Jugoslawen in Deutschland:Gastarbeiter sollen Erspartes nach Jahrzehnten zurückbekommen

Hunderttausende jugoslawische Gastarbeiter schickten ihren Lohn einst an Banken in der Heimat und sahen ihr Erspartes nie wieder. Drei Anleger klagten sich durch alle Instanzen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ihnen nun recht gegeben. Doch ob die Betroffenen ihr Geld auch wirklich erhalten, bleibt unsicher.

Hannah Wilhelm

Drei Bankkunden haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewonnen. Gegen zwei Staaten, gegen Slowenien und Serbien. Die Länder sollen, so die Entscheidung der Richter, den drei Anlegern ihr Erspartes zurückzahlen, das sie einst bei heute nicht mehr existenten Banken ansparten. Nicht nur sie sollen das Geld bekommen, sondern - so das Urteil ungewohnt klar - auch "alle andere in der gleichen Situation" (Aktenzeichen: 60642/08). Und so geht es auch um Hunderttausende jugoslawische Gastarbeiter, die einst in deutschen Fabriken und auf deutschen Baustellen arbeiteten und das Ersparte in die alte Heimat schickten. Bisher dachten sie alle, ihr ganzes Geld sei verloren.

Um die Geschichte, die nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt wurde, zu verstehen, muss man einige Jahrzehnte zurückgehen. Damals strömten Hunderttausende aus Jugoslawien nach Westeuropa, um dort zu arbeiten. Viele von ihnen kamen nach Deutschland. Da sie mit dem Herzen oft noch in der alten Heimat waren und später mal zurückwollten, schickten sie all das, was sie sich vom Munde absparen konnten, nach Hause.

Zum Beispiel zur Ljubljanska Bank in der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien. Denn die Slowenen, die galten als fleißig, emsig, strebsam - sozusagen die Schwaben des Balkans. Als Jugoslawien in den 1980er Jahren in eine Wirtschaftskrise schlitterte, warb das Institut in Deutschland gezielt Gastarbeiter an. Sie waren eine perfekte Kundengruppe. Wenn zum Beispiel Mitarbeiter vom Konsulat durch die Orte reisten, um den Gastarbeitern die Pässe zu verlängern, reisten auch Mitarbeiter der Banken mit.

So konnten die Gastarbeiter praktisch alles auf einmal erledigen. Und nicht nur das: Die Bank zahlte auch noch hohe Zinsen auf Devisenguthaben, sieben, acht oder auch mal zehn Prozent. Die Gastarbeiter schickten das Geld und bekamen dafür ein kleines grünes Sparbuch, in das akribisch die Summen eingetragen wurden. Und in dem Buch stand, dass der Staat Jugoslawien höchstselbst für das Geld bürgt - vergleichbar der gesetzlichen Einlagensicherung von heute.

Doch seitdem ist viel Zeit vergangen. Jugoslawien gibt es nicht mehr. Und die Bank auch nicht. 1991 zerfiel der Staat, und die Ljubljanska Bank brach zusammen. Formal existiert sie noch, es gibt noch ein Büro und einen Direktor und eine Sekretärin. Irgendwo in einem Bürohaus, in Ljubljana, Slowenien. Aber das gesamte Vermögen der Bank wurde 1994 auf die neu gegründete Nova Ljubljanska Bank übertragen, ein heute sehr großes Kreditinstitut. Aber für das Ersparte der vielen Gastarbeiter von außerhalb fühlt die Bank sich nicht zuständig. Und die Behörden des neuen Staates auch nicht.

Viele der Sparer oder ihrer Erben haben einfach aufgegeben und das ewige Nein akzeptiert, das sie von allen zu hören bekamen. Sie haben ihr kleines grünes Büchlein irgendwann weggelegt und die Sache verdrängt. Sie haben aufgehört davon zu träumen, was man mit den 100.000 Euro alles hätte machen können.

"Die Staaten werden vermutlich stillhalten"

Andere dagegen haben nicht aufgegeben und kämpfen seit vielen Jahren. In Slowenien, Kroatien oder Serbien bisher ohne Erfolg. Drei von den Unermüdlichen sind deshalb vor einigen Jahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gelandet - nachdem sie sich mühsam und teuer durch alle Instanzen durchgeklagt hatten. Und dort haben sie nun recht gekommen.

Insgesamt 200.000 angesparte Deutsche Mark, umgerechnet in Euro, sollen die Staaten Slowenien und Serbien ihnen auszahlen. Und zwar bitte verzinst zu dem damals versprochenen hohen Zinssatz. Ein großer Betrag. Und zusätzlich sollen sie pro Person 4000 Euro Schmerzensgeld bekommen, so die Entscheidung des Gerichts. Die drei Anleger hatten das Geld einst bei der Ljubljanska Bank mit Sitz in Slowenien und der Investbanka mit Sitz in Serbien angelegt. Und zahlen sollen nun die Nachfolgestaaten, weil eben der Staat Jugoslawien einst bürgte.

Natürlich handelt es sich wie immer um Einzelfallentscheidungen. Doch hat das Gericht hinzugefügt, dies gelte auch für "alle anderen in der gleichen Situation". Eine weitreichende Entscheidung. Denn insgesamt könnte es sich um Ersparnisse von mehreren Milliarden Euro handeln.

Was dies aber konkret bedeutet, ist nicht ganz klar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ist kein EU-Gericht. Es gibt ihn schon seit 1959, und er überwacht die Einhaltung der Grundrechte, die in der Europäischen Konvention für Menschenrechte festgelegt sind. Die Konvention haben 47 Staaten ratifiziert, auch Serbien und Slowenien. Das Urteil ist also durchaus bindend. "Wir gehen nun aber nicht davon aus, dass Serbien und Slowenien in den kommenden sechs Monaten den 300.000 Sparern einen Brief schickt, in dem steht: Es gibt ein Urteil, und wir müssen Ihnen nun so und so viel Tausend Euro überweisen", sagt Anwalt Peter Mattil, der viele deutsche Anleger vertritt. "Vermutlich werden die Staaten einfach stillhalten. Aber die Situation ist nun definitiv schwieriger für sie geworden und besser für die Anleger." Seiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, dass die zahlreichen Sparer die Ansprüche nun vor Gericht in dem jeweiligen Land erstreiten müssen. "Aber dabei hilft ihnen das Urteil sehr, denn ignorieren können es die Gerichte nicht."

Mattil versucht derzeit, für einige Betroffene eine Klage vor dem Landgericht Frankfurt ins Rollen zu bekommen. Er klagt gegen die Nova Ljubljanska Bank, in der er eine Rechtsnachfolgerin der Ljubljanska Bank sieht. Und nun wohl auch gegen den Staat Serbien. Sein Argument für den Gerichtsstand Deutschland: "Hier wurden die Sparer angeworben." Bisher ist noch unklar, ob das Landgericht die Klage zulassen wird. Aber mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg sieht er gute Chancen für seine Mandanten, dass sie ihr Geld irgendwann wiedersehen werden.

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