Neue Staffel "The Voice of Germany":Willkommen zum Liederabend

Deutsches Musikfernsehen hat eine lange Geschichte, aber keine Gegenwart. Die Jury von "The Voice of Germany" macht sich ab kommendem Donnerstag zum zweiten Mal auf, mit Gutmenschentum das Gegenteil zu beweisen.

Martin Wittmann

Neue Staffel "The Voice of Germany": Die Fernseh-Gutmenschen: Rea Garvey, Xavier Naidoo und Nena sitzen zusammen mit Alec Völkl und Sascha Vollmer in der "The Voice of Germany"-Jury.

Die Fernseh-Gutmenschen: Rea Garvey, Xavier Naidoo und Nena sitzen zusammen mit Alec Völkl und Sascha Vollmer in der "The Voice of Germany"-Jury.

Im Fernsehindustriepark in Berlin, Adresse Am Studio 20c sinnieren wöchentlich Anne Will und Sandra Maischberger über die Krise. Gerade aber wird bei konstanten 21 Grad die zweite Staffel von The Voice of Germany aufgezeichnet, und man denkt sich dann doch zwei, drei Mal: Jetzt haben wir sie.

Wenn zwei Kandidaten ihre letzten Ton gesungen haben und die Juroren routiniert vor Begeisterung aufstehen. Oder wenn bei der Entscheidung, wer er jetzt rausfliegt aus der Sendung, quälend lange mit Experten beraten wird. Oder wenn wieder Lady Gaga nachgesungen wird. Dann denkt man: Diese Jury um Rea Garvey, Nena, Xavier Naidoo und die BossHoss-Musiker Alec Völkel und Sascha Vollmer tut zwar so, als wären sie alle Fernseh-Gutmenschen, die in ihrer Show etwas wahnsinnig Anderes machen - aber dann bedienen sie sich am Ende doch an üblichen Casting-TV-Instrumenten: überschwängliche Begeisterung, spannungsdienliches Zaudern und vor allem: Radiomusik-Karaoke.

Aber dann kommt das nächste, nicht ganz so packende Duell zweier Kandidaten, und die Juroren bleiben gedämpften Gemüts sitzen und klatschen höflichen "Don't call us, we call you"-Beifall. Das nächste Talent singt das unbekannte Lied eines unbekannten afrikanischen Komponisten, gänsehautreizend.

Aber vielleicht geht es ja gar nicht mehr um die Frage nach dem Sieger im Fernsehwettbewerb des Wettbewerbfernsehens. Vielleicht geht es nicht mehr um die Frage, ob die vielen Vorsing-Shows wie Deutschland sucht den Superstar (RTL), Popstars (Pro Sieben) zu X Factor (Vox) alle in einer Liga spielen, sondern vielmehr um die Frage nach der Sportart. Fragt man hinter der Bühne, als man zwischen den Aufzeichnungen zweier Sendungen selbst wie ein Prüfling vor der Jury sitzt, die fünf nach dem Stand der Dinge, dann behaupten sie: Diese Sendung ist das Musikfernsehen der Zukunft. Oder in ihren Worten:

Rea Garvey: "Unsere Generation kennt es noch: Als wir Kinder waren, hat sich die Familie nach dem Abendessen vor dem Fernseher getroffen, wenn Musikshows wie Top of the Pops liefen. Jetzt sitzen die Familien wieder vorm Fernseher, wenn The Voice läuft."

Nena: "Hieraus wird sich noch ganz was anderes entwickeln. Das ist meine Vision. Mein Traum ist, dass Musik im Fernsehen wieder so stattfindet wie in den 60er und 70er Jahren, dass es wieder eine Plattform für Künstler gibt, dass wir wieder einen Beatclub haben. Das wird auch passieren."

Alec Völkel: "Immer wenn eine Band im Fernsehen auftritt, dann sinken die Quoten. Das muss ja irgendwo herkommen. Das liegt ja nicht daran, dass sie Menschen Musik scheiße finden. Das liegt daran, dass Musik bisher scheiße präsentiert wurde. Oder gar nicht mehr. Oder zu wenig."

