Fußball: Schiedsrichter-Affäre:Brisantes aus dem Postfach

E-Mails über eine gemeinsam verbrachte Zeit: In der Schiedsrichter-Affäre um Manfred Amerell zeichnen sich neue Erkenntnisse über den DFB-Kronzeugen Michael Kempter ab.

Thomas Kistner

Eines ist gewiss an diesem Donnerstag im Münchner Justizpalast: So einen Medienandrang hat das Landgericht I nie erlebt, schon gar nicht in einem Einstweiligen Verfügungsverfahren. Vordergründig geht es nur darum, ob Manfred Amerell dem Deutschen Fußball-Bund die Behauptung verbieten kann, er habe Schiedsrichter sexuell belästigt.

Vier Referees legen Eidesversicherungen vor, dass ihnen Übles widerfahren sei, ein weiterer bezeugt Beobachtungen von 2005. Der DFB, der Amerell weder befragt noch Akteneinsicht gewährt hat, kann sich der Ausgangslage von 5:1 Stimmen sicher sein. Bleibt die Frage, ob Amerell Substantielles dagegensetzen kann. Doch offenbar ist er gerüstet.

Dass Schiedsrichterfunktionär Amerell Pflichtverletzungen beging, ist unstrittig, die Frage aber: Lag der Affäre ein einvernehmliches Intimverhältnis zugrunde, war es reine Privatsache - oder gab es erzwungene Übergriffe, wie sie der Kronzeuge Michael Kempter an Eides statt bekundet und der DFB seit Wochen öffentlich vorträgt?

Im Digitalzeitalter hat mancher sein Leben archiviert, auch Amerell. Der Familienvater legte schon einmal, am 12. Februar, eine SMS von Kempter vor, der per Anzeige Mitte Dezember bei Schiedsrichterchef Volker Roth die Affäre ausgelöst hatte. Die SMS vom 13. Januar lautete: "Wieso machen wir alles kaputt? Tut mir echt weh! Komm doch ohne Dich auch nicht klar!"

Kempter beteuert, diese SMS sei kein Beleg für Intimität, sondern beruflicher Natur. Aufs Schärfste verwahrte er sich in vielen Interviews dagegen, homosexuell zu sein. DFB-Chef Theo Zwanziger unterstützt ihn, lobt "Offenheit und Mut" des 27-Jährigen, der weitere Referees zu Anzeigen bewegt hat. Sein Vertrauen in Kempter erscheint unerschütterlich. Das muss es wohl sein, Zwanziger hat sich weit aus dem Fenster gelehnt. Wie weit?

Das ist aus Sicht der Öffentlichkeit die Kernfrage in der Affäre. Indem der DFB Amerell öffentlich, ohne ihn anzuhören, sexuelle Übergriffe anlastet, band er sich an die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Bräche der Kronzeuge weg, könnte das den DFB in den angedrohten Folgeprozessen nicht nur viel Geld kosten, es würde den Ruf des Präsidenten beschädigen, vom Imageverlust für den DFB abgesehen.

Es gibt mehr Belege für den Verdacht, dass Kempters Beziehung zu Amerell offenbar nicht nur rein beruflich war. Eine Mail liegt der SZ vor, der Ton ist äußerst vertraut, da ist vom "Schatz" die Rede, von gemeinsam verbrachter Zeit. Diese Mail Kempters an Amerell datiert vom 21. Oktober 2008. An dem besagtem Samstag, drei Tage zuvor, hatte Kempter die Partie Bremen - Dortmund geleitet. Nach diesem Spiel soll es im Hotel zu just dem Vorfall gekommen sein, der seither die Fußballwelt in Atem hält.

Mysteriöses in der Nacht von Freitag auf Samstag

Amerell hat früh auf viele solcher Belege verwiesen. Sein Anwalt Jürgen Langer warnte, es werde "am Ende nur Verlierer geben"; Amerell sei bloß der erste. Sollte es also einen derartigen, einschlägigen Schriftverkehr über Jahre geben, dürfte es Kempter und dem DFB schwerfallen, den Vorwurf erzwungener Übergriffe aufrecht zu erhalten - so lautet die Rechnung Amerells. An Bedeutung gewänne wohl auch, dass Zwanziger und Spitzenleute Kempters SMS von Januar schon seit 1. Februar kennen.

Als letzte Woche plötzlich ein junger Referee bei den DFB-Ermittlern anzeigte, Kempter sei ihn am 13. Mai 2009 in einem Düsseldorfer Hotelzimmer sexuell angegangen, reagierte der DFB defensiv. Ihn interessiere nur, ob jemand sein Amt missbrauche, Privates unter Mitarbeitern ginge ihn nichts an. Kempter bestreitet den Vorfall, für den DFB war die Sache erledigt. Auf diesem Grat bewegt sich die Affäre, und mit ihr der Verband.

Es gibt auch die drei weiteren Zeugen, die Nötigungen anzeigen. Anwalt Langer ist gespannt, er beobachtet das Internet. Aus einer Facebook-Gruppe zu Kempter, sagt er, hätten sich "in den letzten Tagen einige Schiedsrichter rausgelöscht". Generell sei es ein Unterschied, ob Referees unabhängig voneinander, wie der DFB sagt, Klage führten - "oder ob sie gut verbandelt sind, und Kempter, der Fifa-Referee, ein Idol für den einen oder anderen war." Nichts erscheint undenkbar vor dem Prozess, nicht mal, dass er in letzter Sekunde platzen könnte.

Mysteriöses trug sich Freitagnacht zu. Zunächst rief Franz-Xaver Wack, Ex-Bundesligaschiedsrichter, bei Amerells Ehefrau Margit an, er suche ein Gespräch. Die Ehefrau bat nach Rücksprache mit Anwalt Langer den späten Anrufer zu sich ins Augsburger Hotel. Es gibt dazu Wacks Version, nach der ihm eine Falle gestellt wurde. Doch stehen hier wie auch bezüglich der Gesprächsinhalte drei Zeugen gegen ihn. Margit Amerell sowie die nachts von München gen Augsburg gebrausten Langer und Frau behaupten, Wack habe gesagt, es ginge um zehn Referees, Amerell solle sich Montag "stellen". Und: Wack habe sich dezidiert auf Akteneinsicht beim DFB berufen.

Der DFB versichert, Wack habe kein Amt und auch nie Akteneinsicht erlangt. Nur die drei Referees sähen ihn als Vertrauensmann. Letzteres wurde in einer überfallartig angesetzten kleinen Presserunde am Sonntag verkündet. Selektive Pressearbeit ist ein Merkmal Zwanzigers geworden, auf SZ-Anfrage aber verweist der DFB nur auf die Referees, die hätten diesen Kreis klein und anonym halten wollen; Bild war dabei.

Doch warum überhaupt eine Pressekonferenz, zumal ja diese Referees zugleich ungenannt bleiben wollten? Die wahre Neuigkeit schien, dass plötzlich Franz-Xaver Wack auf der Bühne stand - dessen Auftritt bei Amerells Frau aber nicht thematisiert wurde. Auf Anfrage, ob der jähe Sonntagtermin eine Reaktion auf Wacks misslungenes Augsburg-Abenteuer war, äußerte sich der DFB nicht.

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