Chinas Probleme:Gigant in der Sackgasse

China wird erfasst von einer Krise, wie es sie seit 1989 nicht mehr gab. Das Land leidet unter Umweltverschmutzung, staatlicher Überwachung, Korruption. Die Führer stehen vor einem ganz neuen Problem: Sie sind es nicht gewohnt, Rechenschaft ablegen zu müssen.

Kai Strittmatter, Peking

China und Wandel, die beiden Begriffe sind in den letzten Jahrzehnten fast zu Synonymen geworden. Umso beklemmender war die Inszenierung, mit der die Kommunistische Partei am Donnerstag vor ihr Volk und vor die Welt trat: Dieselben alten Männer mit denselben schwarz gefärbten Haaren, dieselbe rituelle Choreografie, dieselben formelhaften Reden - es war, als liefe da ein Film aus dem Jahr 2002, dem Jahr, da der Redner sein Amt als Regent des größten Volkes der Welt antrat. Selbst die Huldigungen an Mao Zedong fehlten nicht. Es war, als wollten die KP und der scheidende Generalsekretär Hu Jintao noch einmal alle Kritiker auch in den eigenen Reihen bestätigen, die klagen, das letzte Jahrzehnt sei ein verlorenes gewesen. Es war ein Bild der Erstarrung inmitten eines sich rasant wandelnden Landes.

Das China der vergangenen 30 Jahre ist in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte. Die Volksrepublik ist wohlhabender denn je, ihre Bürger sind im Privaten wenigstens freier, als sie es jemals waren - wenn sie nicht das Pech haben, als Tibeter oder Uiguren geboren zu werden. Und doch ist China erfasst von einem Gefühl der Krise wie vielleicht seit der Zeit vor 1989 nicht mehr. Das Erstaunliche all die Jahre seit Ausrufung der Reform- und Öffnungspolitik war ja, dass da ein Land ein Wirtschaftswunder hingelegt hat, dessen politisches System vielerorts defekt, ineffizient und korrupt war. Die KP aber zeigte sich zur Überraschung vieler ihrer Kritiker geradezu akrobatisch flexibel und anpassungsfähig. Das garantierte ihr Überleben. Umso schwerer wiegt der Stillstand der vergangenen zehn Jahre.

Ja, Chinas Wirtschaft ist in der Zeit stark gewachsen. Bloß: Das Wachstum ist längst kein nachhaltiges mehr. Die Giganten der Staatswirtschaft haben unter Hu Jintao den Zugriff auf die Ressourcen an sich gezogen, Peking hetzte oft blind den Zahlen hinterher, es war ein Wachstum um jeden Preis, riesige Verschwendung und Schuldenmacherei inklusive.

Die größten Opfer waren die Umwelt und der soziale Frieden. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist heute größer als je zuvor, das sich sozialistisch nennende China ist eine der ungerechtesten Gesellschaften der Welt. Hu Jintao hat am Donnerstag erneut gewaltiges Wachstum versprochen, aber erneut hat er verpasst, die Reformen anzukündigen, die dieses Wachstum gerecht und nachhaltig machen könnten. Es war eine Rede, die mehr vom selben versprach. Mehr vom selben aber führt in die Sackgasse.

Die Hoffnungen liegen auf Xi Jinping

Wie nervös die Partei ist, wie wenig sie ihrer Propaganda vom glücklichen und dankbaren Volk traut, das zeigt der rasante Ausbau des Sicherheitsapparates, für den in diesem Jahr mehr Geld vorgesehen war als für die Armee. Chinas Führer sind es gewöhnt, für nichts Rechenschaft ablegen zu müssen. Sie sind es nicht gewöhnt, dass die Akzeptanz für diese Art von Führung sinkt. Dazu haben auch die neuen Medien beigetragen, die trotz Zensur für ein Grundrauschen des Misstrauens gegenüber der Partei sorgen. Erst recht seit den jüngsten Skandalen, seit auch den Gutgläubigen dämmert, dass die Familien der Obersten der Oberen sagenhafte Reichtümer angehäuft haben.

Die Korruption war in China lange der Leim, der das System zusammenhielt; nicht wenige argumentierten: Lasst den Kadern ihr Scherflein, so haben sie ein Interesse am Gedeihen des neuen Kapitalismus. Es ist aber vielerorts längst kein Gedeihen mehr, sondern ein krebsartiges Wuchern. Hu Jintao hat recht, wenn er nun sagt, die Korruption könnte "den Sturz der Partei und den Zusammenbruch des Staates herbeiführen". Aber solche Warnungen sind nichts Neues. Neu wäre, wenn einer die Ursachen anginge.

Hu Jintao und Wen Jiabao, das scheidende Führungsduo, waren eine Enttäuschung. Nun ruht die Hoffnung auf Xi Jinping, dem Neuen. Aber selbst wenn er wollte - er stünde vor einem aus seiner Sicht unlösbaren Dilemma: Geht er die Korruption nicht entschlossen an, dann zerfrisst sie Partei und Land. Gibt er den Korruptionsbekämpfern aber die Waffen an die Hand, die sie brauchen - unabhängige Medien, eine unabhängige Justiz -, dann sind die Folgen für die KP nicht absehbar. Die Hardliner in der Partei haben wahrscheinlich nicht unrecht, wenn sie für einen solchen Fall den Anfang vom Ende der KP-Herrschaft beschwören.

Auch ist die Zeit der charismatischen Führer wie Mao Zedong und Deng Xiaoping längst vorbei, an ihre Stelle sind Geschöpfe des Kollektivs getreten, so farblos wie geheimnisvoll. Diese unbekannten KP-Führer sind oft eine Projektionsfläche für die Hoffnungen der Bürger und Kritiker. Aber egal wie viel Reformwillen man ihnen zuspricht, am Ende bleiben sie doch Gefangene ihres Systems.

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