Sascha Vollmer: "Es wurde viel kaputt gemacht in anderen Shows. Aber wenn alle meckern, dann hören wir halt auf zu meckern und versuchen, das Ding zu drehen."

Xavier Naidoo: "Jahrelang hat das Fernsehen ins Klo gegriffen mit Live-Auftritten, selbst wenn man internationale Stars geholt hat, die dann bei Wetten, dass . .? ihre Hits gesungen haben, die man schon tausendmal im Radio gehört hat."

Alec Völkel: "Wir sehen das als missionarische Aufgabe, durchzusetzen, wie wir uns Musik im Fernsehen vorstellen."

Da hört man geduldig zu und denkt sich, wie bitter das alles doch ist.Nicht die beginnende Hybris der Juroren, das gehört zum Popgeschäft. Sondern die Realität, die ihnen recht geben könnte.

Wofür es sich zu schämen lohnt

Musikfernsehen in Deutschland hat eine Geschichte, aber keine Gegenwart. Jede Generation hatte wenigstens eine Sendung, die sie popmusikalisch sozialisiert hat. In den 60ern war das der Beatclub, von den 70ern an die ZDF-Hitparade, in den 80ern Formel Eins, von den 90ern an bis vor ein paar Jahren: die Revolution des Musikfernsehens dank MTV und der massentauglichen Kunstform der Videoclips.

MODERN TALKING

Vor knapp 14 Jahren stand er noch mit Thomas Anders auf der Bühne, jetzt richtet er als Juror in "Deutschland sucht den Superstar" über das musikalische Talent der Kandidaten: Dieter Bohlen, damals noch mit blonder Föhnwelle.

(Foto: DPA)

Blickt man heute auf diese Sendungen zurück, wenn sie etwa beim Digitalkanal ZDF kultur wiederholt werden, muss man nicht stolz sein auf die Auftritte von Modern Talking, die Hosen von Formel Eins-Moderator Kai Böcking, chauvinistische Rap-Videos oder gar die Ansagen von Dieter Thomas Heck. Aber man hat wenigstens etwas, wofür es sich zu schämen lohnt.

Seit vergangenem Jahr sendet MTV im Bezahlfernsehen, was schon fast niemandem mehr aufgefallen ist. Der deutsche Konkurrent Viva läuft unter Ausschluss einer erwachsenen Öffentlichkeit. Die Hauptsender haben ihre Bemühungen, Populärmusik populär zu präsentieren, ohnehin größtenteils eingestellt, wenn man mal von Stefan Raabs Bundesvision Song Contest absieht. Dass es theoretisch geht, zeigt die ARD nur auf ihren jungen Radiowellen und das ZDF im Spartenkanal ZDF kultur. Und sonst?

Video-Clips gibt es nur noch auf Youtube und im Museum. Wer Musik sehen will, geht ins Internet. Dort haben die Nutzer das Sagen und können berühmt machen, wen sie wollen. Die Arctic Monkeys etwa oder den Briten Eric Kleptone. Hier werden heute die Sterne geboren.

"Erstmal hab ich gekotzt"

Was fürs TV bleibt, sind ein wenig Volksmusik und faltige Oldie-Sendungen. So gleicht die gegenwärtige deutsche Fernsehmusiklandschaft den apokalyptischen Wüsten in Zombie-Serien. In solchen Wüsten reicht eine bescheidene Oase, um Hoffnung zu spenden. Wo nichts ist, ist wenig schon viel. Und so wenig ist es ja gar nicht.

The Voice of Germany wurde vergangenes Jahr als Franchise-Import aus der holländischen Endemol-Fabrik in die bestehende deutsche Casting-Landschaft geholt, die bereits mehr als 30 Musiktalente als neue Megastars verkauft hat. Juroren wurden gesucht, und Nena erinnert sich ganz ehrlich: "Ganz ehrlich, bei dem ersten Angebot hab ich erstmal gekotzt. Eine Castingshow? Völlig indiskutabel. Dann haben die mir drei, viermal die CD geschickt, die ersten hab ich alle ungesehen weggeworfen. Irgendwann habe ich mir dann doch eine angekuckt."

