"Miss Bala" im Kino:Drogenkrieg von unten

Lesezeit: 2 min

Während Oliver Stone mit "Savages" coole Gangster verherrlicht, hat der junge Filmemacher Gerardo Naranjo "Miss Bala" undercover an Originalschauplätzen in Mexiko gedreht - und sich bei Behörden wie bei Banden Feinde gemacht. Ohne Hipster-Drive zeigt er diejenigen, die in diesen Kampf hineingeraten. Zum Beispiel Laura.

Fritz Göttler

Stephanie Sigman als Laura Guerrero in "Miss Bala" (Foto: 2012 Twentieth Century Fox)

Ich will Miss Baja California werden, sagt die junge Laura, 23 Jahre alt - ein Mädchentraum, der in einer silberweißen Glamourgala kulminieren soll, unter milchigem Licht und herzlichem Applaus, und die kriegt ein lächerliches Diademchen ins Haar gedrückt. Alle Mädchen will Laura repräsentieren, die schönsten des Bundesstaates Baja California, im Norden Mexikos, an der Grenze zu den USA. Doch dann endet sie, nach der großen Show, ziemlich ramponiert und in Handschellen, unter lauter zwielichtigen Gesellen, auf einer Pressekonferenz der Polizei von Tijuana, die einen großen Erfolg feiert nach einem verpatzten brutalen Attentatsversuch.

Mit seinem schonungslosen Film "Miss Bala", produziert von den Weltstars Gael García Bernal und Diego Luna, hat sich der junge Filmemacher Gerardo Naranjo in seiner Heimat Mexiko unliebsam exponiert, bei Behörden wie bei Banden. Der Film zeigt den Drogenkrieg von der anderen Seite, nicht von den Akteuren her, mit ihrem Hipster-Drive, den Oliver Stone und Don Winslow verherrlichen in ihren "Savages": coole Gangster, die sie sich abguckten vom amerikanischen Gangsterkino seit den Dreißigern, seit "Scarface". "Miss Bala" beschreibt das von unten, über jene, die ohne zu wissen wie in die Auseinandersetzungen geraten, nie einen Überblick haben, nur Spielball sind ohne eigene Dynamik.

Undercover gedreht

Auf einer Party vor der Miss-Wahl aber gibt es plötzlich den Überfall einer Drogenbande, Schüsse fallen, Tanzende fliehen, Laura verkriecht sich im schummrigen Licht, kauert sich an eine Wand, dann steht plötzlich ein Mann vor ihr, eine Waffe in der Hand. Laura wird verschont, aber zum Mitmachen gezwungen - einen Fluchtwagen muss sie steuern, Geld über die Grenze bringen, Schmuggel und Verrat. Miss Bala, Miss Kugel!

Naranjo hat undercover gedreht, an Originalschauplätzen, schnell und agil, bevor die Beteiligten überhaupt merkten, wobei sie da mitmachten, selbst die Polizisten sind echt. Stephanie Sigman verkörpert Laura, es ist ihr erster Film, Naranjo hat sie in einem Shampoo-Spot gesehen. Er malträtiert sie, physisch wie psychisch, er will ihre Widerstandskraft herausfordern, ihren Stolz, ihre unverletzliche Würde: "Wenn du zu weinen anfängst, wird das Publikum sich von dir abwenden."

Was Laura verlernt, ist der freie Blick, die meiste Zeit hat sie die Augen gesenkt, aus Angst zu viel zu sehen, und die Kamera teilt diesen Blick. Laura ist wie die Mädchen in den Filmen von Robert Bresson - Anne Wiazemsky oder Dominique Sanda oder Nadine Nortier. Und Naranjos Film entwickelt die gleiche Mischung aus Zärtlichkeit und Gewalt ihnen gegenüber. Man klebt Laura Geldbündel auf den Leib, die sie über die Grenze bringen soll, die Unterdrückung der sozial schwachen überlagert sich mit der Unterdrückung der Frauen.

Das Melodram ist ein Virus, sagt Naranjo, ich wollte es nicht drin haben. Er hat den Film mit den Akteuren in wenigen Tagen erst auf Video skizziert - die reine Choreografie, aber ohne die Emotionen, die kamen erst später. Es ist diese Verschiebung, die den Film so traumhaft macht, ihm einen beklemmenden magischen Realismus eigener Art beschert.

Miss Bala, Mexiko 2011 - Regie: Gerardo Naranjo. Buch: Mauricio Katz, Gerardo Naranjo. Kamera: Mátyás Erdély. Musik: Emilio Kauderer. Mit: Stephanie Sigman, Noe Hernandez, James Russo, José Yenque, Irene Azuela, Jose Yenque. Fox, 113 Min.

© SZ vom 20.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche
:DDR-Sushi und Mädchen, die schreien wie am Spieß

In dieser Kinowoche auf dem Kino-Menü: japanische Spezialitäten in Ostdeutschland, ausgezeichneter schottischer Whiskey von Ken Loach, aber auch Futter für eine Kannibalenfamilie.

den SZ-Kritikern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: