten Verantwortung Stoibers? Seine Ablehnung der Angebote, EU-Kommissionspräsident oder Bundespräsident zu werden, begründet er damit, dass Bayern und die CSU nicht auf ihn hätten verzichten können. Das ist auch die unbefriedigende Erklärung für seine Flucht vor Berlin, als er partout nicht mehr Wirtschaftsminister im schwarz-roten Kabinett Merkel werden wollte. Nun ja.

Über sein Erfolgsrezept gibt Stoiber immer wieder gern Auskunft: Es sei die Leidenschaft. Und in einem Satz, der das Kapitel "Zwischen Bayern und Berlin" einleitet, erklärt er diese Leidenschaft in fünf Wörtern: "Ich habe die CSU gelebt".

Darin steckt wohl auch, warum er bayerischer Innenminister so war, wie er war, und warum er das Asylrecht partout abschaffen musste. So brauchten es, meint er, die CSU und ihre Wähler. Stoiber liberalisiert sich nicht nachträglich, wie er es bei seinem einstigen Generalsekretärs-Widerpart von der CDU, bei Heiner Geißler, mit Verwunderung und bestürztem Respekt feststellt. Edmund Stoiber beschreibt sich als ehrliche Haut. Und weil er das mit einigem Geschick tut, glaubt man ihm das sogar.

Edmund Stoiber: Weil die Welt sich ändert. Siedler Verlag, München 2012. 320 Seiten, 22.99 Euro.

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