Reaktion auf Granatenangriff:Türkei greift Ziele in Syrien an

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Wenige Stunden nach dem Granatenangriff auf ein türkisches Grenzdorf hat die Türkei Ziele in Syrien angegriffen. Es sei die Reaktion auf die Attacke, bei der fünf Zivilisten starben, erklärte Ministerpräsident Erdogan. Der Nato-Rat verurteilte den syrischen Angriff.

Die Türkei hat nach eigenen Angaben Ziele in Syrien beschossen. Dies sei eine Vergeltung für die aus Syrien abgeschossene Granate, bei der mehrere türkische Zivilisten im Grenzgebiet zu Syrien ums Leben gekommen seien, hieß es am Mittwoch aus dem Büro des türkischen Regierungschefs Tayyip Erdogan.

"Dieser Angriff ist von unseren Streitkräften sofort erwidert worden", erklärte Erdogan in Ankara. Die türkischen Streitkräfte feuerten demnach "auf Ziele entlang der Grenze, die mit Radar identifiziert" worden waren. Türkische Sicherheitskreise vermuteten, dass die in der türkischen Stadt Akcakale eingeschlagene Granate von syrischen Regierungstruppen abgefeuert wurde.

Türkische Medien berichteten unter Berufung auf Regierungsangaben, dass Ziele ausgewählt worden seien, von denen aus Akcakale beschossen worden sei. Weitere Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt. Über mögliche Opfer des türkischen Beschusses gab es zunächst keine Informationen.

Nato verurteilt syrischen Angriff

Die Nato hat den syrischen Granatenangriff als flagranten Bruch internationalen Rechts und eine Sicherheitsbedrohung für den Verbündeten Türkei scharf verurteilt. Das teilte die westliche Allianz nach einer Sondersitzung der ständigen Nato-Botschafter am Mittwochabend in Brüssel mit. "Wie schon am 26. Juni festgestellt, beobachtet die Allianz die Situation in Syrien sehr genau", schrieb das Bündnis. Damals hatte es bereits nach dem Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs Beratungen nach Artikel vier des Nato-Vertrags gegeben. Diese Konsultationen kann ein Alliierter beantragen, wenn er seine Sicherheit als bedroht ansieht.

US-Außenministerin Hillary Clinton sagte in Washington, es sei eine "sehr gefährliche Lage" entstanden, über die sie mit den Nato-Verbündeten beraten werde. Der türkische Vize-Regierungschef Bülent Arinc sagte, dieser Angriff gehe "zu weit". Er verwies darauf, dass die Türkei als Nato-Mitglied Anspruch auf Beistand habe, wenn sie angegriffen werde. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hatte wegen des Vorfalls zuvor mit Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem internationalen Syrien-Sondergesandten Lakhdar Brahimi telefoniert.

Ban hatte an die Türkei appelliert, die Kommunikation mit Syrien offen zu halten, um eine Verschärfung der Spannungen zu verhindern. Rasmussen verurteilte den Beschuss. Das Militärbündnis beobachte die Lage "mit großer Sorge", sagte Rasmussens Sprecherin am Mittwoch in Brüssel. Der Generalsekretär habe den Vorfall "scharf verurteilt".

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat sich besorgt über die Lage an der türkisch-syrischen Grenze geäußert. In einem Telefonat habe er seinem türkischen Amtskollegen Davutoglu "große Anteilnahme für die Toten und Verletzten übermittelt, die heute bei einem Granateneinschlag aus Syrien ihr Leben verloren haben", erklärte der FDP-Politiker am Mittwochabend am Rande einer Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Paris. "Wir verurteilen diese Gewalt in aller Schärfe."

Westerwelle forderte die syrische Regierung auf, sich für die Gewalt zu entschuldigen. Ferner müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und die Familien der Opfer entschädigt werden. Westerwelle nannte "die erneute Verletzung der territorialen Integrität der Türkei aus Syrien" einen schwerwiegenden Vorgang. Zugleich habe er Davutoglu gebeten, "bei aller verständlicher Empörung mit Besonnenheit und mit dem Blick für die außerordentlich gefährliche Lage in der ganzen Region zu handeln".

Syrien kündigt Untersuchung des Grenzzwischenfalls an

Die Regierung in Damaskus hat den Familien der türkischen Todesopfer ihr Beileid ausgedrückt. "Syrien übermittelt den Familien der Opfer und unseren Freunden, dem türkischen Volk, sein tiefes Beileid", erklärte Informationsminister Omran Soabi in der Nacht zum Donnerstag laut einem Bericht des syrischen Staatsfernsehens. Der Minister kündigte eine Untersuchung des Vorfalls an.

Bei dem Angriff auf Akcakale sind fünf Menschen getötet worden. Mindestens zehn weitere Menschen wurden verletzt, unter ihnen mehrere Polizisten. Fernsehsender zeigten Dorfbewohner, die in Panik über die Straßen rannten oder Deckung suchten. Die Ortschaft liegt unmittelbar an der Grenze zu Syrien und nahe des lange umkämpften Grenzübergangs Tell Abjad.

Das Dorf war in der vergangenen Woche bereits von einer aus Syrien abgefeuerten Mörsergranate getroffen worden. Dabei waren Hauswände beschädigt worden. Zuvor waren schon mehrere Türken von Schüssen aus Syrien getroffen worden.

Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland mehr als 93.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Forderung Ankaras, eine Schutzzone für Vertriebene auf der syrischen Seite der Grenze einzurichten, hat international keine ausreichende Unterstützung erhalten.

© Süddeutsche.de/AFP/Reuters/dpa/fran - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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