Der frühere Bundesliga-Schiedsrichter Manfred Amerell ist tot. Der Zustand der Leiche deutet nach Angaben der Polizei darauf hin, dass Amerell bereits vor mehreren Tagen gestorben ist. Daher soll nun eine Obduktion am Nachmittag die Todesursache zweifelsfrei klären.
Zudem wurde von der Polizei ein toxikologisches Gutachten in Auftrag gegeben. "In der Wohnung wurde nichts gefunden, was auf Suizid hindeutet", erklärte Kriminaldirektor Frank Hellwig bei einer Pressekonferenz. Ein Abschiedsbrief wurde nicht entdeckt.
Die Polizei habe am Dienstagnachmittag erfahren, dass ein Bekannter seit längerer Zeit keinen Kontakt zu Manfred Amerell herstellen konnte, mehrere Anrufe habe dieser nicht beantwortet. Der Briefkasten des Wohnungsinhabers sei übervoll gewesen.
Da zur Todesursache zunächst nichts gesagt werden konnte, spekulierten mehrere Medien über einen möglichen Suizid. Auch SZ.de griff die Berichte auf. Zuletzt hatte der 65-Jährige selbst in Interviews wehmütig über sein Leben gesprochen. "Seit dem 1. Februar 2010 lebe ich nicht mehr, ich existiere nur noch", hatte Amerell im April dieses Jahres im Rückblick auf die Auseinandersetzung mit dem Schiedsrichter-Kollegen Michael Kempter erklärt, "meine Lebensqualität geht gegen null. Und das ist bis zum Tod nicht mehr zu korrigieren."
Die Affäre Amerell hatte sich beinahe drei Jahre hingezogen. Am 17. Dezember 2009 wandte sich der Bundesliga-Schiedsrichter Michael Kempter an Volker Roth, den Schiedsrichter-Chef des DFB. Sein Vorwurf: Referee-Obmann Manfred Amerell habe ihn sexuell bedrängt. In der Folge meldeten sich weitere Schiedsrichter beim DFB und gaben an, von Amerell ebenfalls belästigt worden zu sein.
Als die Vorwürfe Anfang 2010 an die Öffentlichkeit geraten, wehrt sich Amerell. Es sei alles "aus der Luft gegriffen", er trete jedoch "aus gesundheitlichen Gründen" als Sprecher der deutschen Schiedsrichter zurück. Der DFB, dessen damaliger Präsident Theo Zwanziger sich sogleich auf die Seite Kempters geschlagen hatte, erklärte den Fall für beendet.
Doch das war er nicht. Es begann ein Männerkampf, ein öffentlich geführter Streit um Egos und Kompetenzen, der Stoff für ein mehrteiliges Fernsehdrama geboten hätte. Amerell fühlte sich verleumdet, er war ein stolzer Mensch, der seinen guten Ruf verloren hatte. Doch er kämpfte verbissen. Im Zuge der Geschichte mit Kempter zerbrach auch Amerells Ehe, zuletzt lebte er zurückgezogen allein in einer Wohnung. Ein Hotel, das er nahe Augsburg betrieben hatte, verkaufte er.
"Die Auseinandersetzung mit Michael Kempter in den vergangenen Jahren hat ihn sehr hart getroffen. Er hat um seine Rehabilitierung gekämpft, das hat sehr viel Kraft gekostet. Das war psychisch eine sehr hohe Belastung für ihn", sagt jetzt der frühere Fifa-Schiedsrichter Bernd Heynemann, der Amerell gut kannte.
Hier ist die Chronik des Falles (für mehr Hintergrundinformationen klicken Sie bitte auf die jeweiligen Links):
- 8. März 2010: Amerell reicht bei der Staatsanwaltschaft München I eine Strafanzeige gegen Kempter und drei weitere Schiedsrichter wegen Abgabe falscher eidesstattlicher Versicherungen und Verleumdung ein.
- 17. März: Amerell erstreitet beim Landgericht Augsburg eine einstweilige Verfügung gegen DFB-Präsident Theo Zwanziger. Dieser darf demnach die Affäre nicht mehr mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche vergleichen.
- 18. März: Kempter erwirkt vor dem Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen Amerell. Dem damals 63-Jährigen wird damit verboten, private E-Mails oder SMS von Kempter an ihn "zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten".
