Proteste gegen die Sparpolitik:Zorn der Straße

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Nach zweieinhalb Krisenjahren ist Europa von Griechen und Spaniern allerhand Protest gewohnt. Doch etwas ist neu: Mit der Zahl der Demonstranten steigt die Bereitschaft zum politischen Extremismus - auch weil beide Regierungen geradezu unverschämt nachlässig dabei sind, ihren Bürgern die Reformen zu erklären.

Stefan Kornelius

Portugal ist eigentlich der Musterknabe unter den südeuropäischen Krisenstaaten. Die Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho hat still und zielstrebig Reformen umgesetzt. Das Land könnte schnell dem Überwachungsregime der europäischen Retter entkommen. Schon in diesem Jahr könnte die Handelsbilanz wieder ausgeglichen sein. Doch nun protestieren Zehntausende gegen eine gerade beschlossene Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge. Und die Regierung wankt unter diesem Druck; ihre Entschlussfreude ist wie weggeblasen.

Krawalle in Athen
:Sparpaket empört die Griechen

Der Zorn der Demonstranten ist nun für jedermann sichtbar: Hunderttausende Bürger sind auf die Straßen Griechenlands gestürmt, um gegen das neue Sparpaket der Regierung zu protestieren. Am Rande der Demonstrationen in Athen kam es dabei zu Ausschreitungen.

Allenthalben wächst dieser Druck. Von Griechenland ist man nach zweieinhalb Krisenjahren allerhand an Protest gewohnt. Und auch in Spanien ist der Volkszorn schnell mobilisierbar. Doch etwas ist neu im Süden Europas. Eine Sache riecht plötzlich brenzlig, die Regierungen sind alarmiert: Mit der Zahl der Demonstranten wächst die Bereitschaft zum politischen Extremismus. Dies könnte die Zeit für die Rattenfänger sein.

Besonders in Griechenland ist die Gefahr hoch, dass die extremen Parteien weiter an Zuspruch erfahren. In Spanien äußert sich die Krisenstimmung auch in separatistischen Begehrlichkeiten. Und in Italien besteht die größte Sorge nicht in der schleppenden Umsetzung von Reformen, sondern in der Rückkehr des Populisten Silvio Berlusconi.

Zögerlichkeit und Verdruckstheit bei der Politik

Zwei Gründe gibt es für diesen wachsenden Zorn der Straße: Erstens ist der Druck auf die einzelnen Menschen objektiv hoch. Im Geldbeutel bleibt immer weniger, der Job ist in Gefahr (wenn er denn überhaupt noch da ist), die Versorgung wird schlechter, die Krise wird in ihrer vollen Wucht gespürt. Es wird weniger gegessen, getrunken, gereist. In Spanien sehen alle Kleinspekulanten, wie ihre Geldanlage dahin ist. Freilich gilt aber auch diese Wahrheit: Der durchschnittliche Bürger steigt herab von einem ordentlichen Wohlstandsniveau. Aber auch das tut weh.

Der zweite Grund: Die Politik - vor allem in Spanien und Griechenland - zahlt den Preis für Zögerlichkeit und Verdruckstheit. Portugal, wo das Ausmaß der Krise gut vermittelt und die Reformen schnell umgesetzt wurden, ist Vorbild. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hingegen ringt seit Monaten um die richtige Krisenstrategie. Die griechische Regierung kämpft seit dem Wahltag um Einsparungen in Höhe von die 12 Milliarden Euro. Beide kommunizieren ihre Überlegungen in geradezu unverschämter Nachlässigkeit. Das empört die Menschen, die wissen wollen, was mit ihnen geschieht.

Die Leidensfähigkeit einer Gesellschaft lässt sich nicht nur an Brotpreisen und der Höhe von Arbeitslosenhilfe ablesen. Sie steigt oder fällt auch mit der Überzeugungskraft und der Zuversicht, die eine politische Führung entwickeln kann. Gerade in Spanien und Griechenland wird diese Führung schmerzlich vermisst. Vielmehr wächst das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, weil die Reichen geschont oder die Banken unangetastet bleiben. Wo aber Gerechtigkeit fehlt, da wächst der Zorn.

© SZ vom 27.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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