Versorgung im Gazastreifen:Katastrophe mit Ansage

Am Tag fünf nach Beginn der israelischen Luftangriffe im Gazastreifen hat Marokkos König Mohammed VI. die "sofortige Aufstellung von Feldlazaretten" versprochen. Die "humanitäre Initiative" zeigt die Solidarität der arabischen Staaten mit den Palästinensern. Sie zeigt auch: Mit einer Waffenruhe rechnet im Moment niemand.

Charlotte Theile

Die Situation im Gazastreifen, wo 1,7 Millionen Menschen auf 350 Quadratkilometern zusammenleben, ist in der Schwebe, keiner weiß, wie es weitergeht. Etwa 100 Palästinenser sind bisher bei den Luftangriffen der israelischen Armee ums Leben gekommen - vieles erinnert an die Anfänge des Krieges 2008/2009. Damals war die israelische Armee nach tagelangen Luftangriffen mit Bodentruppen im Gazastreifen einmarschiert.

Schon jetzt sind zwei der 21 Kliniken und Gesundheitszentren des UN-Hilfswerkes für palästinensische Flüchtlinge UNRWA geschlossen. In Khan Younis und Jabalia, nahe der Grenze zu Israel, ist der Betrieb vorübergehend eingestellt worden - eines der Krankenhäuser wurde von Raketen aus Israel beschädigt. Allein am Sonntag kümmerten sich 648 Ärzte, Krankenschwestern und anderes medizinisches Personal des UNRWA um mehr als 9500 Patienten. Schon vor der Beginn der israelischen Luftangriffe sei die medizinische Versorgung in Gaza schwierig gewesen, sagte Robert Turner, Director der UNRWA in Gaza am Montag. Nun sei dringend medizinische Hilfe erforderlich.

Der marokkanische König Mohammed VI. erklärte am Sonntag, sein Land werde so schnell wie möglich Feldlazarette im Gazastreifen errichten. Die Ankündigung aus Marokko macht deutlich, dass noch mit weiteren Bomben und Verletzten, womöglich sogar einer israelischen Bodenoffensive gerechnet wird.

Was das bedeuten kann, zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit. Als am 18. Januar 2009, nach drei Wochen Krieg, Waffenruhe eintrat, waren nach Angaben der UN mehr als 1400 Palästinenser getötet worden, unter ihnen viele Frauen und Kinder. Chirurgen, medizinische Geräte oder einfaches Verbandszeug - durch die Abriegelung des Gazastreifens fehlte es damals an fast allem, was es für die medizinische Versorgung der Verwundeten gebraucht hätte.

Israeli tank staging area in southern Israel

Israelische Panzer nehmen Aufstellung an der Grenze zu Gaza. Die Armee sei bereit, die militärischen Aktionen gegen die palästinensischen Kämpfer auszuweiten.

(Foto: dpa)

Halah Abu Mugheisib, Pressesprecherin der Palästinensischen Mission in Berlin, telefoniert nun fast den ganzen Tag lang mit Menschen im Gazastreifen. Sie berichtet, es gebe bereits 900 palästinensische Verletzte, Medikamente und Verbandsmittel würden knapp, Zufahrten zu Krankenhäusern, Schulen und Elektrizitätswerke seien zerstört.

Die Feldlazarette aus Marokko könne sie daher nur begrüßen. "Notwendig ist das in jedem Fall" sagte Mugheisib Süddeutsche.de, "allein am Wochenende mussten sechs Verletzte nach Ägypten transportiert werden, weil sie in Gaza nicht behandelt werden konnten." Sie befürchtet, dass sich die Situation sehr bald verschlimmern könnte.

Lebensmittel und Benzin sind knapp, die Schulen geschlossen

Nur noch wenige Lebensmittelgeschäfte seien geöffnet und diese hätte fast keine Kundschaft, heißt es im Tagesbericht der UNRWA für Sonntag. Kaum jemand traue sich auf die Straße, Benzin gebe es nur, wenn Strom da sei - und auch dann würden bewaffnete Truppen kontrollieren, dass niemand mehr Treibstoff kaufe, als er dringend für den privaten Gebrauch benötige.

Ein Zentrum, das 3500 Menschen mit Lebensmitteln versorgen sollte, wurde am Sonntag bei einem Angriff erheblich beschädigt, vier weitere Großverteiler blieben geschlossen. Man versuche dennoch, die ärmsten Flüchtlinge weiter mit der nötigen Menge an Essen zu versorgen.

Ein Lehrer des Hilfswerks und ein achtjähriger Schüler der UNRWA-Schule kamen bei den Angriffen der vergangenen Tage ums Leben. Viele andere seien traumatisiert. Die Schulen des Hilfswerks sind geschlossen, Unterricht ist im Moment zu gefährlich. Über TV würde jedoch weiter unterrichtet: Mathe, Arabisch. Englisch.

UNRWA-Direktor Turner hatte am Montag im Shifa Hospital, dem größten Krankenhaus in Gaza, die Toten des vergangenen Wochenendes beklagt. Mindestens elf Mitglieder einer Familie, darunter vier Kinder, waren tags zuvor bei einem Luftschlag auf ein Wohnhaus getötet worden. Die israelische Armee prüft, ob dieser Angriff, der eigentlich einem Hamas-Führer galt, versehentlich ein falsches Haus getroffen habe. "Es sind nicht die ersten Kinder, die gestorben sind. Und wenn nicht sofort mehr Druck auf die Parteien ausgeübt wird, werden es auch nicht die letzten sein", so Turner.

Am Montag flog die israelische Armee erneut heftige Angriffe auf den Gazastreifen. Dabei wurden nach Angaben palästinensischer Rettungsdienste zehn Zivilisten getötet, auch zwei Feldkommandeure der Bewegung Islamischer Dschihad kamen ums Leben. 30 Menschen wurden verletzt.

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