- 12. April: Zwanziger scheitert vor dem Landgericht Augsburg mit einem Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung vom 17. März.
- 16. April: Amerell zeigt Kempter beim DFB-Kontrollausschuss an. Er wirft ihm vor, bei einem Leistungstest 2008 Ergebnisse zugunsten von zwei Kollegen manipuliert zu haben. Der DFB erklärt zwei Tage später, dass keine "Anhaltspunkte für ein sportwidriges Verhalten" vorlägen.
- 26. Mai: Mangels hinreichenden Tatverdachts beendet die Staatsanwaltschaft Augsburg die Ermittlungen gegen Amerell wegen sexueller Nötigung und gegen Kempter wegen Verleumdung. Auch die Verfahren gegen drei weitere Referees wegen falscher eidesstattlicher Versicherung, übler Nachrede und Verleumdung werden eingestellt.
- 24. Juli: Amerell reicht beim Landgericht Hechingen eine Schadenersatzklage gegen Kempter ein. Wegen übler Nachrede und Verleumdung möchte er in diesem Zivilprozess 150.000 Euro erstreiten.
- 5. November: Zwanziger darf nach einem Urteil des Amtsgerichts Augsburg weiter behaupten, dass Amerell Amtspflichten verletzt habe.
- 10. Februar 2011: Der erste Verhandlungstag im Schadenersatz-Prozess Amerell/Kempter endet ohne Ergebnis. Beide Parteien liefern sich die befürchtete Schlammschlacht.
- 17. Februar: Amerell lehnt einen Vergleichsvorschlag des Gerichts ab. Darin war von Schadenersatz keine Rede mehr, er sollte vielmehr das Ende der Schlammschlacht zwischen beiden Seiten einläuten.
- 8. April: In einem anderen Verfahren verliert Amerell erneut gegen DFB-Präsident Zwanziger. Das Oberlandesgericht München hebt die einstweilige Verfügung des Landgerichts Augsburg auf, nach der Zwanziger die Affäre um Amerell und Kempter nicht mehr mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche vergleichen darf.
- 13. April: Amerell stellt einen Befangenheitsantrag gegen die Hechinger Richter. Der wird knapp zwei Wochen später abgelehnt.
- 27. April: Amerell stellt eine Selbstanzeige beim Kontrollausschuss des DFB. Er möchte damit erwirken, dass ihn der Verband "zur Klärung noch offener Fragen" offiziell anhört.
- 10. Mai: Amerells Anwalt Jürgen Langer bestätigt, dass sein Mandant Strafanzeige gegen Kempter gestellt hat. Amerell wirft ihm versuchten Prozessbetrug vor, weil Kempter vor Gericht angeblich andere Angaben gemacht hatte als zuvor gegenüber dem DFB.
- 12. Mai: Das Landgericht Hechingen weist die Schadensersatz-Klage von Amerell gegen Kempter ab. Der frühere Schiedsrichter-Sprecher kündigt über seinen Anwalt an, in Berufung zu gehen.
- 16. August: Der DFB strebt einen Mediationsprozess mit Amerell an. Vermittler soll der evangelische Bischof Wolfgang Huber sein.
- 25. Oktober: Gegen mehrere deutsche Top-Schiedsrichter wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt. Auch Kempter ist im Visier der Staatsanwaltschaft. Auslöser dieser Affäre ist Amerell, der bei der Finanzdirektion Augsburg Anzeige erstattet hat.
- 28. Oktober: Amerell kündigt Strafanzeige gegen das DFB-Präsidium und Zwanziger an. Sein Vorwurf: Der DFB habe Kempters Anwalt bezahlt.
- 2. November: Der DFB erwirkt vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen Amerell. Danach darf er die Behauptung, der DFB habe Kempters Anwalt bezahlt, nicht mehr aufstellen.
- 8. November: Amerell macht dem DFB überraschend ein neues Schlichtungsangebot. In den Tagen zuvor hatten beide Seiten ihre Bereitschaft zu einem Mediationsverfahren eigentlich zurückgezogen.
- 7. Dezember: In der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart akzeptieren Amerell und Kempter einen Vergleichsvorschlag des Gerichts. Zumindest der zivilrechtliche Streit ist damit vorbei.
- 24. April 2012: Amerell kündigt an, den DFB wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte auf Schadensersatz verklagen zu wollen.