Zum Tode von Sylvia Kristel:Für immer Emmanuelle

Sie war ideal für die Rolle einer Frau, die aus der Rolle fällt: Neun Mal mimte Sylvia Kristel zu eingespielten Seufzern und in einer weichgezeichneten Optik die "Emmanuelle". Nun ist die Schauspielerin im Alter von 60 Jahren gestorben. Die Männer werden sie nicht vergessen.

Marc Felix Serrao

Was braucht eine Frau für eine ordentliche Partie Squash, abgesehen von einem sehr kurzen Röckchen und einem weit aufgeknöpften Poloshirt, unter dem das verschwitzte Dekolleté hervorblitzen kann? Richtig, roten Lippenstift. Nur dann ist die Spielerin auch für die sogenannte dritte Halbzeit gerüstet, in der sie sich gemeinsam mit der Kontrahentin erst die feuchte Stirn abtupft, dann die Arme, den Hals, die Brust. . . bis sie, mit überraschter Neugier, innehält, die Augen weitet, die Lippen öffnet, um sich dann, mit einem Seufzen, endlich dem hingeben zu können, was schon so lange in ihr gebrodelt hat: der reinen, ungezügelten Lust.

Doch, doch, das wurde tatsächlich so gefilmt. 1974 war das, und das Publikum waren nicht nur, wie man heute vielleicht glauben möchte, notgeile alte Racker in einem schwiemeligen Hinterhofkino. Der Film des Franzosen Just Jaeckin hieß "Emmanuelle", und wenn die sogenannte sexuelle Revolution je einen Frauennamen hatte, dann diesen. Oder genauer: den ihrer Hauptdarstellerin, Sylvia Kristel. Hunderte Millionen Zuschauer rannten damals weltweit ins Kino und sahen, wie diese zierliche Person mit den Sommersprossen auf dem Squash-Court ihren rot angemalten Mund öffnete und zuließ, dass ihre dominante Mitspielerin (Jeanne Colletin) über sie herfiel. Sie waren dabei, als sie sich im Flugzeug, in einer Opiumhöhle und sogar im Boxring verschiedenen Männern und Frauen hingab.

"Schule der Lust" hieß der Untertitel dieses Films. Er war so beliebt, dass er Dutzende Folgeproduktionen und Parodien nach sich zog, von "Emmanuelle, die Anti-Jungfrau" bis zu "Emmanuelles Töchter - Blutjunge Biester zu allem bereit". Der Grund dafür war weniger der immer gleiche, nur mit neuen Drehorten und Geschlechtspartnern variierte Plot: Junge Frau entdeckt die freie Liebe und darüber das Glück; so war der Zeitgeist, er sang das hohle Hohelied der Promiskuität. Nein, der Grund war einfach: Emmanuelle.

In der Rolle gefangen

Was diese Figur unterschied, war die Darstellerin, die erste der vielen Emmanuelles. Sylvia Kristel, 1952 in Utrecht geboren, ist 22, als sie die Rolle übernimmt. Ein junges Model mit einer schwierigen Kindheit; als Neunjährige sei sie von einem Gast des Hotels ihrer Eltern missbraucht worden, schreibt sie später in ihrer Autobiografie "Naakt". Als sie 14 Jahre alt ist, trennen sich die Eltern; ein Trauma, so Kristel. Vielleicht sind es die frühen Brüche, ganz sicher ist es ihr Gesicht. Kristel wirkt anders als die Frauen, die gewöhnlich in solchen Filmen mitspielen, zarter. Sie ist das, was man klassisch schön nennt - ideal für die Rolle einer Frau, die aus der Rolle fällt.

Aus dieser Rolle, der Rolle der Gefallenen, hat Kristel nicht mehr herausgefunden. Insgesamt neun Mal mimt sie zu eingespielten Seufzern und in einer weichgezeichneten Optik die Emmanuelle. Es folgen weitere Filme, Haupt- und Nebenrollen, doch der Erfolg bleibt aus. Die Niederländerin, die zweimal verheiratet war, davon einmal mit dem 2008 verstorbenen belgischen Schriftsteller Hugo Claus, war und blieb für alle Emmanuelle, die Lustgeschulte. "Königin des Softpornos", nannte man sie auch dann noch, als sie schon im gesetzten Alter in Amsterdam lebte und ihre Zeit mit Malen verbrachte. Am Mittwochabend ist Sylvia Kristel im Alter von 60 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

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