Wechseljahre:Hormonpillen neu bewertet

Hormonpillen galten als Jungbrunnen. Dann hieß es, Frauen sollten in den Wechseljahren möglichst wenig Hormone verschrieben werden. Nun finden Frauenärzte zur früheren Haltung zurück: "Entwarnung für die Wechseljahre" stellt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie zu den Hormonpillen fest. Manche Experten raten jedoch weiter zur Vorsicht.

Christina Berndt

Lange hatten sich Deutschlands Frauenärzte gegen die anhaltenden Warnungen aus Übersee gewehrt. Dass Hormonpillen in den Wechseljahren ihren Patientinnen womöglich mehr schaden als nutzen, wollten viele Gynäkologen nicht wahr haben, bis ihre Verbände vor zehn Jahren einräumten, dass es wohl besser sei, in den Wechseljahren möglichst wenig Hormone zu verschreiben.

Doch jetzt finden die Frauenärzte zu ihrer früheren Haltung zurück: "Entwarnung für die Wechseljahre" schrieb jüngst die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in einer Pressemitteilung. Die Hormonbehandlung von Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen und Schlafstörungen "birgt wahrscheinlich doch weniger Risiken, als lange Zeit angenommen wurde", so die DGGG.

Im Verbandsblatt Frauenarzt hat die DGGG gemeinsam mit anderen Gesellschaften und Verbänden soeben neue Empfehlungen zur Hormontherapie gegen Wechseljahrbeschwerden herausgegeben (Bd. 53, S. 916).

Das Fazit: Für Frauen unter 60 Jahren, die "nicht mit speziellen Risikofaktoren oder Vorerkrankungen belastet" sind, würde der Nutzen einer Hormonersatztherapie (HRT) "meist überwiegen". Allerdings sollten die Hormone dabei weiterhin so kurz wie möglich und in geringer Dosierung verabreicht werden.

Nicht nur in Deutschland, auch international hat die HRT eine wechselvolle Geschichte erlebt. Entstanden ist sie in den 1960er-Jahren, als der Frauenarzt Robert Wilson in seiner New Yorker Praxis eine 52-jährige Frau antraf, deren jugendliche Haut, straffe Brüste und kräftige Muskulatur ihn faszinierten. Das Geheimnis war der Frau schnell zu entlocken: Wechseljahre? Sie habe immer noch ihre Tage, sagte sie lachend.

Wilson dachte sich: Wenn man die Sexualhormone, deren Produktion die Eierstöcke in den Wechseljahren einstellen, dem Körper in Pillenform zuführe, müsse dies wohl einem Jungbrunnen gleichkommen. Bald nahmen auch in Deutschland fünf Millionen Frauen solche Hormone ein. Die Pillen sollten nicht nur die Knochen härten und die Haut straffen, sondern auch noch das Herz schützen.

Doch mit der Zeit zeigte sich, dass der Jungbrunnen Untiefen hat. In Verruf geriet die HRT im Jahr 2002 durch die viel beachtete amerikanische Women's Health Initiative (WHI): In dieser Studie an 27.000 Frauen offenbarten die Hormone schwerwiegende Nebenwirkungen. Sie schützten zwar die Knochen, führten aber zu Thrombosen und Embolien, steigerten die Rate von Herzinfarkten und Schlaganfällen und erhöhten das Risiko für Brustkrebs.

"Diese Gefahren muss man heute neu betrachten", sagt der Endokrinologe Alfred Mück von der Universität Tübingen, der die neuen Empfehlungen mitverfasst hat. Die Frauen der WHI seien im Durchschnitt bereits 65 Jahre alt gewesen. Betrachte man die rund 9000 unter 60-jährigen Teilnehmerinnen separat, ergäben sich sogar positive Auswirkungen der HRT. So scheinen die Hormone, wenn sie gleich zu Beginn der Wechseljahre genommen werden, Herzinfarkten vorzubeugen, statt deren Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Dies hätten jüngst auch weitere Studien ergeben, etwa eine Erhebung aus Dänemark (British Medical Journal, Bd. 345, S. e6409).

Auch der nicht an den Empfehlungen beteiligte Endokrinologe Martin Reincke von der Universität München kommt zu dem Schluss: "Die beschriebenen Risiken gelten offenbar nicht in dem gleichen Ausmaß für jüngere Frauen mit gesundem Herzen." Die prinzipielle Warnung, eine HRT nur dann anzubieten, wenn es wegen der Beschwerden gar nicht mehr anders geht, sei für einzelne Gruppen zu relativieren.

Als besonders problematisch mit Blick auf das Brustkrebs- und Thrombose-Risiko gelten bis heute die den Pillen oft zugesetzten Gestagene. Die in der WHI-Studie verwendeten Gestagene seien allerdings extrem hoch dosiert gewesen, sagt Mück. Das sei heute nicht mehr nötig. In der Zukunft könnten die Nebenwirkungen der Gestagene noch weiter minimiert werden - durch mildere Varianten dieser Hormone und indem sie nicht in Tablettenform, sondern als Pflaster oder über eine Spirale verabreicht werden.

Ohnehin sind Gestagene nicht unbedingt nötig. Frauen ohne Gebärmutter können als HRT reine Östrogene nehmen. Die Gestagene werden nur zugesetzt, um den durch die Östrogene geförderten Gebärmutterschleimhautkrebs zu verhindern. "Östrogene allein scheinen bei diesen Frauen aber sogar vor Brustkrebs zu schützen", sagt Mück. Gleichwohl würde er eine HRT Frauen explizit nicht verschreiben, wenn sie schon einmal Brustkrebs hatten, ein erhöhtes Risiko für Embolien tragen oder Herzprobleme haben.

Besonders positiv stimmt Mück auch, dass die HRT offenbar einen günstigen Einfluss auf das Darmkrebsrisiko hat. "Schon nach wenigen Jahren sinkt das Risiko um etwa ein Drittel", sagt er. Dies gelte unabhängig davon, ob Frauen nur Östrogene oder Östrogene und Gestagene bekommen. Zwar sei der Darmkrebsschutz nur "ein Zusatznutzen", so Mück. Aber ein bisschen träumt er doch schon von der Wiederkehr der HRT als Prophylaxe: "Ärzte sollten diesen Zusatznutzen durchaus berücksichtigen, etwa wenn in einer Familie Darmkrebs besonders häufig ist ", sagt er. Schließlich gebe man die Anti-Baby-Pille auch nicht nur zur Empfängnisverhütung, sondern auch gegen Akne oder um schmerzhafte Blutungen zu vermeiden.

Ein Revival, das der Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Uni Hamburg widerstrebt: Zur Einnahme als Prophylaxe gebe es derzeit keinen Anlass, sagt sie. "Ich sehe keine Notwendigkeit für eine Neubewertung." Ob der Schutz vor Darmkrebs ein realer und nicht nur ein statistischer Effekt sei, sei fraglich. Zu dem Schluss sei jüngst auch erst die US-Taskforce für Präventionsfragen gekommen. "Man muss schon einen rechtfertigenden Grund wie Wechseljahrsbeschwerden für eine HRT haben", sagt auch Martin Reincke. "Wir sollten keinesfalls zurückkehren zum scheinbaren Jungbrunnen der HRT für jede Frau."

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