Neue Spielzeit der Theater:Da schau her

München hat es gut: Das Residenztheater, die Kammerspiele und das Volkstheater bieten eine einmalige Vielfalt - auch wenn nicht jedes dramatische Experiment gelingt. Ein Ausblick auf die neue Spielzeit.

Egbert Tholl

Münchner Kammerspiele

Die Münchner Kammerspiele gelten als das letzte erhaltene Jugendstiltheater der Bundesrepublik.

(Foto: dpa)

Nehmen wir mal die jeweils ersten drei Premieren der neuen Spielzeit. Die Kammerspiele eröffnen ihre Saison diesen Samstag mit "Orpheus steigt herab" von Tennessee Williams, am Sonntag folgt "Woyzeck Wozzeck" nach Georg Büchner und Alban Berg, am 6. Oktober kann man dann "Den imaginären sibirischen Zirkus des Rodion Raskolnikow" besuchen. Am Residenztheater gibt es am 2. Oktober Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung", am 19. Oktober Schnitzlers "Reigen" und am 26. Oktober Ibsens "Hedda Gabler".

Alles klar also? Das Residenztheater bringt drei Klassiker, die man gut kennt, auch wenn man natürlich noch nicht weiß, wie sie dann aussehen werden. Man kann etwas ahnen: Den Shakespeare macht Tina Lanik. Und auch wenn Residenztheater-Intendant Martin Kušej für die größte seiner drei Spielstätten, also das Residenztheater im engeren Sinn, die Losung ausgab, hier gelte es, "Klassiker neu und anders zu befragen", so kann man doch davon ausgehen, dass man in Laniks Inszenierung das Stück sehr gut wiedererkennen wird. Der "Reigen" wird insofern ungewöhnlich, als dass Regisseur Patrick Steinwidder mit lediglich drei, eigentlich zwei, Schauspielern auskommt, Sophie von Kessel und Guntram Brattia, dazu kommt das "süße Mädel" Anne Stein.

Auf der krausen Internetseite des Theaters findet man nach längerem Suchen auch noch die Information, die Aufführung sei erst ab 16 Jahren empfohlen, das klingt verheißungsvoll. "Hedda Gabler" inszeniert Kušej selbst, mit Birgit Minichmayr als Hedda, da kann man davon ausgehen, dass das kein rein gemütlicher Theaterabend wird. Aber noch mal: drei Klassiker, inszeniert vermutlich im Sinne zeitgenössischer Textbefragung und weniger unter der Prämisse radikaler Regie-Subjektivität.

Die Kammerspiele bringen hingegen erst einmal ein Stück, das keiner kennt, ist der Autor auch ein Begriff und werden manche seiner Stücke regelmäßig gespielt. Regie führt Sebastian Nübling, an den Kammerspielen längst ein munterer Regieklassiker. Dann folgt etwas, von dem man nicht weiß, was es ist.

Ist "Woyzeck Wozzeck" Oper oder Sprechtheater? Wird das Libretto der Oper, das Alban Berg sich selbst nach Büchners Fragment zusammenstellte, auf die Bühne gebracht? Spielt man Büchner und singt dazu? Und schließlich dann die Dostojewski-Variation nach "Schuld und Sühne" (oder, wie man beflissen heute zu sagen pflegt, "Verbrechen und Strafe"): Die inszeniert Kristian Smeds, welcher in dunklen finnischen Wäldern daheim ist und normalerweise mit einem verschworenen Haufen Gleichgesinnter seltsame Theaterabenteuer besteht, die sich über Monate hinziehen können.

Schauspieler beim Foto-Shooting

Das Volkstheater hingegen schickt seine Schauspieler erst einmal zum Foto-Shooting. Das Ergebnis kann man im aktuellen SZ-Magazin anschauen; da sieht man vier schöne junge Menschen - oder eher drei schöne junge Menschen und einen Charakterschädel -, die Werbung für Möbelstücke machen, indem sie mittels eines einzigen Fotos ganze Geschichten lebendig werden lassen.

