Streitgespräch der Ökonomen Sinn und Regling:Meine Fakten, seine Fakten

Raus aus dem Euro! Das fordert der Ökonom Hans-Werner Sinn von den Krisenstaaten, die sich nicht erholen. Vorsicht, dann wird es richtig teuer, mahnt dagegen der Chef des Rettungsfonds, Klaus Regling. Der Streit beim Führungstreffen Wirtschaft der "Süddeutschen Zeitung" zeigt, warum diese Krise so schwer zu lösen ist.

Lutz Knappmann, Berlin

Am Ende könnte sich Hans-Werner Sinn als Sieger fühlen: Die Stimmung im Saal ist skeptischer geworden, das Vertrauen in die herrschende Euro-Rettungspolitik hat abgenommen, ergibt eine Spontan-Umfrage. Sinns düstere Szenarien, so scheint es, haben bei den Zuhörern verfangen. Aber was wäre das für ein Sieg? Die Verunsicherung gewachsen, ein Konsens für eine Lösung der Schuldenkrise in weite Ferne gerückt.

Fast eineinhalb Stunden streitet sich der Chef des Ifo-Instituts mit Klaus Regling, dem Chef des Euro-Rettungsfonds EFSF. "Wie geht es mit dem Euro weiter?" lautet die Frage für das Aufeinandertreffen der beiden ökonomischen Schwergewichte beim Führungstreffen Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung. Sinn, der Mahner, der talkshowerprobte Krawallmacher. Regling der Rettungsmanger, der durch Europas Krisenstaaten reist, um den Plan der Regierungen auszuführen.

Das Ergebnis: zwei unversöhnliche Positionen. Regling verbreitet Hoffnung: "Die Exporte steigen in allen südeuropäischen Ländern", sagt er. Irland sei erstmals seit langem wieder in der Lage, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren, Portugal auf bestem Weg dahin. In Griechenland und Spanien würden Reformen "in einer Dichte und Schnelligkeit umgesetzt, wie noch nie". Regling wertet die Rettungspolitik als Erfolg: "Die Strategie funktioniert, und wir kommen raus."

Sinn widerspricht, wo er nur kann: In den Krisenstaaten Südeuropas tue sich fast nichts. Griechenland etwa, behauptet Sinn, "finanziert sich seit fünf Jahren ausschließlich über die Notenpresse". Die Wettbewerbsfähigkeit nehme vielerorts weiter ab. "Die Länder in Südeuropa können ihre Schulden nicht zurückzahlen", sagt Sinn. Die Rettungsversuche überforderten die übrigen Staaten. "Wir übertragen die Krise in die noch gesunden Staatsbilanzen Nordeuropas."

Sinn fordert deshalb: "Wir müssen radikaler rangehen. Immer nur die Lösung hinausschieben, um Ruhe zu haben, das verschlimmert die Lage." Konkret: Es brauche einen großen Schuldenschnitt für die Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien. Und wer seine Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessere, müsse ganz raus aus dem Euro, fordert Sinn - um rasch noch zu skizzieren, wie eine Rückkehr zur Drachme in Griechenland quasi übers Wochenende vollzogen werden könnte.

Regling kontert kühl: "Dann wird es für den Steuerzahler richtig teuer, dann wird Griechenland verelenden." Bislang, so argumentiert der EFSF-Chef, sei doch noch gar kein Geld in die Krisenstaaten geflossen. Es seien lediglich Risiken übertragen worden. Deutschland verdiene bislang Geld mit den Hilfskrediten. Tatsächlich sind bereits fast 400 Millionen Euro an Zinsen geflossen.

Das Problem mit Sinn und Regeling ist: Sie vertreten nicht nur konträre Lösungsansätze, sie widersprechen sich schon bei den Fakten. Milliardensummen schwirren durch den Raum, Produktionskosten, Lohnniveaus, Details volkswirtschaftlicher Mechanismen. Es hagelt schiefe Vergleiche, Verschwörungstheorien. Stets bezweifelt der Eine die Argumentationsgrundlagen des Anderen. Das ist amüsant für manchen Zuhörer. Einer Lösung bringen Sinn und Regling Europa nicht näher.

Das ist das Wesen dieser Krise. Die Zusammenhänge komplex, die Summen gewaltig, die Lösungsansätze in diesen Dimensionen noch nie erprobt. Ein gewaltiges, dramatisches Experiment - mit ungewissem Ausgang. Wie es weiter geht mit dem Euro? Wer Regling und Sinn beim Streiten zuhört hat, weiß es anschließend weniger als zuvor.

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