Prestigeprojekt der Deutschen Bahn:Stuttgart 21 wegen Kostenexplosion auf der Kippe

Land und Bund lehnen Beteiligung an 'Stuttgart 21'-Mehrkosten ab

Kostenexplosion bei Stuttgart 21: Land und Bund lehnen Beteiligung an Mehrkosten ab

(Foto: dapd)

Ein Jahr nach dem Volksentscheid wackelt das Projekt: Die Bahn lässt durchsickern, Stuttgart 21 werde 1,5 Milliarden Euro mehr kosten, als mit Bund und Land vereinbart. Bauverzögerungen und die Schlichtung sollen dafür verantwortlich sein. Doch die Bahn kann nicht auf mehr Steuergelder hoffen.

Von Jannis Brühl und Michael König

Die These, der Stuttgarter Bahnhofsneubau sei das "bestgeplante Projekt" in Deutschland, verbreitet die Bahn schon lange nicht mehr. Nach dem, was jetzt aus der Berliner Zentrale nach außen dringt, wäre sie endgültig nicht mehr haltbar. Der Hessische Rundfunk zitierte am Donnerstag einen Vertreter des Konzerns mit den Worten: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden Euro hinaus." Das bedeutet: Der Bahnhof dürfte 1,5 Milliarden Euro teurer werden als geplant.

Damit steht das ehrgeizige Projekt womöglich vor dem Aus. Bislang waren die Bauträger - der Bund, das Land Baden-Württemberg und die Bahn - von 4,5 Milliarden Euro ausgegangen. Mehr Geld steht bislang nicht zur Verfügung. Wo die Mehrkosten herkommen sollen, ist völlig unklar - und dürfte zu heftigem Streit zwischen den Partnern führen.

Hinter dem Kürzel "S21" verbirgt sich das umstrittene Vorhaben der Bahn, den altehrwürdigen Stuttgarter Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umzubauen und eine Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zu schaffen. Nach heftigen, zum Teil gewalttätigen Protesten sprach sich im November 2011 in einem Volksentscheid eine Mehrheit für den Bau aus. Die grün-rote Landesregierung versprach daraufhin, das Projekt mitzutragen - solange der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro nicht gesprengt werde.

Danach sieht es jetzt jedoch aus. Als Grund für die Mehrkosten werden seitens der Bahn Bauverzögerungen genannt, aber auch die Schlichtung zwischen Gegnern und Befürwortern. Der später auch wegen S21 abgewählte Ministerpräsident Stefan Mappus hatte sie eingesetzt, nachdem es bei einer Demonstration im Schlossgarten Verletzte gegeben hatte.

Ein S21-Projektsprecher nannte die Zahlen "pure Spekulation" und verwies auf eine Aufsichtsratssitzung der Bahn. Am kommenden Mittwoch will der Technikvorstand des Konzerns, Volker Kefer, die neuesten Zahlen präsentieren. Dann müssen die Bauträger diskutieren, wer für die erwarteten Mehrkosten aufkommt.

Aus dem Lager der S21-Gegner ist zu hören, die Bahn wolle jetzt "mit der Brechstange" Klarheit über die Mehrkosten schaffen. Die sind mit 1,5 Milliarden Euro womöglich noch defensiv beziffert: Der Tagesspiegel berichtet unter Berufung auf Berechnungen der Münchener Beratungsfirma Vieregg-Rössler, die Gesamtkosten könnten sich sogar auf bis zu zehn Milliarden belaufen.

Boris Palmer hofft auf Einsehen der Bahn

Auch Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen und einer der Wortführer der Bahnhofsgegner, hält sechs Milliarden Euro "eher für die Unterkante" der Kosten. Dass die Bahn damit jetzt an die Öffentlichkeit geht, verwundere ihn nicht: "Überraschend an den neuen Zahlen ist nur, dass die Bahn die Probleme jetzt in diesem Umfang zugibt. Dass es sie gibt, wissen wir schon seit der Schlichtung", sagt Palmer im Gespräch mit SZ.de.

Die Bahn habe das Projekt nicht im Griff. "Ich hoffe, dass sie erkennt, dass sie sich mit dem Projekt selbst überfordert und dringend benötigte Finanzmittel, etwa für neue ICE-Züge, in Stuttgart sinnlos vergraben würde", sagt Palmer.

Ein Einsehen der Bahn, die kürzlich vor Zugausfällen im Winter gewarnt hat, weil Siemens dringend benötigte Züge nicht rechtzeitig liefert, ist nicht in Sicht. Auch die anderen Träger mauern.

Am Montag hatte das Verkehrsministerium in Berlin abgelehnt, sich an Mehrkosten zu beteiligen. Die Bundesregierung ist vor allem an der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm beteiligt, für die sie mehr als 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.

Das Land Baden-Württemberg wird ebenfalls nicht mehr zahlen. Das liegt vor allem an den Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Ihre Glaubwürdigkeit hängt an dem Kostendeckel. "Die Bahn kann nicht auf eine Beteiligung des Landes hoffen. Das weiß sie nicht erst seit gestern. Das weiß sie von Anfang an", sagte Kretschmann am Dienstag. Er gab auch zu verstehen, der Bau befinde sich an einem Punkt, an dem noch nichts unumkehrbar sei.

Auch Kretschmanns kleinerer Koalitionspartner zeigt keine Bereitschaft, Mehrkosten zu tragen. Nachdem die Bahn die neuen Zahlen verkündet hatte, sagte der SPD-Landtagsfraktionschef und S21-Befürworter Claus Schmiedel: "Das ist Sache der Bahn."

Die Bahn will zwar nach eigenem Bekunden auf jeden Fall weiterbauen lassen - aber die neuen Kosten will sie nicht allein tragen. Dabei stellt sich ihr die Frage, bis zu welchem Punkt sich das Projekt überhaupt noch lohnt. 2009 hatte Bahnchef Rüdiger Grube gesagt, betriebswirtschaftlich rechne sich Stuttgart 21 für sein Unternehmen nur bis zu Kosten von 4,7 Milliarden Euro.

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