Steuerschätzungen im Vergleich:Krise kostet Deutschland halbe Billion Euro an Steuern

Die Regierung freut sich über Rekord-Steuereinnahmen. Fast sieht es so aus, als hätten die Krisenjahre in den öffentlichen Kassen der Bundesrepublik gar keine Spuren hinterlassen. Doch das ist ein gewaltiger Trugschluss: Tatsächlich verliert der Staat durch die Krisen seit 2008 binnen zehn Jahren 500 Milliarden Euro.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Steuer

Wie sah die Steuerprognose aus? Wie die tatsächlichen Einnahmen? Die SZ-Grafik zeigt's.

Die Jubelmeldungen waren schon geschrieben, noch bevor die Mitglieder des Arbeitskreises Steuerschätzungen am vergangenen Montag in Frankfurt ihre dreitägige Arbeit überhaupt aufgenommen hatten. Erstmals in der Geschichte der Republik, so hieß es da bereits in Zeitungs-, Rundfunk- und Agenturberichten, könnten Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr mit Steuereinnahmen von mehr als 600 Milliarden Euro rechnen. 2017 werde man sogar die 700-Milliarden-Euro-Marke knacken.

Es dauerte nur ein paar Stunden, bis sich die Parteien die Zahlen zu eigen gemacht hatten: Geradezu wahnsinnig sei vor diesem Hintergrund die Forderung von SPD und Grünen, die Steuersätze für Spitzenverdiener zu erhöhen, tönte die FDP. Geradezu fahrlässig sei angesichts des Steuerbooms das Vorhaben der Koalition, 2013 neue Kredite im Volumen von fast 19 Milliarden Euro aufzunehmen, schallte es aus der Opposition zurück.

Richtig an all dem ist: Die Finanzminister und Kämmerer in Deutschland können sich in den kommenden Jahren auf weiter steigende Steuererlöse einstellen. Und richtig ist auch der Hinweis von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die Staatseinnahmen bereits wieder das Niveau erreicht haben, das sie vor Ausbruch der schwersten Nachkriegsrezession im Herbst 2008 hatten. Fast sieht es so aus, als hätte die Krise in den öffentlichen Kassen der Bundesrepublik gar keine Spuren hinterlassen.

Einbruch von 2009 konnte nie wettgemacht werden

Ein Trugschluss ist das, ein ganz gewaltiger sogar. Wie groß der finanzielle Schaden ist, den die von den USA ausgehende Bankenkrise auslöste, zeigt ein Vergleich der Steuerschätzung vom Frühjahr 2008 mit der jetzigen vom Herbst 2012. Im Mai 2008, vier Monate vor der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, zeigten viele Konjunkturindikatoren noch nach oben.

Niemand konnte sich damals auch nur im Ansatz vorstellen, dass die wirtschaftliche Leistung etwa in Deutschland im Folgejahr um mehr als fünf Prozent einbrechen würde - mit entsprechend dramatischen Folgen für den Staatshaushalt: Mit 524 Milliarden Euro fielen die Einnahmen 2009 am Ende fast 50 Milliarden Euro geringer aus als im Mai 2008 prognostiziert.

Dieser Einbruch konnte nie wieder wettgemacht werden, wie beispielsweise ein Blick auf das laufende Jahr zeigt. Bei ihrer Schätzung vom Frühjahr 2008 hatten die Fachleute von Bund, Ländern, Gemeinden, Bundesbank und Wirtschaftsforschungsinstituten für 2012 gesamtstaatliche Einnahmen von 645 Milliarden Euro vorhergesagt. Tatsächlich sollen es nach der jetzt veröffentlichten neuen Schätzung 602 Milliarden werden - was den Jubel über das Erreichen der 600-Milliarden-Euro-Grenze doch ein ganzes Stück weit relativiert.

Zeit der positiven Überraschungen ist vorbei

Noch dramatischer wird das Bild, wenn man die Vorhersage von vor viereinhalb Jahren mit den damaligen Annahmen bis 2017 fortschreibt: Demnach sollten die Einnahmen zum Ende des Prognosezeitraums 785 Milliarden Euro erreichen - jetzt werden es angeblich 707 Milliarden.

Betrachtet man die gesamte Zehn-Jahres-Spanne vom Ausbruch der Krise im Jahr 2008 bis zu besagtem Jahr 2017, so kommt man zum Ergebnis, dass die Kombination aus Banken-, Konjunktur- und Schuldenkrise Bund, Länder und Gemeinden um Einnahmen in Höhe von etwa 510 Milliarden Euro gebracht hat. Zwar ist diese Zahl naturgemäß mit einer Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren behaftet. Sie verdeutlicht aber die Dimension, um die es geht.

Ändern lässt sich das nicht mehr, den Regierenden auf allen staatlichen Ebenen wird nicht viel mehr übrig bleiben, als sich damit abzufinden, dass ihre Einnahmen von einem deutlich niedrigeren Niveau aus wachsen als 2008 angenommen. Darüber hinaus müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass die Zeit der positiven Überraschungen bei den halbjährlichen Steuerschätzungen offensichtlich vorerst vorbei ist.

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