Sozialverhalten:Trittbrettfahrer im Affenstall

Wer sich für andere engagiert, muss Nachteile in Kauf nehmen. Trittbrettfahrer dagegen nutzen Hilfe schamlos aus. Während Menschen ihnen das häufig nicht durchgehen lassen, schaffen Schimpansen es nicht, die Schmarotzer auszubremsen.

Katrin Blawat

Irgendjemand müsste mal aktiv werden - darin sind sich meist alle einig, egal, ob es sich um Kollegen im Büro oder Mitglieder einer WG handelt. Oder um eine Gruppe Schimpansen. Denn auch diese Primaten kennen das, was Wissenschaftler als Freiwilligen-Dilemma bezeichnen: Ein Teil einer Gruppe muss handeln, damit alle die sich daraus ergebenden Vorteile genießen können, etwa eine geputzte Küche in der WG oder Futter im Fall der Schimpansen.

Doch gilt dabei für Mensch wie Affe: Wer zum Wohl der ganzen Gruppe aktiv wird, muss Nachteile in Kauf nehmen. Das fördert Trittbrettfahrer, die andere machen lassen und selbst nur absahnen.

Lassen sich solche Schmarotzer ausbremsen? In Schimpansengruppen offenbar kaum. Zumindest bescheinigen Versuchsergebnisse, von denen Forscher um Anna-Claire Schneider vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig berichten, den Affen nur eine sehr beschränkte Teamfähigkeit (Proceedings of the Royal Society B, online).

Dabei verlief im ersten Experiment noch alles ganz geordnet. Ein Knopfdruck führte dazu, dass zumindest theoretisch alle Mitglieder einer Dreiergruppe Fruchtsaft erhielten. Doch welches Tier betätigte den Knopf? Wie die Forscher zuvor vermutet hatten, handelte meist ein ranghoher Schimpanse. Der Aufwand für ihn war gering, und indem er selbst aktiv wurde, sicherte er sich einen großen Teil der Belohnung.

Komplizierter war das Dilemma im nächsten Experiment mit jeweils größeren Teams. Diesmal galt es, zu zweit an einem Seil zu ziehen, woraufhin es im Nebenraum Erdnüsse regnete. Von diesen konnten alle sechs Mitglieder einer Versuchsgruppe fressen - wenn sich nur zwei Affen fanden, die gemeinsam am Seil zogen. Allerdings bekamen diese beiden stets weniger Nüsse ab, da sie nach dem Ziehen erst in den angrenzenden Raum laufen mussten - wo die übrigen vier Tiere schon auf die Belohnung gewartet hatten.

Die Forscher setzten die Sechsergruppen immer wieder neu zusammen und testeten andere Schimpansen als im ersten Experiment. Vorangehende Experimente hatten gezeigt, dass die Tiere die Aufgabe im Prinzip verstanden hatten. Dennoch blieb das Dilemma häufig ungelöst, da niemand oder nur ein Affe alleine am Seil zog. "Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass die Tiere nicht fähig waren, die Komplexität des Dilemmas zu kalkulieren", schreiben Schneider und ihre Kollegen.

In den Fällen aber, in denen zwei Tiere aktiv wurden, spielte deren sozialer Rang kaum eine Rolle. Vielmehr handelte es sich offenbar um "Macher"-Persönlichkeiten, die von sich aus stets hoch motiviert waren. Ranghohe Tiere blieben oft einfach vor dem Erdnuss-Verteiler sitzen, sodass ihnen das Futter quasi ins Maul fiel.

Was manche Affen zu Machern werden ließ, können die Leipziger Forscher zwar nicht erklären. Doch sind sie nicht die ersten, die diesen Persönlichkeitstyp bei Schimpansen bemerkten. Auch Ian Gilby von der Duke University berichtete vor einigen Jahren von einzelnen Männchen, die - offenbar unabhängig von Rang und Alter - ihre Gruppe immer wieder zur Jagd auf Stummelaffen motivierten.

Schneiders Experimente sollten unter anderem verstehen helfen, wie Schimpansen bei diesen Jagden zusammenarbeiten. Wobei sowohl die Risiken als auch die mögliche Belohnung für die Macher im Freiland deutlich größer sind: Im Erfolgsfall gibt es große Mengen guten Fleisches, bei einer Niederlage möglicherweise schmerzhafte Verletzungen.

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