Entwicklungshilfe wird gekürzt:Deutschland begräbt ein Stück globaler Verantwortung

Seit Jahrzehnten gilt das Ziel der Industrieländer, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Entwicklungshilfe zu stecken. Nun steht Deutschlands Zusage vor dem Aus. Wenn wir nicht einmal mehr versuchen, in Reichweite unserer Versprechungen für eine gerechtere Welt zu gelangen - warum sollten es dann die anderen?

Michael Bauchmüller, Berlin

Kinder arbeiten auf einer Müllkippe, 2004

Deutschland kürzt Entwicklungshilfe: Kinder arbeiten auf einer Müllkippe in Mali (Archivbild 2004)

(Foto: dpa/dpaweb)

Ganz am Schluss ihres Koalitionsvertrages, im vorletzten Absatz, haben Union und FDP dann auch noch ihre internationalen Verpflichtungen bedacht. "Trotz Finanzkrise", so heißt es dort, werde Deutschland seine Ausgaben für die Entwicklungshilfe schrittweise anheben. Ganz so, wie es seit 40 Jahren gefordert wird, wie es die Industriestaaten schon mehrfach vereinbart haben, wie es die EU zuletzt 2005 bekräftigte: Bis 2015 sollen die reichen Staaten 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Entwicklung der ärmeren Länder investieren.

Es ist ein Stück globaler Gerechtigkeit, auch auf Seite 121 des geltenden Koalitionsvertrages.

An diesem Mittwoch wird der Deutsche Bundestag über den Haushalt des federführenden Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit beraten. Und wenn nichts mehr geschieht, wird der Etat zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt schrumpfen. Haushälter der Koalition hatten dem Haus des FDP-Ministers Dirk Niebel in letzter Minute noch eine Kürzung aufgenötigt, wo eigentlich eine leichte Steigerung vorgesehen war. Zwei Jahre vor dem Stichjahr 2015 dürfte Deutschland seiner Verpflichtung mit weniger als 0,4 Prozent Anteil so fern sein wie eh und je.

Das Ziel war schön, geholfen hat es aber nicht.

Das unterscheidet die Bundesrepublik von Ländern wie Schweden, Norwegen, den Niederlanden und Dänemark. Es lässt Deutschland auch gegenüber Großbritannien und Frankreich zurückfallen. Der Anteil von 0,7 Prozent war ohnehin bis 2015 kaum noch zu erreichen, dies hätte milliardenschwerer Aufstockungen bedurft. Nun aber ist die Koalition auf bestem Wege, die eigenen Verpflichtungen zu begraben, unter den Augen der interessierten Nachbarstaaten. Wenn das Industrieland Deutschland schon nicht einmal mehr versucht, in Reichweite seiner Versprechungen zu gelangen - warum dann wir?

Der Bundeshaushalt 2013

Der Bundeshaushalt 2013

Gefahr der Wiederholung beim Klimaschutz

So enden hehre Ziele: Erst sind sie selbstverständlich, dann plötzlich nur noch schwer zu erreichen, dann verschwinden sie ganz. Im Kampf gegen die Erderwärmung, der seit Jahren eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf höchstens zwei Grad erreichen soll, könnte sich dieses Phänomen bald auf katastrophale Art wiederholen - wenn dieses Ziel erst unrealistisch geworden ist. Und beides, Klimaschutz und Hilfen der Industriestaaten, hängt mittlerweile untrennbar zusammen, in allen Belangen. Wer das eine will, kann das andere nicht lassen.

Doch bisherige Finanzierungsmechanismen geraten ganz offensichtlich an ihre Grenzen. Anwachsende Hilfen für Entwicklungsländer sind eben auch in prosperierenden Ländern wie Deutschland nur so lang opportun, wie sie nicht mit Zielen der Haushaltskonsolidierung oder der Schuldenbremse kollidieren. Ganz zu schweigen von Staaten im Strudel der Schuldenkrise.

Wer also einräumen muss, dass sich das 0,7-Prozent-Ziel nicht länger einhalten lässt, sollte wenigstens über alternative Finanzierungen diskutieren: Etwa aus den Einnahmen einer Finanztransaktionsteuer, aus Klimaabgaben des Schiffsverkehrs und auch über strengere Klimaschutzregeln in der EU, die automatisch zu höheren Einnahmen aus dem Emissionshandel führen würden. Jede dieser Quellen würde doppelten Nutzen stiften, nämlich Schädliches sanktionieren und dringend benötigte Mittel zur Verfügung stellen. Dumm nur, dass die Bundesregierung sich auf keinem dieser Felder sonderlich hervortut.

Zumindest der Bundestag könnte an diesem Mittwoch handeln - und wenigstens die Kürzung stoppen. Das wäre mehr als konsequent.

Gerade ein Jahr erst ist es her, dass 372 Abgeordnete einen fraktionsübergreifenden Appell unterzeichneten: für die Einhaltung der deutschen 0,7-Prozent-Zusage. "Wir fühlen uns dazu moralisch verpflichtet", stand darin.

Damals.

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