Dissertation von Annette Schavan:"Früher war man etwas großzügiger"

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Der mögliche Betrug in der Dissertation von Bundesbildungsministerin Annette Schavan ist lange nicht so eindeutig wie der von Guttenberg. Dabei hatte die Studentin Schavan es vor drei Jahrzehnten eigentlich einfacher, den Überblick über alle ihre Zitate zu behalten, sagt der Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer.

Verena Wolff

Es ist inzwischen 32 Jahre her, dass Annette Schavan ihre Doktorarbeit im Fach Erziehungswissenschaften eingereicht hat. "Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" hieß das Werk, es war Schavans erster Abschluss - in vielen Fächern war das zu dieser Zeit keine Seltenheit. Für ihre Arbeit erhielt die Doktorandin an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität ihren Titel mit "magna cum laude", die zweitbeste auf der Notenskala.

Nun sind Plagiatsjäger darauf gekommen, dass die damals 25-jährige Doktorandin offensichtlich nicht immer ganz sauber gearbeitet hat - sollten sich alle Vorwürfe bestätigen, stehen die Karten schlecht für die Bundesbildungsministerin.

"Plagiate verjähren in Deutschland nicht", sagt Wolfgang Löwer. Der Rechtsprofessor ist Fachmann für Wissenschaftsrecht an der Universität Bonn und Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für wissenschaftliches Fehlverhalten. Zwar gebe es darüber in der Wissenschaft kontroverse Diskussionen, doch bislang kann ein Plagiat geltend gemacht werden bis zum Tod. "Es sind Fälle bekannt, da wurde emeritierten Professoren der Titel entzogen."

Sollte die Prüfungskommission eindeutig zu dem Schluss kommen, dass Schavan gravierend plagiiert hat, kann darauf nur ein Entzug des akademischen Grades stehen, "bei dieser Frage gibt es nur ein 'Ja' oder 'Nein'", sagt Löwer. Nach Ende der Prüfung müsse die Kommission eine Empfehlung abgeben, "ob die Täuschung von solchem Gewicht ist, dass die hochbelastende Entziehung des Titels gerechtfertig ist".

"Der Zettelkasten war verlässlicher"

Annette Schavan stünde dann ganz ohne Studienabschluss da. Ihrer Versorgung als Politikerin wäre dies allerdings nicht abträglich, denn "sie ist ja nicht Ministerin, weil sie einen Doktortitel hat". Daher sei die Position nicht erschlichen, wie in manch anderem Fall. In der freien Wirtschaft könnte dies ganz anders liegen, "da ist die Karriere beendet", so der Rechtswissenschaftler.

Zwar liege bei Annette Schavan die Sache anders als etwa beim früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. "Der Fall war in seiner Deutlichkeit ganz anders, die Entziehung war klarer", sagt Löwer. Doch eine Bildungsministerin stehe unter deutlicherer Beobachtung. Schavan war sich offenbar nie einer unsauberen Arbeitsweise bewusst, denn als sich im Fall Guttenberg die Anzeichen verdichteten, der Freiherr könnte abgeschrieben haben, sagte die Bildungsministerin, als Wissenschaftlerin schäme sie sich "nicht nur heimlich".

Löwer hat sich in der Vergangenheit mehrfach dafür ausgesprochen, eine Verjährungsfrist einzuführen. Schließlich gäbe es Verjährung in allen Bereichen - bei juristischen Staatsexamen sei etwa nach fünf Jahren schon jegliches Vergehen verjährt.

Heute, sagt der Jurist, sei der Ton in der Debatte um Plagiate und um das Paraphrasieren ein anderer. "Früher war man da vielleicht etwas großzügiger." Doch an sich sei die Arbeitsweise vor dreißig Jahren sogar sauberer und weniger anfällig gewesen als die heutige mit Computer und Internet. "Früher musste man ja noch exzerpieren, es gab nicht mal Fotokopierer." Man habe also alle Fundstellen innerhalb einer Arbeit händisch hin und her verschoben. "Der Zettelkasten war verlässlicher."

Geahndet wurde allerdings schon immer, auch wenn man vor Jahrzehnten eher durch Zufall auf Plagiate in der Wissenschaft stieß. "Deutliche und satte Plagiate sind schon immer aufgefallen. Es war immer schon verboten, abzuschreiben."

Die Prüfer in Düsseldorf allerdings legten Maßstäbe an, die auch früher gegolten hätten. Da liege die Arbeit der heutigen Ministerin auf dem Tisch, daneben die entsprechende Sekundärliteratur, die es zu prüfen gebe - und dann werden Textpassagen verglichen, "so, wie früher auch". Anhand ihrer Fundstellen finden die Prüfer die problematischen Passagen, "und sie rügen nur, was auch damals gerügt worden wäre".

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