Reinhard Mey wird 70:Poet des Alltäglichen

Reinhard Mey wird 70

Radikal privatistisch, naiv hedonistisch und dabei immer mit dem herrlich größenwahnsinnigen Anspruch, Steine zum Weinen zu bringen: Liedermacher Reinhard Mey.

(Foto: dpa)

Er hat die Chronik unseres bürgerlichen Lebens in berührend langmütigen, wunderbar sentimentalen und angemessen moralischen Balladen gesungen. Heute wird der große Tröster und Spötter Reinhard Mey 70 Jahre alt. Allein für das Reimpaar Jacke/Luftaufsichtsbaracke müsste man ihm den Hölderlin-Preis geben.

Von Hilmar Klute

Mag sein, dass ein Künstler in Deutschland ein bisschen verdächtig ist, wenn er das Leben als alles in allem doch ganz passable Veranstaltung besingt und dabei keine Spur von Verlegenheit zeigt. Reinhard Mey ist so ein seltener Künstler, und er hat sich im Laufe seiner großen Karriere einige schmallippige Klugscheißereien anhören müssen: Ein Heino fürs dritte Programm sei er, der Konsenskandidat unter den Liedermachern, ein Intellektuellenfeind und was da sonst noch laut tönte an Presswehen gekränkter Berufsskeptiker. Zuletzt nannte ihn die taz in verklemmtem Hochmut einen "Säuselbarden".

Mittelmäßigkeit lautet der Vorwurf derer, die allen Ernstes von sich glauben, ihr Leben sei eine permanente Sensationsveranstaltung. Reinhard Mey, dessen Leben vermutlich bunter und interessanter war als das der meisten seiner Verächter, ist weise genug, auf all dies nichts zu geben. Er hat die Chronik unseres bürgerlichen Lebens in berührend langmütigen, wunderbar sentimentalen und angemessen moralischen Balladen gesungen. Mit einer Stimme, die mehr ein freundliches Stoßhauchen ist als raues Attackengeröhre. Mit Liedtexten, die große Handwerkskunst spiegeln, und das ist weiß Gott nicht despektierlich gemeint. Sein größter Erfolg ist die Flieger-Hymne "Über den Wolken", eine klug und poetisch gezeichnete Miniatur, in der das Große sich im Kleinen spiegelt und die machtvollen Worte Freiheit, Angst und Sorge auf federleichte Weise zu ihrem Recht kommen. Allein für das Reimpaar Jacke/Luftaufsichtsbaracke müsste man ihm den Hölderlin-Preis geben.

Macht des gesungenen Wortes

Reinhard Mey hat, als die meisten seiner Kollegen gegen Vietnam und Berufsverbote anschrien, für sich reklamiert, wie Orpheus singen zu wollen: radikal privatistisch, naiv hedonistisch und dabei immer mit dem herrlich größenwahnsinnigen Anspruch, Steine zum Weinen zu bringen, also felsenfest an die Macht des gesungenen Wortes zu glauben. Der Anwaltssohn aus Berlin-Wilmersdorf hat schon früh eine bilinguale Sängerkarriere hingelegt. Als Frederik Mey trat er im legendären Pariser "Bobino" auf, viele seiner Lieder, zum Beispiel die wuchtigen Balladen "Kaspar" und "Ikarus", sang er auch auf Französisch. Und es ist nicht der schlechteste Ausweis für die Größe seiner Kunst, wenn ein Volk, das einen Brassens, einen Ferré und den Belgier Brel in seinem Heldentempel verehrt, diesen deutschen Chansonnier feiert.

Kein falscher Ton

Es geht bei Mey nicht um den unteilbaren Schmerz des heimatlosen Vagabunden, des genialen Outlaw wie zum Beispiel bei Hannes Wader. Reinhard Mey muss keine Rollenfigur erfinden für seine, unsere große Lebenserzählung. Vor ein paar Jahren ging er an die Öffentlichkeit, um sie über das Schicksal seines Sohnes Max zu unterrichten, der nach einer schweren Infektion in ein Wachkoma gefallen ist. Er teilte das mit, weil er darüber nicht weiter sprechen wollte. Aber kurze Zeit später hat er ein neues Lied veröffentlicht, "Drachenblut" heißt es, und darin stehen diese Zeilen über sein entrücktes Kind: "Ich bleib bei dir, ich setze mich an deiner Seite nieder./ Ich habe dich so lang vermißt, jetzt habe ich dich wieder."

Wie viel Mut, Lebensklugheit und Schmerz braucht einer, um solche Zeilen schreiben zu können. In Reinhard Meys Liedern ist kein falscher Ton. Das gilt für seine oft einschmeichelnden, manchmal nach Art der raunenden französischen Chansontradition arrangierten Melodien. Und es gilt auch für seine immer klaren, einprägsamen Verse, die es vorziehen, die Botschaft deutlich in die Welt zu senden anstatt sich blank poliert und metrisch abgeschmeckt in olympischer Hochkunst zu gefallen: "Mich interessiert das Leben/ Und nicht, wie man's buchstabiert!" hat er einmal geschrieben.

Kühn ist das, frech, klug und nonkonformistisch. An diesem Freitag wird Reinhard Mey, der große Humanist, Tröster und Spötter, der unsere Alltagstragödien besingt, damit sie erträglich werden, siebzig Jahre alt.

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