"China verstehen": Hsiao-Hung Pai:"Der Elite sind Chinas Wanderarbeiter egal"

In den vergangenen zehn Jahren wurde China zur Fabrik der Welt. Doch die Menschen, die aus dem Land in die Industriezentren strömen, besitzen keine Rechte. Die Autorin und Aktivistin Hsiao-Hung Pai beschreibt das Schicksal chinesischer Wanderarbeiter und ruft Konsumenten im Westen auf, nicht länger wegzusehen.

Johannes Kuhn

Chinas Kommunistische Partei beschließt den Austausch ihrer Führungsriege. Die Zäsur kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das Land sich geopolitisch auf Augenhöhe mit den USA befindet, gleichzeitig aber von vielen inneren Konflikten geprägt ist. In dieser Reihe von Kurzinterviews spricht Süddeutsche.de mit Landeskennern über die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage in China.

Hsiao-Hung Pai

Hsiao-Hung Pai: "Es gibt nicht nur ein Foxconn, sondern tausende solcher Firmen."

(Foto: oH)

Hsiao-Hung Pai, geboren 1968 im taiwanesischen Taipei, recherchiert und schreibt über das Schicksal der chinesischen Wanderarbeiter und die Lage chinesischer Immigranten im Ausland. Sie lebt seit 1991 in Großbritannien und veröffentlichte zuletzt "Scattered Sand: The Story of China's Rural Migrants".

Süddeutsche.de: Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in China in der vergangenen Dekade verändert?

Hsiao-Hung Pai: In den vergangenen zehn Jahren ist die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergegangen. Die Hälfte des Reichtums in China gehört dem oberen Fünftel der Bevölkerung, wohingegen den ärmsten 20 Prozent nicht einmal fünf Prozent gehören. Es ist eine bittere Trennung zwischen den Habenden und den Nicht-Habenden.

Dennoch treibt es die Landbevölkerung weiter in die Städte...

Unter Hu Jintao haben Arbeitnehmer die unsicherste Zeit ihres Lebens erfahren, Massenarbeitslosigkeit wegen der Schließung von Staatsbetrieben, Korruption, Privatisierungen. Und seit 2007 leiden die Wanderarbeiter, immerhin die Hälfte der Arbeitstätigen in den Städten, unter der globalen Rezession mit dem Verlust von Millionen Arbeitsplätzen. Viele mussten ohne Lohn aufs Land zurückkehren, während die Unternehmenschefs fliehen konnten und von den Lokalregierungen gedeckt wurden.

Was tut der Staat dagegen?

Die Regierung redet immer von der "einen großen Familie" und versucht, durch das Schüren von Nationalismus das Volk von der eigenen Unzufriedenheit abzulenken. In den Fabriken des Südens ist gerade die erste Generation der Wanderarbeiter zum Opfer der Rezession geworden. Diejenigen, die ihre Jugend und die Blüte ihres Lebens dafür hingegeben haben, in den Städten zu arbeiten.

Wie sehen das diejenigen, die vom Boom profitiert haben?

Der Elite sind die Wanderarbeiter egal, obwohl sie China zum größten Produzenten der Welt gemacht haben, der fast 20 Prozent aller Produkte weltweit herstellt. Und trotzdem verdient ein Arbeiter in Guangdong, dem Industriezentrum, ein Zwölftel dessen, was sein Kollege in Großbritannien verdient. Und er muss damit rechnen, dass seine Rechte mit Füßen getreten, Löhne einbehalten oder zu spät gezahlt werden. Der Mindestlohn liegt 60 Prozent unter dem Lebensminimum. Es herrscht Anarchie, und "guan shang goujie" ist die Norm, also Allianzen zwischen Kapitalisten und Regierungsbeamten.

Es gibt 200 Millionen Wanderarbeiter in China - wie werden sie in den nächsten zehn Jahren die Gesellschaft verändern?

Die Regierung redet immer davon, China von einer exportorientierten Niedriglohn-Wirtschaft zu einer konsumgetriebenen Wirtschaft zu machen. Aber wie soll das passieren, wenn Millionen von Wanderarbeitern durch die Gesetze offiziell weder Aufenthaltsrechte in der Stadt ["Hukou", d. Red.], noch genügend Geld für Konsum besitzen? Wenn sich das Hukou-System nicht ändert, werden sie weiterhin als rechtlose Bauern gesehen. Sie müssen endlich wie Bürger behandelt werden.

Was kann der Konsument im Westen tun, um die Bedingungen zu verbessern?

Die Menschen im Westen können Petitionen verfassen und vor allem Produkte boykottieren, bei deren Produktion bekanntermaßen chinesische Arbeitnehmer ausgebeutet werden. Das funktioniert aber nur, wenn sie sich zusammenschließen und sagen, dass sie beispielsweise kein iPad oder iPhone mehr kaufen, wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht verbessern. Ein Einzelner wird nicht viel ändern. Gewerkschaften im Westen sollten Beziehungen nach China knüpfen, um den Druck auf die Regierung dort zu erhöhen, Arbeitnehmer-Zusammenschlüsse zu erlauben. Wir müssen den Druck aufrecht erhalten und die betreffenden Unternehmen weiter genau beobachten. Es gibt nicht nur ein Foxconn, sondern Tausende solcher Firmen.

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