Massaker an Schule in Newtown:"Das Böse hat uns heimgesucht"

Das Unheil brach um 9.30 Uhr morgens über Newtown herein. Die Kleinstadt im US-Staat Connecticut, bis zu diesem Zeitpunkt ein Idyll, steht nach dem Massaker noch immer unter Schock. Erst nach und nach wird deutlich, wie eiskalt und grausam der Täter vorging - und wie sich Schüler retten konnten. Eine Rekonstruktion der Ereignisse.

Von Christopher Pramstaller

Postkarten-Idyll in New England. Sonniges Wetter, Temperaturen um den Gefrierpunkt. Freitag, 14. Dezember, der Tag des Massakers an der Sandy-Hook-Elementary-School, beginnt wie so viele Tage in der 27.000 Einwohner zählenden Kleinstadt Newtown im US-Bundesstaat Connecticut. Die Tannenbäume leuchten in der Stadt, beim Eröffnungsfest gab es Cider und Heiße Schokolade, wie die New York Times schreibt.

In 36 Yogananda Street steht das Haus der Familie Lanza. Ein geräumiges Einfamilien-Anwesen in einer kleinen, von Wald umgebenen Siedlung, die typisch ist für den wohlhabenden Teil der US-amerikanischen Mittelschicht. Einige der Nachbarhäuser haben einen Pool im Garten.

Der 20-jährige Attentäter Adam Lanza tötet hier das erste Mal, in den Morgenstunden erschießt er seine Mutter Nancy im Haus der Familie. Die Polizei wird ihre Leiche im Laufe des Tages finden. Ob dem Mord ein Streit vorausging, ist unklar. Anschließend nimmt Adam Lanza die auf seine Mutter registrierten Waffen an sich und fährt zur Sandy-Hook-Elementary-School, wo Kinder bis zur vierten Klasse unterrichtet werden.

Registrierte Waffen seiner Mutter

Mit zwei Pistolen bewaffnet, einer Glock 9 Millimeter und einer Sig Sauer, sowie einem Sturmgewehr des Typs Bushmaster .223 fährt er zur Sandy-Hook-Schule. Es ist eine kurze Autofahrt, kaum mehr als acht Kilometer. Der Nachrichtensender WABC berichtet, der Täter habe eine kugelsichere Weste getragen.

Kurz vor 9.30 Uhr erreicht Adam Lanza die Schule. Die Türen sind zu dieser Zeit blockiert. Das Sicherheitsprotokoll der Schule schreibt es vor, wie die New York Times berichtet. "Man muss klingeln, um hinein zu kommen", sagt die ehemalige Vorsitzende des Bildungsgremiums von Newtown, Lillian Bittman. "Wenn man klingelt, zeigt ein Monitor, wer vor der Tür steht."

Fast 600 Kinder und 40 Lehrer sind in dem Gebäudekomplex, als der Schütze dort am frühen Vormittag eintrifft. Die Ermittler rekonstruieren später, dass der Attentäter das Sicherheitssystem der Tür überwindet und gewaltsam in die Schule eindringt. Im Polizeifunk war schon kurze Zeit nach dem ersten Notruf die Rede davon, dass die Scheiben der Eingangstür zersplittert waren. Zuvor hatte es Berichte gegeben, dass die Direktorin Lanza selbst die Tür geöffnet hätte.

"Es machte Bang, Bang, ich habe Schreie gehört"

Direktorin Dawn Hochsprung selbst hat um 9.30 Uhr ein Treffen mit der Schultherapeutin Diane Day und der Schulpsychologin. "Wir unterhielten uns fünf Minuten und dann hörten wir 'Peng, Peng, Peng!'", sagt Day später dem Wall Street Journal. Sie duckt sich rasch unter einen Tisch, die Direktorin und die Schulpsychologin Mary Sherlach stürmen aus dem Raum. Hochsprung wird in der Schule eines der ersten Opfer sein, auch Sherlach ist unter den Toten. (Die New York Times beschreibt in einem Portrait ihren Einsatz für die Schüler, den sie mit ihrem Leben bezahlen mussten.)

Nach Berichten von Augenzeugen gibt der Schütze in kürzester Zeit bis zu 100 Schüsse ab. "Es machte Bang, Bang, ich habe Schreie gehört", schildert ein Junge die Szene. Eine Lehrerin stemmt sich gegen eine nicht abschließbare Tür, um zu verhindern, dass der Schütze das Zimmer betritt. Die Frau wird in Arm und Bein geschossen. "Sie war unsere Heldin", sagt Therapeutin Day.

