Zeitzeugengespräch:"Hier war etwas"

Der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer erklärt Schülern, warum das Badehaus in Waldram-Föhrenwald eine Gedenk- und Begegnungsstätte werden sollte.

Felicitas Amler

Zeitzeugengespräch: Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald: Die Vorsitzende Sybille Krafft begrüßt den Auschwitz-Überlebenden Max Mannheimer am historischen Ort.

Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald: Die Vorsitzende Sybille Krafft begrüßt den Auschwitz-Überlebenden Max Mannheimer am historischen Ort.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Max Mannheimer, 92-jähriger Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, hat die Angst in vielen Facetten kennengelernt. Aber diese eine Angst, die vor dem alltäglichen Leben nach all dem Grauen und Schrecken, nach unermesslichen Qualen und Verlusten, geht ihm heute noch nah: Als er am Dienstagvormittag vor dem Badehaus in Waldram, ehemals Föhrenwald, davon berichtet, dass er hier in den Jahren nach der Befreiung Displaced Persons (DP) unterstützte, kommen ihm die Tränen.

Er schildert, wie er sich als Mitarbeiter des American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) der "hard core cases" in Föhrenwald annahm. Derjenigen Menschen, die sich schwerst traumatisiert kaum ins Leben draußen zurückwagten. Ein Ungar fällt ihm ein, dem er damals Mut zugesprochen habe: Er werde wieder in einer eigenen Wohnung leben, wieder ein normales Leben führen. "Ich habe versucht, ein Hobbytherapeut zu sein", sagt Mannheimer. "Ich habe ihm die Angst genommen, denn . . ." - an der Stelle, an der die Begründung kommen sollte, bricht Mannheimer ab, weil stattdessen die Tränen kommen.

Max Mannheimer, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und vielfältig dekoriert mit bayerischen, deutschen, französischen Orden und einem Ehrendoktortitel der Münchner Universität, ist der große alte Zeitzeuge in Bayern. Wenn er sich für eine Initiative engagiert, hat das Gewicht. Dem Verein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald" ist er sofort nach dessen Gründung vor einem Monat beigetreten. Am Dienstag setzte er sich zusammen mit einem anderen Zeitzeugen, dem 81 Jahre alten Otto-Ernst Holthaus, an Ort und Stelle für das Ziel ein, im ehemaligen Badehaus einen dreifachen Ort des Gedenkens zu schaffen: für die Menschen, die hier seit 1939 in der NS-Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisteten; für die Displaced Persons, die hier von 1945 bis 1956 untergebracht waren; für die heimatvertriebenen Familien, die von 1956 an hier ansässig wurden.

Holthaus ist in Wolfratshausen als Gründer und langjähriger Chef des Isar-Kaufhauses bekannt. Als Jugendlicher hatte er den Todesmarsch der Häftlinge des KZ Dachau an seinem Elternhaus vorbeiziehen gesehen. Dieses Grauen hat ihn zu lebenslanger Erinnerungsarbeit motiviert und zu einem vielfältigen Einsatz für Versöhnung und Demokratie. Auch Holthaus ist, erst vor kurzem, mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet worden. Nach dem gestrigen Zeitzeugengespräch trat er ebenfalls dem Badehaus-Verein bei - mit einer Spende von 1000 Euro. Er unterstütze alles, was dazu diene, junge Leute über die Geschichte aufzuklären und damit die Demokratie zu festigen, sagte er.

Am Gespräch vor dem Badehaus und anschließend im benachbarten "Gasthof zur Post" nahmen Schülerinnen und Schüler des Geretsrieder Gymnasiums teil. Sie werden von Eva Greif in Geschichte unterrichtet, die selbst Waldramerin ist und im Badehaus-Verein die Dokumentation für die geplante Gedenk- und Begegnungsstätte erstellt. Mannheimer schilderte ihnen in straffen Zügen sein Schicksal in der Nazi-Zeit und nach der Befreiung. Die jungen Leute wollten vom ihm wissen, was seine ersten Eindrücke waren, als er ins DP-Lager Föhrenwald kam. Mannheimer sagte, die Überlebenden der Konzentrationslager hätten versucht, "langsam zur Normalität zurückzukehren".

So habe es in Föhrenwald eine Zeitung gegeben, es hätten sich Parteien gebildet. Und so, wie die Leute vorher in Polen, Litauen und anderswo politisch miteinander gestritten hatten, hätten sie es nun auch wieder getan. Einmal im Monat sei er für den American Joint in Föhrenwald gewesen. Später, als das Lager aufgelöst wurde, auch öfter. Und wieder berührt er damit das Thema Angst: "Die Leute hatten Angst vor der Öffentlichkeit." Man müsse sich das vorstellen, ermuntert Mannheimer die jungen Zuhörer: Erst seien die Menschen in den Konzentrationslagern gefangen gewesen, dann so viele Jahre in der geschützten Atmosphäre des DP-Lagers. Und dann auf einmal hinaus in die deutsche Nachkriegswirklichkeit: "Man darf nicht vergessen, dass die Täter von damals noch alle lebten."

Welche Seelenqualen die KZ-Überlebenden noch vor sich hatten, weiß Mannheimer nur zu gut. Ihn selbst holte seine Geschichte 36 Jahre nach der Befreiung noch einmal ein, so dass er sich in psychiatrische Behandlung begeben musste. Und in den Anfangsjahren seiner Auftritte als Zeitzeuge habe er diese nur mit Medikamenten überstehen können. "Ich musste erst lernen, mit dieser Vergangenheit umzugehen", erklärt er den jungen Leuten. Doch als die Vorsitzende des Badehaus-Vereins, Sybille Krafft, ihm dafür dankt, dass er es auf sich genommen habe, nach Waldram zu kommen, was ihn, den 92-Jährigen, ja Kraft koste, da widerspricht er entschieden: "Das kostet mich überhaupt keine Kraft. Ich empfinde das als Verpflichtung." Schließlich gehe es auch hier, in Waldram, ehemals Föhrenwald, darum, ein Mahnmal zu erhalten: "Hier war etwas."

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