Neue Titel für Hochschulabsolventen:Nostalgische Erinnerung an den Dipl.-Ing.

Als Master und Bachelor eingeführt wurden, wurde heftig um den Titel des Diplomingenieurs gekämpft. Doch der gute alte Dipl.-Ing. ist trotzdem weg - stattdessen gibt es jetzt den Bachelor und den Master of Engineering - und die kommen gerade in der Arbeitswelt an.

Dagmar Deckstein

Was nur ist aus dem guten alten deutschen Diplomingenieur geworden? Ein Dipl.-Ing. vor dem Namen, das sei wie der Stern auf der Kühlerhaube, hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche einst geschwärmt, eben ein Markenzeichen für höchste Qualität.

Stromverteilung in Wendlingen

Ohne Dipl.-Ing. kein Durchblick? Bachelor und Master of Engineering werden in Unternehmen auch gern gesehen.

(Foto: dpa)

Immerhin ist Zetsche selbst ein Dipl.-Ing. 1976 hatte er an der Universität Karlsruhe diplomiert. Jetzt kann sein Personalvorstand Wilfried Porth zusehen, was er mit den neuerdings hereinströmenden Bachelors und Masters of Engineering im Autokonzern anfängt. Denn nur solche Absolventen der Ingenieursstudiengänge entlassen die Universitäten zehn Jahre nach der sogenannten Bologna-Reform ins Arbeitsleben. Abgespecktes Studium Bolognese auf der wissenschaftlichen Schmalspur oder universitärer Crashkurs zum früheren, praxisnäheren Berufseinstieg?

Zehn Jahre sind dafür eine kurze Zeit, und nach den ersten Erfahrungen fällt die Resonanz auf die ersten Absolventen zwiespältig aus - nicht nur bei den Hochschulverantwortlichen, sondern vor allem bei den einstellenden Unternehmen. Letztere beklagen immer lauter nicht nur den sich abzeichnenden Fachkräftemangel im Allgemeinen, sondern vor allem den Engpass an Ingenieuren im Auto- und Maschinenbauerland Deutschland. Aber irgendwie hatten sie so nun auch wieder nicht gewettet, dass sie mit dem "Ingenieur light" ihren künftigen Experten- und Innovationsbedarf decken sollen.

Man könnte - um beim Daimler zu bleiben - es mit dem Internet-Kommentator "bierus" auf den Nenner bringen: "Es ist in etwa so, als wenn Daimler, VW, Audi und BMW ihre Produkte künftig nur noch unter dem Namen 'Auto' verkaufen dürften." Bierus erklärt jedenfalls, er sei froh, sich noch Dipl.-Ing. nennen zu dürfen.

Zetsches Konzern, nach wie vor einer der beliebtesten Arbeitgeber für junge Hochschulabsolventen, hat allerdings längst Frieden mit diesen "Auto"-Absolventen gemacht. "Wir trauern dem Diplom-Ingenieur nicht nach", sagt eine Konzernsprecherin. Absolventen mit dem ersten, berufsqualifizierenden Bachelor-Abschluss seien dem Konzern generell willkommen. Mit dem "Daimler academic Program" sei man bei einem praxisbegleitenden Aufbau-Masterstudium zudem gerne behilflich. Wer die Devise vom lebenslangen Lernen ernst nehme, müsse sich auch als Konzern mehr für die Weiterbildung der Beschäftigten engagieren.

Der benachbarte Zuliefer- und Technikkonzern Bosch empfängt Bachelors des Ingenieurwesens ebenfalls mit offenen Armen. "Als Unterzeichner der 'Bachelor Welcome'-Erklärung bekennt sich der Konzern zur Umstellung des Studiums auf die gestufte Studienstruktur - Bachelor- und Master-Absolventen genießen eine breite Akzeptanz bei Bosch", erläutert ein Sprecher. Aufgrund der Altersunterschiede zwischen den Absolventen beider Abschlüsse beobachte Bosch lediglich "Unterschiede in der persönlichen Reife und der gesammelten Praxiserfahrung".

Bosch bietet daher Stellenausschreibungen für Bachelor-Absolventen, die als Generalisten einsteigen wollen und Interesse an einer sehr praxisnahen fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung haben. Dazu gibt es spezielle Einstiegsprogramme für die Fach- und Führungslaufbahn, etwa Junior Managers Program und Graduate Specialist Program, die jeweils einen Master-Abschluss voraussetzen. 2011 hat Bosch in Deutschland 1300 Hochschulabsolventen eingestellt, darunter mehr als 500 mit Bachelor-Abschluss.