Auf der Bühne ist das Volkstheater in dieser Saison am schnellsten. Die Saison-Eröffnung war bereits am gestrigen Freitag: Simon Solberg inszenierte den alttestamentarischen Exodus mit garantiert neuzeitlichen Mitteln. Und am 25. Oktober kommt Christian Stückls eigene Inszenierung von "Danton Tod" heraus. Also wieder Büchner, und ein Klassiker.

In München hat man die schöne Situation, dass drei Sprechtheater eine inhaltliche und ästhetische Vielfalt abdecken, die Berlin nicht einmal mit der dreifachen Anzahl von städtischen Bühnen schafft - HAU, Sophiensäle und ähnliche Experimetierstätten einmal ausgenommen. Wobei: Nach vielen Jahren des Nachdenkens verdichten sich in München die Anzeichen, dass es mit dem Kreativquartier an der Dachauer Straße doch noch etwas werden könnte.

Wann dieses genau Realität wird, ist noch ungewiss, aber seine Notwendigkeit steht inzwischen außer Frage. Und man kann nur hoffen, dass es rechtzeitig kommt, bevor sich die freien Gruppen und die Leute vom Pathos-Theater in Selbstausbeutung aufgearbeitet haben - an merkwürdigen Orten, wo sich viele Münchner nicht hintrauen: Es könnte einem ja dort etwas zustoßen.

Schnell, lebendig, jung

Auch wenn man die freie Szene hier beiseite lässt, ist das Spektrum enorm groß. Das gilt auch für die einzelnen Häuser in sich. Mag der Beginn von Kušejs neuer Saison auch so klassisch daherkommen - so wird es nicht weitergehen, das zeigte er ja schon in der vergangenen Saison. Es wäre ja so schön leicht, wenn man sagen könnte: Die einen machen Kunst, die anderen machen Text. Bei den einen weiß man nicht immer, wo oben und unten ist, bei den anderen kennt man sich aus, vielleicht besser, als man will.

Doch Theater funktioniert nicht so, selbst wenn es eine gewisse Sehnsucht nach griffigen Bedienungsanleitungen gibt. Da werden dann gern die Theater gegeneinander ausgespielt, was deren Mitarbeiter am meisten wundert, etwa dann, wenn die Staatsschauspieler im Blauen Haus der Kammerspiele sitzen oder die Kammerspielschauspieler im Kantinenhof des Residenztheaters oder alle zusammen im Volksgarten des Volkstheaters und furchtbar viel miteinander reden.

Natürlich: Im weitesten Sinn folgt Kušej einer gewissen Staatstheatertradition, die nicht erst durch die zehn Jahre unter Dieter Dorn geprägt wurden. Das heißt nicht, dass er konservatives Repräsentationstheater macht; das heißt aber, dass er andere Verpflichtungen gegenüber dem Publikum und vor allem dem schwierig zu bespielenden Residenztheater hat als Johan Simons. Der kann an den Kammerspielen ein bisschen freier agieren. Simons' Theaterbegriff passt ohnehin nicht so ganz ins deutsche Stadttheatersystem; er sucht eine integrale Verbindung der Künste, da kann vieles wunderbar klappen, anderes auch grandios schiefgehen. Und Christian Stückl beweist, dass Theater auch noch ganz anders funktionieren kann, schnell, lebendig, jung.

Für das Publikum ist es seit einem Jahr ohnehin herrlich. Nicht, dass man nur Meisterwerke gesehen hätte. Aber es macht Spaß, ins Residenztheater zu gehen, man kann frische Schauspieler anschauen und danach gut feiern. Es herrscht dort eine Lust, Theater zu machen und das Publikum dazu zu bitten, eine Lust, die Stückl schon seit Jahren vormacht, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Es gelingt ihm einfach, weil er so ist, wie er ist.

Und in den Kammerspielen weiß man oft nicht so genau, was einen erwartet, das ist eine Aufregung anderer Art. Insgesamt kann man von Hardcore-Poptheater über Textexegese, Sozialkritik, politischen Performances bis zu in Zeitabläufe gegossenen Kunstwerken so ziemlich alles erleben, was Theater kann. Als hätten sich die drei Intendanten abgesprochen. Dabei tun sie nur das, was sie tun müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: