Geschönter Armutsbericht:Opposition wirft Merkels Koalition Vertuschung vor

Mit massiver Kritik reagieren SPD, Linke und Grüne auf den Umgang der Bundesregierung mit dem Armuts- und Reichtumsbericht. Die von der SZ aufgedeckten Glättungen seien der Beweis, dass Schwarz-Gelb ein "gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit" habe. Linken-Chefin Kipping fordert bei Süddeutsche.de, anstelle der Regierung solle künftig der Bundestag die Einkommensverteilung untersuchen lassen.

Von Oliver Das Gupta

Armutsbericht geschönt - Obdachlose Frankfurt Armut

Eine ältere Frau bittet in der Einkaufsmeile Zeil in Frankfurt am Main um Almosen.

(Foto: dpa)

Empört hat die Opposition im Bundestag kritisiert, dass die Bundesregierung den Armuts- und Reichtumsbericht an entscheidenden Stellen umarbeiten ließ. "Die Schönung des Berichts ist schäbig", sagte Linken-Chefin Katja Kipping zu Süddeutsche.de. Ähnlich formulierte Andrea Nahles ihre Kritik: Sie sprach von einer Vertuschung von Seiten der Bundesregierung. "Wer die Realität ausblendet und ignoriert, kann keine gerechte Politik machen", erklärte Nahles auf Anfrage von SZ.de.

Claudia Roth, Parteivorsitzende der Grünen, sagte SZ.de: "Die Wirklichkeit, für die Schwarz-Gelb verantwortlich ist, ist selbst der Regierung Merkel zu düster. Sie will sich ihr verweigern, statt das Problem anzupacken." Anders seien die Streichungen im Armutsbericht nicht zu erklären. Die Regierung Merkel verkaufe die Menschen in Deutschland für dumm. Aber "die merken längst, dass die Politik von Schwarz-Gelb sie ärmer macht und nur einer ganz bestimmten zahlungskräftigen Klientel nützt."

Roths Amtskollege Cem Özdemir attackierte ebenso die Regierung für den geschönten Bericht. Anstatt daraus die richtigen politischen Schlussfolgerungen zu ziehen, missbrauche die Bundesregierung den Bericht mit "dreisten Verfälschungen zur Manipulation der öffentlichen Meinung", sagte Grünen-Chef Özdemir.

Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) erklärte, die Regierung sei selbst "nicht mehr ganz normal", wenn sie es "für einen ganz normalen Vorgang hält, die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland zu leugnen". Die Koalition aus CDU, CSU und FDP habe "ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit".

Die stellvertretende Vorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, verglich das Verhalten der Bundesregierung mit den drei berühmten Affen, die "über soziale Ungleichheit nichts hören, nichts sehen und nichts sagen". Ein Armuts- und Reichtumsbericht, in dem nicht einmal festgestellt werden dürfe, dass deutsche Privatvermögen sehr ungleich verteilt sind, sei "überflüssig", sagte Wagenknecht zu SZ.de. Sie empfahl, lieber den Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz zu lesen, einem Zusammenschluss aus Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Gewerkschaften.

Wagenknechts Parteifreundin Kipping forderte im Gespräch mit SZ.de, den Report über die Einkommensverteilung künftig nicht mehr von der Bundesregierung erstellen zu lassen. Stattdessen möchte Kipping, dass die Berichterstattung vom Bundestag dirigiert wird. Das Parlament solle "eine unabhängige Kommission mit anerkannten Autoritäten aus Wissenschaft, Sozialverbänden und Gewerkschaften einsetzen". Dieses Gremium sollte "regelmäßig und transparent über Armut und Reichtum in der Bundesrepublik berichten", so Kipping.

FDP verteidigt Veränderungen im Report

Die SZ hatte berichtet, dass das Bundesarbeitsministerium von Ursula von der Leyen (CDU) entscheidende Passagen des Berichts verändert hat. Eine frühere Fassung des Berichts hatte im September für Aufregung gesorgt.

Aus Reihen der Freidemokraten war damals massive Kritik an Arbeitsministerin von der Leyen laut geworden. In einer Stellungnahme hatte das Wirtschaftsministerium von FDP-Chef Philipp Rösler klargemacht, dass der aktuelle Berichtsentwurf "nicht ressortabgestimmt" sei und daher "auch nicht der Meinung der Bundesregierung" entspreche.

Vor allem "Forderungen nach höheren Steuern für die, die den Sozialstaat finanzieren", lehnte das Ministerium ab. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) distanzierte sich von der Analyse.

Aus dem Regierungslager verteidigte FDP-Generalsekretär Patrick Döring die Veränderungen im Text des Reports. Bundeskanzlerin Merkel habe in ihrer "Haushaltsrede festgestellt, dass die soziale Spaltung" geringer geworden sei. "Sie hat recht!", schrieb Döring über Twitter. Es sei "das Verdienst der FDP", dass diese Bundesregierung "keine weitere Belastung der Betriebsvermögen und des Ersparten vorschlägt".

Die Bundesregierung wies inzwischen die Kritik an der Überarbeitung des Reports zurück. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von einem "sehr normalen Vorgang". Der Bericht sei im Übrigen "realistisch" und "problembewusst". Auch eine Sprecherin des Sozialministeriums betonte, es gebe noch gar keine "finale Fassung". Die Stellungnahmen der Verbände lägen noch nicht vor und müssten erst eingearbeitet werden. Es sei dann geplant, den Armuts- und Reichtumsbericht "Anfang nächsten Jahres" in das Bundeskabinett zu bringen.

Mit Material von dpa und dapd.

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