Schon um 9.36 Uhr geht der erste Anruf bei der Polizei ein. Die Anruferin sagt, sie glaubt, jemand schieße im Gebäude um sich. Schnell werden Eltern informiert, die sich in Panik in ihre Autos setzen und zur Schule fahren. Auch die Polizei mobilisiert zu diesem Zeitpunkt ein Großaufgebot und ist schon wenige Minuten später, um 9.45 Uhr, vor Ort.

"Das Schlimmste, was wir je erlebt haben"

Der Lehrer Theodore Varga hält mit Kollegen eine Konferenz. "Es war ein wunderbarer Tag", sagt er. Alle seien fröhlich gewesen. Am Vorabend hatten die Viertklässler ein Konzert gegeben. Dann fielen plötzlich die Schüsse. "Ich kann mich nicht einmal erinnern wie viele", sagt Varga.

Irgendjemand hat die Lautsprecheranlage eingeschaltet, sodass jeder im Gebäude hören kann, was geschieht. "Man konnte die Hysterie hören", schildert Varga. "Wer auch immer das getan hat, er hat eine Menge Menschen gerettet", sagt er über das Einschalten der Lautsprecheranlage.

Kaitlin Roig ist mit ihren Erstklässlern in einem Klassenraum, als es los geht. Sie reagiert umgehend und schickt ihre 15 Schüler in das kleine Badezimmer, das sie mit einem Regal verbarrikadiert. "Seid absolut ruhig", weist sie die Kinder an. "Das sind böse Leute draußen. Wir müssen warten, bis die guten kommen." Die Schüler reagierte unterschiedlich: Einige haben Angst, wollen nach Hause, andere sind neugierig, was vor den Zimmern geschieht. Lanza schießt in zwei Klassenräumen um sich. 20 Kinder fallen seinem Wahn zum Opfer, sechs Lehrkräfte werden getötet.

Polizei feuert keinen einzigen Schuss ab

Wann die Schießerei endet und sich Lanza selbst tötet, ist unklar. Die Nachrichtenagentur dapd meldet, dass schon um 9.38 Uhr ein Funkspruch bei der Polizei mit der Nachricht eingeht: "Die Schießerei scheint aufgehört zu haben. Es ist ruhig. Die Schule ist abgeriegelt." Laut New York Times dauert es fast eine Stunde länger, bis um 10.30 Uhr das Morden ein Ende nimmt und die Polizei den Tod von Adam Lanza feststellt. Die Einsatzkräfte finden seine Leiche in einem Klassenraum. Der 20-Jährige hat sich selbst getötet. Kein Polizist feuerte einen Schuss ab.

Als die Polizei eintrifft, durchsucht sie das Gebäude Raum für Raum und bringt Schüler und Lehrer in Sicherheit. Die Beamten weisen die Kinder an, sich die Augen zuzuhalten und an den Händen zu nehmen, damit sie das Grauen nicht sehen müssen. Draußen warteten bereits zahlreiche Eltern auf ihre Kinder. Viele vergeblich.

In der Nacht ist der Tatort an der Sandy-Hook-Elementary-School mit den Leichen abgesperrt. Es beginnt eine "gewaltige Untersuchung", wie es ein Polizeisprecher ausdrückt. Derzeit gibt es kein offizielle Liste mit den Namen der getöteten 20 Kinder und sechs Erwachsenen, die in der Schule starben.

Amerika steht nach der Gräueltat unter Schock, Politiker suchten verzweifelt nach Worten. Präsident Obama sagte, derartige Tragödien passierten zu häufig in den USA. Er deutete vage die Notwendigkeit an, gegen die lockeren Waffengesetze vorzugehen.

Noch immer können die Behörden wenig über die Motive der Tat sagen. Niemand weiß bislang, warum Adam Lanza, der selbst als guter Schüler galt, die Morde beging. Insgesamt starben 28 Menschen, eine Frau wurde verletzt.

"Das ist das Schlimmste, was wir hier in der Stadt je erlebt haben", sagte Lieutenant George Sinco von der Newtown Police. Auch der Gouverneur von Connecticut, Dan Malloy, zeigte sich tief betroffen: "Das Böse hat heute unsere Gemeinde heimgesucht."

Mit Material von dapd und AFP

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