Bakterien auf der Haut:Nabelschau

Der Mensch trägt die Welt im Nabel: Manche Zeitgenossen beherbergen auf ihrem Bauch Mikroorganismen aus Ländern, in denen sie noch nie waren. Wissenschaftler stehen grübelnd vor diesen Funden aus einem unerschlossenem Gebiet: dem menschlichen Bauchnabel.

Sebastian Herrmann

Bikini Frau Pool

Birgt viele Überraschungen: der menschliche Bauchnabel.

(Foto: dpa)

Der Bauchnabel des Menschen beherbergt nicht nur Fussel, sondern unzählige weitere Untermieter. In Abstrichen aus 60 Nabeln haben die Biologen Jiri Hulcr, Andrea Lucky und Robert Dunn von der North Carolina State University insgesamt 2368 verschiedene Bakterienarten identifiziert. Mehr als 1400 dieser Keime waren bislang unbekannt. "Der Bauchnabel ist einer der Lebensräume, die uns am nächsten sind, und ist bis heute weitgehend unerforscht", schreibt die Gruppe in Plos One, wo sie ihre wissenschaftliche Nabelschau veröffentlicht haben (Bd. 7, S. e47712, 2012).

Auf der Haut und im Darm jedes Menschen tummeln sich etwa eine Billiarde Bakterien, die zusammen rund zwei Kilogramm wiegen. Auf jede menschliche Zelle kommen somit zehn Keime. Das klingt eklig, doch diese mikrobiellen Untermieter erledigen unzählige wichtige Aufgaben. Sie helfen bei der Verdauung, produzieren lebenswichtige Vitamine, halten die Haut geschmeidig und unterstützen das Immunsystem. Ohne die Besiedelung durch Bakterien könnte der Mensch nicht leben. Ob die Bakterien-Kolonien im Bauchnabel ebenfalls lebenswichtige Arbeiten verrichten, ist ungewiss - sie sind halt einfach da, so wie sie überall auf der Haut sind.

Für die Studie nahmen die Forscher per Wattestäbchen Proben aus Bauchnabeln ihrer Probanden. Hulcr und Lucky vermehrten die Keime dann in Petrischalen und glichen ihr Erbgut mit Hilfe großer Datenbanken ab. Im Schnitt hausten in jedem Nabel um die 50 verschiedene Keime.

Der Mensch mit der größten Diversität beherbergte 107 unterschiedliche Arten, der mit der geringsten Bandbreite enthielt noch immer 29 Arten. 2188 der insgesamt nachgewiesenen 2368 Bakterienarten fanden sich in weniger als zehn Prozent der Proben, die meisten Spezies siedelten sogar nur in jeweils einem Bauchnabel.

Keine einzige Art fand sich bei allen Testpersonen. Dennoch identifizierten die Forscher dominante Spezies, so genannte Oligarchen. Diese acht Keimarten machten 45 Prozent der gesamten Bakterienmenge aus.

Der Wissenschaftsautor und Blogger Carl Zimmer steuerte auch einen Abstrich aus seinem Bauchnabel bei - und berichtet über bizarre Ergebnisse. Mit einer Keimvielfalt von 53 Arten liegt Zimmer zwar im Durchschnitt. Doch einige seiner Mitbewohner sind exotisch: So fanden sich darunter 17 Arten, die in keinem anderen untersuchten Nabel auftauchten, etwa Bakterien der Art Marimonas, die bisher nur aus Ozeanen bekannt sind.

Wertvolle Fundgrube: Ein Bauchnabel der jahrelang nicht gewaschen wurde

In Zimmers Nabel hausten zudem Georgina-Keime - Bodenbakterien aus Japan. Er sei aber noch nie in Japan gewesen, schrieb Zimmer in einer E-Mail an Dunn, wie er auf seinem Blog berichtet. "Aber offensichtlich ist Japan bei dir gewesen", antwortete Dunn, der in seinem eigenen Nabel Pantoena-Bakterien fand, die sonst auf Pflanzen leben. Wie solche exotischen Keime in die Bauchnabel ihrer Wirte geraten, wissen die Forscher nicht.

"Wir haben Piercings gesehen, einige Infektionen, Fussel und mehr Haare, als uns lieb waren", schreibt Robert Dunn in einem Blogbeitrag für das Magazin Scientific American.

Gelegentlich überschritt die Arbeit sogar Schmerzgrenzen: Einer der Probanden erklärte, er habe sich seit Jahren nicht gewaschen. Das machte die Angelegenheit zwar eklig, die Probe aber wertvoll für die Forscher. Erstens fanden sich nur in diesem Abstrich zwei Archaeen-Arten - Einzeller, die zu den Prokaryoten zählen, so etwas wie Urbakterien. Zudem sei diese Probe womöglich historisch repräsentativ, denn vor wenigen Generationen sei es unüblich gewesen, sich so oft wie heute zu waschen, schreibt Dunn.

Trotz der ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen arbeitet das Team weiter an den Nabeln der Welt. Mittlerweile ist die Zahl ihrer Proben auf über 300 angewachsen. Mehr als 600 aus ganz Nordamerika peilen die Forscher an, um vielleicht eines Tages erklären zu können, welche Faktoren die Mixtur der Keime im Nabel bestimmen. Geschlecht, Alter, Wohnort und ethnische Zugehörigkeit spielten laut Dunn nämlich erstaunlicherweise keine große Rolle. Und falls diese Fragen dann geklärt sein sollten? Auch Ohren, Nasen, Augenbrauen, Fußnägel und besonders die Armbeugen hielten weitere Mysterien bereit, schreibt Dunn.

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