Aber wohl nicht von ungefähr hat Horst Hippler, seit Mai Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, erst kürzlich gesagt: "Die Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen." Wenn man sich also landauf, landab in der deutschen Maschinenbauerbranche umhört, sind ähnliche Einlassungen zu hören. "So ein in sechs Semestern verschult ausgebildeter Bachelor ist eigentlich nicht mehr als ein qualifizierter Sachbearbeiter", sagt einer aus der Branche. Und ein anderer: "Diese jungen Menschen, gerade mal Anfang 20, sind viel zu jung, haben noch keine entwickelte Persönlichkeit." Man habe mittlerweile andere Kriterien entwickelt: Es sei wichtig, von welchen Universitäten die Bachelors kommen. Hoch im Rang stehen zum Beispiel die RWTH Aachen oder das Karlsruher KIT.

Man sieht es gelassen

Allerdings möchten sich zum Teil sehr erfolgreiche "Hidden Champions" nicht gerne mit Firmennamen zitieren lassen. Ganz einfach deswegen, weil viele von ihnen um die Jahrtausendwende noch vollmundig verbreitet haben, die deutschen Magister und Diplomanden fänden viel zu spät - meist erst Ende 20 - ins Berufsleben und seien dann nicht mehr so recht formbar für die entsprechenden Anforderungen in der Unternehmenspraxis.

Nun ist es gerade umgekehrt: Je länger es im Leben aufgrund der demografischen Alterung zu arbeiten gilt, desto länger und intensiver dürfe und müsse sich auch der Ingenieur mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Bau-, Umwelt-, Maschinenbau- bis Wirtschaftsingenieurwesens tiefer befassen dürfen. Das Gegenteil hat die Bologna-Version des Ingenieursstudiums vorgesehen: meist sechs Semester sehr verschulte Bachelor-Schnellbleiche (abgeleitet vom lateinischen "Baccalaureus", heißt so viel wie "junger Geselle"), bei Bedarf und wissenschaftlich höheren Ansprüchen ergänzt durch ein vier- oder mehrsemestriges Master-Studium. Dafür gibt es aber viel zu wenige Studienplätze.

Beim Göppinger Weltmarktführer für Pressen und Umformtechnik Schuler sieht man die Bachelorisierung des Ingenieurnachwuchses indes ähnlich gelassen wie bei Daimler und Bosch. "Der Ruf, den der Abschluss Diplom-Ingenieur vor allem im Ausland genoss, war bekanntermaßen hervorragend. "

"Doch die heutigen Hochschulabsolventen mit einem international vergleichbaren Bachelor oder Master of Engineering verfügen in der Regel über die nötige Grundlage, um eine Tätigkeit etwa in der Konstruktion auszuüben", sagt Matthias Jobmann, Leiter des Personalmanagements bei Schuler. "Weil unsere Produkte hochkomplex sind, müssen wir unsere neuen Beschäftigten sowieso intern weiterbilden - heute genauso wie früher." Einen Wermutstropfen findet auch Jobmann: Bachelor sei eben nicht gleich Bachelor. Je nach Hochschule schwanke die Regel-Ausbildungszeit für Bachelor-Ingenieure zwischen sechs und acht Semestern. "Die Absolventen bringen also zwangsläufig nicht dasselbe Rüstzeug mit, das macht die Personalauswahl schwieriger."

Ähnlich heißt es beim Esslinger Automatisierungsspezialisten und Weltmarktführer Festo: "Die Durchlässigkeit im Bildungsbereich ist sicherlich ein Positivum." Dennoch, erläutert eine Sprecherin, werde es noch eine Zeit dauern, bis bei Hochschulen wie Unternehmen uneingeschränkt akzeptiert ist, dass auch ein Hauptschulabsolvent mit Ausbildung ein Vollstudium angehen könne. Die Festo-Sprecherin sagt, mit Blick auf die internationale Anerkennung sei die Umstellung sinnvoll, allerdings habe "Deutschland dort eine weltbekannte 'Marke' insbesondere im Ingenieurbereich aufgegeben."

Ob Diplom-Ingenieur, ob Bachelor oder Master of Engineering - letztlich ist es wohl so, dass die einstellenden Unternehmen ohnehin nicht mehr sehr wählerisch sein können. In Zeiten des demografisch bedingten Nachwuchsmangels müssen sie durchaus Kompromisse in Kauf nehmen. Bei Festo sieht man das, wenn auch etwas verklausuliert formuliert, genauso: "Die Absolventen kommen früher ins Arbeitsleben - aber was fehlt, ist Lebenserfahrung." Denn ein junger Bachelor of Engineering, der mit 21 Jahren sein Studium beendet, könne nur bedingt als Vertriebsingenieur eingesetzt werden.

Zudem weiß man bei Festo, dass nicht nur Fachwissen für ein erfolgreiches Berufsleben relevant sei: "Die persönlichen Kompetenzen fließen wohl etwas zu wenig in die neue Bildungslandschaft ein." Aus demografischer Sicht sei es vorteilhaft, wenn qualifizierte Fachkräfte früher als bisher in das Erwerbsleben einsteigen würden, erklärt die Sprecherin des Konzerns: "Das wirkt dem Fachkräftemangel etwas entgegen.

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