So wurde sie einer der "Coaches", der Trainer, wie die Juroren hier heißen, weil sie mit den Kandidaten, die hier Talente heißen, zwischen den Shows üben und mit ihnen die Musik aussuchen. Fair und mit Respekt sollten die Kandidaten behandelt werden, und der Gewinner der Show sollte im Gegensatz zu all den bisherigen TV-Siegern die Qualität haben, tatsächlich und mit Recht erfolgreich zu sein. Das Ende vom Lied: Kritiker und fünf Millionen meist junge Zuschauer sahen und hörten die formidable Yvy Quainoo sich durch die Staffel singen und siegen, ohne dass links und rechts von der Jury gedemütigte Ausscheider liegen geblieben wären.

Süßkartoffel mit Herz

Xavier Naidoo

Hat positive Image-Punkte beim Publikum gesammelt: Xavier Naidoo.

(Foto: dpa)

Es gab anscheinend nur Gewinner: die tolle Yvy, die ausstrahlenden Sender Pro Sieben und Sat 1 - und eben die Coaches, denen 17 Folgen reichten, um das dreiste Selbstbewusstsein von Kulturschützern zu entwickeln. Nicht nur, weil sie im Gegensatz zu ihren musizierenden Jury-Kollegen in der einzig politisch korrekten Casting-Jury sitzen, die den medialen Talentehandel mit Fair Trade-Image bestreitet. Sondern weil jeder sein ganz eigenes Stückchen vom Kuchen verdrückt hat: Sascha Vollmer und Alec Völkel von der vormals mäßig prominenten Country-Band BossHoss verkaufen heute mehr Platten denn je; der irische Sänger Rea Garvey war nach der Auflösung der auch mäßig berühmten Band Reamonn eigentlich weg vom Fenster und ist nun auf einmal die schwer zu verstehende, aber liebenswerte Süßkartoffel mit Herz; Xavier Naidoo hingegen war sehr erfolgreich, dem Volk aber immer ein wenig unheimlich.

Jetzt sagt er: "Ich bin den Leuten anscheinend sympathischer geworden. Die hatten vorher ein gewisses Bild von mir, am liebsten das des religiösen Fanatikers, und jetzt merken die: ach Gott, der kann ja lachen, der macht flotte Sprüche". Und für Nena ist die Sendung eine Art Frischhaltefolie, die von innen die Energie konserviert und nach außen die ewige Jugend präsentiert. Vor ein paar Tagen hat sich das Quintett den Deutschen Fernsehpreis abgeholt. Nun also die Fortsetzung mit veränderter Ausgangslage.

Im Musikgeschäft würde es heißen: die schwierige zweiten Platte.

Keine Angst vor den Erwartungen?

Nena: "Ich bin jetzt seit 30 Jahren in meinem Job unterwegs und ich hätte nicht so lange durchgehalten, wenn ich immer nur darauf aus gewesen wäre, eine Erwartungshaltung zu bedienen."

Keine Angst vor Wiederholung?

Nena: "Meine Luftballons begleiten mich auch seit 30 Jahren und es gibt keine Nena-live-Show ohne diesen Song. Ich denk da nicht an die Gefahr der Wiederholung, eher an die schöne Herausforderung, das Lied immer wieder neu zu beleben."

Angst vor Abnutzungserscheinungen?

Xavier Naidoo: "Natürlich fragt man sich, ob man nochmal mitmachen soll. Aber ich denke, ich könnte da niemand anderes sitzen sehen. Das hielte ich nicht aus. Dafür haben wir uns hier zu viel aufgebaut. Das ist eine große deutsche Leistungsshow."

Angst vor Trittbrettfahrern?

Rea Garvey: "Das Beste, was uns passieren könnte, wäre Konkurrenz. Die Breite der Musik ist so dünn geworden. Es gibt auf jeden Fall noch viel zu lernen."

Naidoo: "Deutsch, zum Beispiel."

So geht das Gespräch zu Ende und die Coaches gehen voller Eintracht zurück ins Studio. Jetzt denkt man: Wie schön es doch wäre, wenn tatsächlich die Breite der Musik wieder dick werden würde. Ob The Voice of Germany das langfristig schafft, steht in den Sternchen.

The Voice of Germany, Pro Sieben, von 18. Oktober an, Sat 1 von 19. Oktober an, 20.15 Uhr.

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