Friedensnobelpreis für EU:Geblendet von hysterischer Krisendebatte

Krise, Schulden, Bürokratie. Die Europäische Union hat gerade ein schlechtes Image. Nicht unbedingt nur bei Besserwissern und Nörgelfürsten. Dabei ist sehr vieles sehr viel besser als jemals zuvor. Auch deshalb fällt der Friedensnobelpreis für die EU in eine andere Kategorie als der für, sagen wir, Barack Obama.

Kurt Kister

In dem Begriff "Europäische Union" liegt immer noch ein großes Versprechen. Denn eine Union ist eigentlich mehr als nur ein Bündnis. Es ist eine Verbindung, die nicht nur die Vielartigkeit zusammenhält, sondern in der das Gemeinsame wichtiger ist, als es die Unterschiede sind.

Gewiss, in diesen Wochen und Monaten denkt man, wenn man "EU" hört, vielleicht nicht unbedingt an das Gemeinsame. Man denkt vielmehr an Krise, Schulden, Bürokratie; sowohl Nörgelfürsten und Besserwisser als auch Besorgte und Skeptische präsentieren alle möglichen und viele unmögliche Szenarien, warum Europa und der Euro schlecht sind für Deutschland, die Armen, die Souveränität, das Recht und die Gerechtigkeit.

Aber: Noch nie in der langen, oft blutigen Geschichte der Völker auf dem europäischen Kontinent gab es so viel Freiheit und Chancen, so wenig Kriegsgefahr und trennende Grenzen, so viel Frieden wie heute. Das ist ein Verdienst der Länder und Menschen, die sich erst in der EWG, dann in der EG und schließlich in der EU zusammengefunden haben. Heute steht die Europäische Union auch dafür, dass Erbfeindschaften überwunden worden sind, dass man Nationalismus und Regionalismus einmotten, aber trotzdem gleichzeitig als Sachse, Deutscher und Europäer oder als Lombarde, Italiener und Europäer leben kann und möchte.

Nein, nicht alles ist gut in Europa. Aber es ist sehr vieles sehr viel besser als jemals zuvor. Und deswegen ist die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees richtig. Die Europäische Union hat Frieden befördert und ist selbst ein Symbol für eine bessere, gedeihlichere Art des Zusammenlebens. Im Sinne des Versprechens, das im Wort "Union" steckt, stehen die Europäer auch für die Zukunft in der Pflicht. Europa und seine Bürger haben diesen Nobelpreis redlich verdient.

Natürlich ist der Friedensnobelpreis ein "politischer" Preis. Es geht um Wertentscheidungen, zum Beispiel darüber, dass Frieden manchmal wichtiger sein kann als die gewalttätige Vergangenheit von Leuten, die notgedrungen zu Friedensstiftern wurden. Die Ex-Terroristen Arafat und Begin wurden ebenso ausgezeichnet wie, wenn auch vor langer Zeit, der tendenziell wenig friedvolle Theodore Roosevelt. Immer wieder hat das Komitee auch Preisträger gewählt, die hohe Ideale vertraten, deren Wirkmächtigkeit in der Realität aber sehr gering war. Manchmal, wie zuletzt beim sonderbaren Friedenspreis für Obama, wollte die Nobel-Jury wohl in erster Linie sagen: Wäre toll, wenn der Preisträger so würde, wie wir ihn gerne hätten.

Die EU fällt nicht unter letztere Kategorie. Aber dennoch ist der Preis auch als eine Ermutigung in schwierigen Zeiten gedacht. Er zeichnet also nicht nur Erreichtes aus, sondern will anspornen zu weiterem Bemühen. Das aber ist ein durchaus legitimes Anliegen - zumal in einer Zeit, in der viele Menschen die historische Dimension des europäischen Einigungsprozesses aus den Augen verlieren, weil sie von der hysterischen Dimension der Krisendebatte geblendet werden.

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