Wahlrecht:Ende der Willkür

Es ist löblich, dass sich binnen weniger Wochen nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes eine Neuregelung des Wahlrechts im Konsens abzeichnet. Doch dass die Einigung nun so fix möglich geworden ist, verdeutlicht noch einmal das Versagen der beteiligten Parteien in den Jahren vorher.

Nico Fried

Vorberichte zum bevorstehenden Wahlrechts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Der Bundestag wird größer.

(Foto: dapd)

Eigentlich wirkt die Opposition ja seit einiger Zeit so, als wolle sie die Koalition nur noch blockieren. Zahlreiche Projekte, vom Atomendlager bis zur Steuersenkung, werden aufgehalten. Mit aller Kraft wird die Regierung als kraftlos dargestellt. Nur beim Wahlrecht reichen sich nun offenbar fast alle Parteien die Hand. Möglicherweise ist SPD und Grünen der Widerspruch klar geworden, dass man eine Regierung nicht zum Teufel wünschen kann, wenn es auf Erden gar kein Gesetz gibt, um sie abzuwählen.

Jetzt aber im Ernst. Es ist löblich, dass sich binnen weniger Wochen nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes eine Neuregelung des Wahlrechts im Konsens abzeichnet. Ein Wahlrecht, das - wenn die Linke vielleicht auch noch mitzieht - von den Parteien breit akzeptiert wird, ist eine unerlässliche Bedingung dafür, dass wiederum die Wählerinnen und Wähler die Parteien akzeptieren, woran es letzteren ohnehin gebricht. Wenn bei einem Initialakt der Demokratie der Eindruck entsteht, es werde getrickst - welche Legitimation soll Politik haben, die aus dem Ergebnis folgt?

Dass die Einigung nun so fix möglich geworden ist, verdeutlicht freilich noch einmal das ganze Versagen in den Jahren vorher. Für die Blockade der Vergangenheit waren vor allem CDU und CSU verantwortlich. Sie wollten ihren Machtzuwachs aus vielen Überhangmandaten nicht gefährden. Dass die Union diese Hartleibigkeit nun aufgegeben hat, war der Verständigung dienlich.

Holperige Rechtsprechung

Bedauerlich bleibt, dass es dafür des Zwanges aus Karlsruhe bedurfte. Daran wiederum ist bedauerlich, dass das Verfassungsgericht seine Urteile zu Überhangmandaten zuletzt selbst - bei allem Respekt - wie Kai aus der Kiste modifiziert, um nicht zu sagen: willkürlich korrigiert hat. Einst waren die Mandate unbedenklich, jetzt ist ihre Zahl gedeckelt. Die Karlsruher Rechtsprechung zum Wahlrecht war nicht so holperig wie der politische Prozess, aber auch kein Ruhmesblatt.

Der Kern des neuen Rechts soll darin bestehen, dass man Überhangmandate ausgleicht. Damit werden die beiden Grundprinzipien des deutschen Wahlsystems, die Personalisierung und der Proporz, wieder zu möglichst gleichen Teilen gewertet. Der Nachteil besteht in der Aufblähung des Bundestages. Statt 622 Abgeordnete wie nach der Wahl 2009, säßen derzeit 671 Abgeordnete im Parlament. Ein Zugewinn an Qualität ist durch diese Quantität nicht zu erwarten. Die Kosten für den Zuwachs wird man wohl mit gutem Willen als Preis der Gerechtigkeit bezeichnen müssen.

Auslöser des Wahlrechtsschlamassels war das sogenannte negative Stimmgewicht, das 2005 bei einer Nachwahl in einem Wahlkreis dazu führte, dass mehr Stimmen für eine Partei weniger Mandate bedeuten konnten. Dieses Risiko ist auch mit dem neuen Modell noch nicht ganz ausgeräumt. Etwaigen rechtlichen Bedenken wollen die Fraktionen damit begegnen, dass sie auf die Überzeugungskraft setzen, die aus der breiten Mehrheit für das neue Recht entsteht. Du liebe Güte, ja, das hätten sie auch wirklich früher haben können.

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